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Eine weitere Veränderung hängt mit dem Kontext der Verwaltungssysteme in Europa zusammen. Nach traditioneller Auffassung ist das Verwaltungsrecht ein auf der Verfassung gegründeter Zweig des öffentlichen Rechts und daher sehr eng mit dem Nationalstaat verbunden. Der Staat bietet den exklusiven Rahmen für den Verwaltungsapparat. Diese herkömmliche Ansicht vermag in ihrer Absolutheit freilich nicht länger zu überzeugen. Jenseits des Staates gibt es supranationale und globale Akteure, die Maßstäbe für die nationalen Verwaltungen setzen und deren innerstaatliche Umsetzung überwachen. Nationale Behörden sind sowohl den übergeordneten Teilen der Exekutive und der Legislative ihres Staates als auch den supranationalen und globalen Akteuren gegenüber verantwortlich. Während der Staat die Kontrolle über Ressourcen und Legitimationsprozesse bewahrt hat, hat er seine ausschließliche Kontrolle über das Recht und die öffentliche Wohlfahrt verloren. Dies führt zu einer „Situation struktureller Ungewissheit“[86].
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Das Recht, das sich jenseits des Staates insbesondere auf europäischer Ebene herausbildet, basiert auf der Anerkennung einiger grundlegender Prinzipien der gemeinsamen Tradition der Staaten (z.B. der rule of law) und auf der Neubestimmung einiger anderer Konzepte, wie etwa der Begriff „Einrichtung des öffentlichen Rechts (body governed by public law)“ gebraucht wurde, um den öffentlichen vom privaten Sektor zu trennen. Nationale Verwaltungen sind nunmehr staatlich wie überstaatlich eingebunden und üben eine Doppelfunktion aus: Sie sind sowohl Akteure des Staates als auch externer Autoritäten. Nationale Verwaltungen dienen daher zwei bzw. mehreren Herren und sind folglich auch einer größeren Anzahl von Spannungen ausgesetzt.
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Diese Entwicklungen haben bedeutende Veränderungen herbeigeführt. Innerhalb des Staates hatten sie eine Fragmentierung zur Folge. Da nationale Behörden nun gegenüber Stellen auf supranationaler und globaler Ebene verantwortlich sind, ist ihre Einheitlichkeit gefährdet. Der europäische Rechtsraum ist dabei das bei weitem wichtigste, aber keineswegs einzige einschlägige Phänomen. Außerhalb des Staates wird die leichtere Verbreitung verwaltungsrechtlicher Institute ermöglicht: Wenn die globale Ebene einheitlicher ausgestaltet ist, erleichtert dies Übertragungen von einem nationalen Rechtssystem in ein anderes. Das Ergebnis dieses Prozesses sind wachsende Übereinstimmungen. Insgesamt sind die nationalen Verwaltungssysteme immer weniger an rein nationale Kontexte gebunden.
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Ein weiterer Aspekt des Wandels besteht darin, dass das Verwaltungsrecht vom Verfassungsrecht durchdrungen worden ist.[87] Die Ausweitung der in der Verfassung gewährleisteten Rechte durch die Rechtsprechung der Verfassungsgerichte führte zu einer Entwicklung, die – zugespitzt formuliert – das Verwaltungsrecht zum „konkretisierten Verfassungsrecht“[88] werden lässt. Diese Entwicklung schmälert die Rolle der Verwaltungsgerichte als letzter Entscheidungsinstanz über Verwaltungshandeln, außer in Ländern wie Frankreich, wo der Conseil d’État eine übergeordnete Stellung bewahrt und der Conseil constitutionnel erst in jüngster Zeit die Kompetenzen eines echten Verfassungsgerichts erlangt hat.
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Ein anderer Aspekt bezieht sich auf das Verhältnis zwischen kollektiven Entscheidungen und der Verwaltung. Ursprünglich mussten kollektive Entscheidungen ihren Weg über die nationalen Parlamente nehmen: Die Legislative erließ Gesetze, die Ziele im Bereich der Verwaltung festlegten, Aufgaben zuwiesen und Verfahrenserfordernisse regelten. Der Verwaltungsapparat war anschließend aufgerufen, diese Gesetze umzusetzen. Die Legitimität der Verwaltungsbehörden resultierte aus der von ihnen vorgenommenen Umsetzung der Gesetze. Legalität bedeutete daher zugleich auch Legitimität.
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Dies entspricht heute jedoch nur noch teilweise der Wahrheit. Der gesellschaftliche Druck auf den Verwaltungsapparat hat stetig zugenommen, und der Regierungsapparat hat sich diesem Druck geöffnet. Zu beobachten ist zum Beispiel die Herausbildung von Teilhaberechten. Die Verwaltungsbehörden treffen ihre Entscheidungen nicht mehr hinter verschlossenen Türen, sondern informieren die Betroffenen über die anstehenden Entscheidungen und diskutieren ihre Überlegungen im Vorfeld mit ihnen. Die durch das Parlament vermittelte Legitimation reicht nicht aus; vielmehr gibt es eine weitere Art von Legimitation, die „Legitimation durch Verfahren“[89]. Da die nationalen Verwaltungen für die Verfahrensbeteiligten zugänglicher werden, besteht jedoch eine wachsende Gefahr, dass sie von privaten Interessen vereinnahmt werden. Das zweite Beispiel betrifft die gesetzliche Ermächtigung. Nach herkömmlicher Auffassung ist Verwaltungsrecht „hoheitlich“, was metaphorisch gesprochen bedeutet, dass es von „oben kommt“. Das Ziel der gesetzlichen Ermächtigung besteht darin, die Bürger – insbesondere die benachteiligten – in die Lage zu versetzen, ihre Rechte gegenüber dem Staat durchzusetzen. An dieser Stelle spielen der Staat und die Verwaltung eine doppelte Rolle: Sie erkennen Rechte an und stellen zugleich Mittel zu deren Durchsetzung bereit.
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Schließlich verlangen Anordnungen der Verwaltung nach dem herkömmlichen Denkmuster unbedingten Gehorsam. Dieses hoheitliche Verständnis fasst allerdings nicht mehr das Gesamte der Verwaltung: Nunmehr fördern die Verwaltungsbehörden, sie geben Anreize zwecks Lenkung; ihre Adressaten werden dazu ermuntert, sich nach administrativen Vorgaben zu richten. Der Wohlfahrtsstaat zeigt sich großzügig gegenüber den Bürgern, vor allem in den Bereichen Gesundheit, soziale Sicherheit und Arbeit. Der Regulierungsstaat (regulatory state) lässt den privaten Unternehmen größeren Freiraum, wodurch seine eigenen Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt werden. Der ermöglichende Staat (enabling state) schafft eine „Republik der freien Wahl“[90], in der die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen „outgesourct“ wird und „Gutscheine“ gewährt werden, so dass die Bürger ihre Dienstleistungsanbieter frei wählen können. Diese Trends zeigen sowohl die Stärken als auch die Schwächen des Verwaltungsstaates auf. Sie sind ein Zeichen seiner Fähigkeit, sich an eine neue Umgebung anzupassen, in der die Bürger eine aktivere Rolle im öffentlichen Leben spielen. Aber sie offenbaren auch, dass der Staat überlastet ist und deshalb die Notwendigkeit besteht, neue Wege der Aufgabenerfüllung zu finden.
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Sowohl der soziale, als auch der regulierende und der ermöglichende Staat hatten gewichtige Auswirkungen auf die herkömmliche Struktur des Verwaltungsrechts. Der Wohlfahrtsstaat bietet seinen Bürgern Dienstleistungen („Etat Providence“), so dass sich die Funktion der Verwaltung nicht länger darauf beschränkt, den Bürgern Verpflichtungen aufzuerlegen. Der regulierende Staat setzt auf mehr oder weniger unabhängige Regulierungsbehörden,[91] welche die zu treffenden Entscheidungen im Bereich der Regulierung aus den Händen der Politiker nehmen und damit zur Fragmentierung des Staates beitragen. Der Verwaltungsstaat ist damit nicht länger einheitlich. Dies schafft die Notwendigkeit, die verschiedenen Behörden in eine Art von zusammengesetzter Verwaltung (joined-up government[92]) zu integrieren. Der Staat wird in wichtigen Hinsichten zu einem Partner privater Akteure und arbeitet mit diesen auf Augenhöhe zusammen. Folglich hat die Verwaltung ein weiteres ursprüngliches Charakteristikum in manchen Bereichen verloren: ihre „Hoheitlichkeit“; diese wurde ersetzt durch „normativité dialoguée“ und „gouvernance partagée“.[93]
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Die drei klassischen Paradigmen des Verwaltungsstaates sind das Paradigma von „Herrschaft und Kontrolle (command and control)“, dasjenige der Einheitlichkeit sowie dasjenige von der