116
Im Fall einer Kollision zwischen innerstaatlichem Recht und Völkerrecht ist nach dem Rang der völkerrechtlichen Norm in der innerstaatlichen Rechtsordnung zu fragen. In der deutschen Verfassungsordnung stehen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts (Art. 25 GG) im Rang zwischen Verfassungsrecht und einfachem Bundesrecht. Völkerrechtliche Verträge stehen auf derselben Stufe wie einfache Bundesgesetze (Art. 59 Abs. 2 GG). Im EU-Recht stehen völkerrechtliche Verträge und Völkergewohnheitsrecht im Rang zwischen primärem und sekundärem Unionsrecht (Art. 218 Abs. 2 und Art. 218 Abs. 11 AEUV).[4]
Lösungshinweise zum Ausgangsfall:
Der Schiedsspruch des Internationalen Schiedsgerichts war rechtmäßig. Archaien konnte sich in diesem Verfahren nicht auf seine staatliche Immunität berufen, da es sich um Ansprüche aus wirtschaftlichen Tätigkeiten des Staates (acta jure gestiones) handelt, für die nach Völkergewohnheitsrecht keine Immunität besteht. Zudem dürfte Archaien durch die Schiedsklausel im Vertrag auf seine Immunität verzichtet haben.
Fraglich ist, wie die Staatenimmunität im Vollstreckungsverfahren zu beurteilen ist. Ein Vollstreckungsverbot könnte sich aus Art. 23 des Europäischen Übereinkommens über Staatenimmunität ergeben. Dies ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der gem. Art. 59 Abs. 2 GG im deutschen Recht Anwendung findet. Als völkerrechtlicher Vertrag gilt er aber nur zwischen den Vertragsparteien. Deutschland ist Vertragspartei; Archaien hat den Vertrag zwar unterschrieben, ihn aber nicht ratifiziert. Damit ist Archaien nicht Vertragspartei geworden, so dass der Vertrag zwischen Deutschland und Archaien keine Anwendung findet. Auf die Frage, ob die Norm unmittelbar anwendbar ist und welchen Inhalt sie hat, kommt es daher nicht an. (Hinweis: Andernfalls wäre der Inhalt durch eine Auslegung nach den allgemeinen Grundsätzen der Vertragsinterpretation, Art. 31 und 32 der Wiener Vertragsrechtskonvention, zu ermitteln gewesen.)
Die Immunität im Vollstreckungsverfahren könnte jedoch völkergewohnheitsrechtlich gelten. Die allgemeinen Grundsätze des Gewohnheitsrechts, zu denen die Regeln der Staatenimmunität zählen, sind gem. Art. 25 GG Teil des Bundesrechts (s. BVerfGE 46, 342). Es ist daher zu prüfen, ob die Nutzung des Archaischen Hauses der Wissenschaft und Kultur als hoheitliche Nutzung angesehen werden kann. Nach Ansicht von BGH, NJW 2010, 769 und KG, Rpfleger 2010, 658 kann dies auch bejaht werden, wenn eine derartige Einrichtung teilweise kommerziell betrieben wird.
Lern- und Wiederholungsfragen zu Teil 1 II.:
1. | Erläutern und bewerten Sie den Unterschied zwischen Rechtssubjekten des Wirtschaftsvölkerrechts und den Akteuren der internationalen Wirtschaftsbeziehungen. |
2. | Welche Rechtsquellen des Wirtschaftsvölkerrechts kennen Sie und wie entstehen diese? |
3. | Welches sind die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen eine völkerrechtliche Norm? |
4. | Wie finden völkerrechtliche Normen Eingang in die innerstaatliche Rechtsordnung? |
5. | Unter welchen Umständen können sich Individuen vor einem innerstaatlichen Gericht auf die Vorschriften eines völkerrechtlichen Vertrags berufen? |
Anmerkungen
Hierzu und zum Folgenden Geiger, Staatsrecht III: Bezüge des Grundgesetzes zum Völker- und Europarecht, 7. Aufl., 2018, §§ 29-32 und Schweitzer/Dederer, Staatsrecht III, 12. Aufl., 2020, Rn. 787 ff.
Dazu oben Rn. 77.
Dazu auch Teil 2 Rn. 302.
Streinz, Europarecht, 11. Aufl., 2019, Rn. 1266 ff.
Teil 1 Grundlagen › III. Theorie der internationalen Wirtschaftsbeziehungen
III. Theorie der internationalen Wirtschaftsbeziehungen
117
Die grundlegende Kenntnis einiger wichtiger wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher Theorien der internationalen Wirtschaftsbeziehungen ist auch für ein Studium des Wirtschaftsvölkerrechts sinnvoll, da so die Prinzipien und Wertungen, die den Rechtsregeln zu Grunde liegen, besser verstanden und kritisch hinterfragt werden können.
Teil 1 Grundlagen › III. Theorie der internationalen Wirtschaftsbeziehungen › 1. Außenwirtschaftstheorie
1. Außenwirtschaftstheorie
Literatur:
Rose/Sauernheimer, Theorie der Außenwirtschaft, 14. Aufl., 2006; Krugman/Obstfeld/Melitz, Internationale Wirtschaft – Theorie und Politik der Außenwirtschaft, 11. Aufl., 2019; Dieckheuer, Internationale Wirtschaftsbeziehungen, 5. Aufl., 2001; Koch, Internationale Wirtschaftsbeziehungen, 3. Aufl., 2006.
118
Die wirtschaftswissenschaftliche Theorie der internationalen Wirtschaftsbeziehungen (Außenwirtschaftstheorie) befasst sich zum einen mit dem internationalen Handel (Außenhandelstheorie und Theorie der Handelspolitik) und zum anderen mit den internationalen Finanzen (Währungs- und Wechselkurssysteme).[1] Die Außenhandelstheorie untersucht die Ursachen des internationalen Handels, Umfang, Richtung und Struktur der Handelsströme sowie die Auswirkungen des internationalen Handels auf eine Volkswirtschaft. Die Theorie der Handelspolitik fragt, welche wirtschaftlichen Auswirkungen die verschiedenen handelspolitischen Instrumente haben. Aus den jeweiligen empirischen Erkenntnissen leiten diese Theorien auch Werturteile über bestimmte politische Entscheidungen und Handlungsempfehlungen für die Politik ab. Die Theorie der Währungs- und Wechselkurssysteme untersucht die Voraussetzungen und Auswirkungen der verschiedenen Währungs- und Wechselkurspolitiken.
119
Die beiden Hauptschwerpunkte der Außenwirtschaftstheorie (internationaler Handel und internationale Finanzen) lassen sich vereinfacht jeweils einem Teilgebiet des Wirtschaftsvölkerrechts zuordnen, nämlich dem Welthandelsrecht auf der einen Seite und dem internationalen Währungs- und Finanzrecht auf der anderen Seite. Aufgrund der Sachnähe der wirtschaftswissenschaftlichen Aussagen zu den jeweiligen Rechtsfragen werden diese Ansätze daher in den Kapiteln zu den genannten Teilgebieten vorgestellt. Dabei müssen sich die Darstellungen auf knappe und kurze Einführungen und Überblicke beschränken. Für eine weitergehende und vertiefte Befassung mit diesen Theorien sind die zitierten oder andere einschlägige volkswirtschaftliche Lehrbücher heranzuziehen.
120
Bereits