126BGHSt 39, 195, 198f.: Alternative Kausalität: Der Täter schießt in Tötungsabsicht auf das Opfer, wobei die Verwundungen, die dieses dabei erleidet, geeignet sind, den Tod herbeizuführen. Kurz darauf schießt der Täter erneut auf das Opfer, wobei dieses andere Verletzungen erleidet, die aber wiederum für sich genommen geeignet sind, den Tod herbeizuführen. Das Opfer stirbt infolge des „Zusammentreffens“ der Verletzungsfolgen. – Beide Schüsse sind kausal für den Todeseintritt. Zwar tritt dieser durch ein Zusammenwirken der beiden Schüsse ein, wäre aber auch durch die separate Wirkung eines jeden Schusses eingetreten. Bereits der erste Schuss führt damit zu einem vollendeten Tötungsdelikt, da seine Wirkung nur alternativ, nicht jedoch kumulativ mit der des zweiten Schusses hinweggedacht werden kann, ohne dass der Todeserfolg entfiele.
127BGHSt 49, 1, 3ff.; Hypothetische Kausalität (vgl. auch Rn. 116): Die verantwortlichen Ärzte einer psychiatrischen Klinik gewähren einem zwangsweise eingewiesenen Patienten Ausgang, den dieser zur Begehung mehrerer Gewalttaten missbraucht. Hätten sie den Ausgang nicht genehmigt, wäre es dem Patienten aufgrund der schlechten Sicherung des unter Denkmalschutz stehenden Gebäudes gleichwohl gelungen, die Klinik zu verlassen. – Die von den Ärzten durch die Genehmigung gesetzte Ursache für die tatsächlich eingetretenen Gewalttaten wird durch die hypothetische Möglichkeit des Ausbruchs nicht beseitigt, da dieser ein außerhalb der konkreten Tatsituation liegendes Geschehen darstellt und einer zusätzlichen autonomen Willensbildung des Patienten bedurft hätte.
III. Objektive Zurechnung
128Legt man bei der Prüfung der Kausalität die Äquivalenztheorie zugrunde, so führt dies infolge der von dieser angenommenen Gleichwertigkeit sämtlicher Bedingungen zu einer Erfolgszurechnung auch für solche Verhaltensweisen, die lediglich eine ganz entfernte Ursache für den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges gesetzt haben und insbesondere im gesamtdeliktischen Geschehen eine eindeutig untergeordnete Rolle spielen (vgl. schon oben Rn. 101.). Da Anknüpfungspunkt für eine strafrechtliche Haftung aber nicht ein rein naturwissenschaftlicher Ursachenzusammenhang sein kann, sondern vielmehr erforderlich ist, dass der eingetretene Erfolg gerade dem Täter als „sein Werk“ zuzurechnen ist, entspricht es einhelliger Auffassung, dass die auf der Grundlage der Conditio-sine-qua-non-Formel gewonnenen Ergebnisse einer |43|haftungseinschränkenden Korrektur bedürfen.[122] Uneinheitlich beantwortet wird indes, ob die Einschränkung bereits auf der Ebene des objektiven Tatbestandes zu erfolgen hat, oder ob es sich hierbei primär um ein Problem des Vorsatzes handelt, welches die subjektive Erfolgszurechnung betrifft.[123] Richtigerweise geht die vorherrschende Auffassung in der Literatur davon aus, dass die Korrektur bereits im objektiven Tatbestand vorzunehmen und damit (im strafrechtlichen Gutachten) unmittelbar im Anschluss an die Feststellung der Kausalität zu erörtern ist.[124] Ob der Eintritt eines tatbestandlichen Erfolges dem Täter als sein Werk zugerechnet werden kann, ist bspw. dann fraglich, wenn das Opfer selbst oder ein Dritter wesentlich zum Schadenseintritt beigetragen hat. Da diese Fragestellung eindeutig an eine objektive Betrachtung des Geschehens anknüpft, führt allein die Verortung im objektiven Tatbestand zu sachgerechten Ergebnissen.
129Die sich hiernach unmittelbar an die Kausalitätsprüfung anschließende Feststellung der objektiven Zurechnung ist an der Frage orientiert, ob der strafrechtlich relevante Erfolg gerade auf einem vorwerfbaren Verhalten des Täters beruht.[125] Die im Gutachten zugrunde zu legende Definition der objektiven Zurechnung lautet daher: Objektiv zurechenbar ist ein Erfolg, wenn der Täter eine rechtlich missbilligte Gefahr für den Erfolgseintritt geschaffen hat, die sich in tatbestandsmäßiger Weise im konkreten Erfolg realisiert hat. Diese allgemeine Formel der objektiven Zurechnung muss in einer Reihe von Fallgruppen konkretisiert werden, die teilweise die Frage nach der rechtlich missbilligten Gefahrschaffung, teilweise die Prüfung der Realisierung der Gefahr im tatbestandlichen Erfolg betreffen.[126]
1. Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr
a) Fehlende Beherrschbarkeit des Kausalgeschehens und erlaubtes Risiko
130Die (nach der Äquivalenztheorie kausale) Veranlassung rechtlich nicht relevanter Vorgänge, die sich im Rahmen des allgemeinen Lebensrisikos bewegen, stellt keine Schaffung einer rechtlich missbilligten Gefahr dar.[127] Neben den Konstellationen, in denen der Handelnde eine ganz entfernte Bedingung für den Erfolgseintritt gesetzt hat (vgl. bereits Rn. 101: Zeugung des späteren Täters), |44|ist die objektive Zurechnung unter diesem Gesichtspunkt insbesondere dann zu verneinen, wenn der zum Erfolg führende Kausalverlauf unbeherrschbar ist, oder wenn sich das Verhalten des Täters im Rahmen des erlaubten Risikos bewegt und daher als sozialadäquat einzustufen ist.
131Überredet A seinen Erbonkel O zu einer Flugreise und stirbt O (wie von A erhofft) infolge eines Absturzes des Flugzeuges, so ist die objektive Zurechnung des Erfolges in mehrfacher Hinsicht zu verneinen. Zunächst hat A auf das Abstürzen des Flugzeugs keinerlei Einfluss und kann daher das von ihm in Gang gesetzte Kausalgeschehen nicht als sein Werk beherrschen. Zugleich bewegt sich das Überreden zu einer Flugreise im Rahmen des erlaubten Risikos, da es sich hierbei um ein alltagstypisches Verhalten handelt und sich die damit einhergehenden Gefahren innerhalb des allgemeinen Lebensrisikos bewegen. Anders zu entscheiden wäre nur, wenn A Kenntnis davon hat, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass das Flugzeug des O abstürzen wird, etwa weil er weiß, dass auf dieses ein Anschlag geplant ist.
b) Risikoverringerung
132Eine rechtlich missbilligte Gefahr wird nicht geschaffen, wenn der Handelnde das Risiko einer bereits anderweitig in Gang gesetzten Kausalkette lediglich verringert.[128] Dies ist etwa dann der Fall, wenn B einen Axthieb in Richtung des Kopfes von O ausführt und es dem A durch sein Eingreifen gelingt, den Hieb auf die Schulter des O umzulenken. Hier ist das Handeln des A zwar kausal für die Körperverletzung in ihrer konkreten Gestalt. Jedoch sind die durch den Hieb auf die Schulter verursachten Verletzungen ihm nicht objektiv zurechenbar, da er durch sein Verhalten das Risiko des Todeseintritts verringert und somit keine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen hat.
133Der Ausschluss der objektiven Zurechnung greift auch, wenn ein Erfolg lediglich hinausgezögert wird, z.B. durch einen Arzt, der durch medizinisch indizierte Maßnahmen den Tod eines Menschen um einige Tage verzögert. Demgegenüber entfällt die objektive Zurechnung unter dem Gesichtspunkt der Risikoverringerung dann nicht, wenn durch die Rettungsmaßnahme zwar eine Gefahr verringert oder beseitigt, hierdurch aber eine neue und eigenständige Gefahr geschaffen wird.[129] Wenn etwa der Feuerwehrmann A das Kind O vor dem Tod in den Flammen rettet, indem er es aus dem 4. Stock des brennenden Hauses wirft, hat A die Verletzungen und damit die Körperverletzung, die O infolge des Wurfs aus dem Fenster erleidet, objektiv zurechenbar verursacht. Ob A sich tatsächlich gemäß § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat, ist hiermit indes noch nicht entschieden, vielmehr kommt eine Rechtfertigung aufgrund mutmaßlicher Einwilligung oder Notstands nach § 34 StGB in Betracht.
|45|c) Eigenverantwortliche Selbstgefährdung
134Der Schutzbereich einer Norm, die ein Rechtsgut gegen Verletzungen durch Dritte schützen soll, endet dort, wo der eigene Verantwortungsbereich des Rechtsgutsträgers beginnt. Die eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstschädigung oder Selbstgefährdung unterfällt nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts, wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer lediglich eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert, macht sich danach nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts strafbar. Unter diesem Gesichtspunkt ist die objektive Zurechnung insbesondere dann zu verneinen, wenn der Handelnde dem Opfer einen