62Zusammenfassend ergibt sich aus der Gesamtschau von § 3 und § 9 Abs. 1 StGB, dass deutsches Strafrecht regelmäßig dann Anwendung findet, wenn der Täter die zum Erfolg führende Handlung im Inland vorgenommen hat und/oder der tatbestandliche Erfolg im Inland eingetreten ist.
a) Anwendung des Territorialitätsprinzips bei einzelnen Deliktsgruppen
63Unproblematisch gestaltet sich die Anwendung der §§ 3, 9 Abs. 1 StGB in der Regel bei vollendeten Begehungs- und schlichen Tätigkeitsdelikten.[58] Während hinsichtlich Ersterer deutsches Strafrecht Anwendung findet, wenn der Täter im Inland gehandelt hat und/oder der Erfolg im Inland eingetreten ist, ist für Letztere allein entscheidend, ob der Täter im Inland gehandelt hat. Bleibt die Tat im Versuchsstadium stecken, findet deutsches Strafrecht Anwendung, wenn der Täter die seine Strafbarkeit begründende Handlung im deutschen Inland vorgenommen hat und/oder der Erfolg nach der Vorstellung des Täters in selbigem eintreten sollte. Bei Unterlassungsdelikten erfolgt die Prüfung des deutschen Strafanwendungsrechts grundsätzlich parallel zu den Begehungsdelikten, jedoch liegt der Handlungsort hier nicht an dem Ort, an dem der |21|Täter gehandelt hat, sondern an demjenigen, an dem er hätte handeln müssen.[59] Ein zusätzlicher Erfolgsort wird bei den erfolgsqualifizierten Delikten durch den Ort begründet, an dem die besondere Folge eintritt.
64Schwierigkeiten bereitet die Anwendung des § 9 Abs. 1 StGB auf Gefährdungsdelikte. Unproblematisch anwendbar ist deutsches Strafrecht auch bei diesen, wenn der Handlungsort im Inland liegt, also bspw. ein PKW-Fahrer mit einer BAK von 1,4 ‰ durch Berlin fährt und hierdurch den objektiven Tatbestand von § 316 Abs. 1 StGB erfüllt. Für die Frage, ob die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts auch unter Anknüpfung an den Erfolgsort begründet werden kann, ist demgegenüber entscheidend, ob ein konkretes oder abstraktes Gefährdungsdelikt vorliegt. Die konkreten Gefährdungsdelikte setzen für die Tatbestandsverwirklichung voraus, dass es tatsächlich zum Eintritt einer konkreten Gefahr kommt. Da sie mithin einen Erfolgsort vorsehen, kann deutsches Strafrecht über § 3 i.V.m. § 9 Abs. 1 StGB auch dadurch zur Anwendung gelangen, dass der Gefährdungserfolg im deutschen Staatsgebiet eintritt. Demgegenüber knüpfen die abstrakten Gefährdungsdelikte die Strafbarkeit allein an die Vornahme einer gefährlichen Handlung, unabhängig davon, ob es tatsächlich zu einer gefährlichen Situation gekommen ist. Dementsprechend wird teilweise vertreten, dass abstrakte Gefährdungsdelikte über keinen Erfolgsort i.S.v. § 9 Abs. 1 StGB verfügen und der Tatort somit allein durch den Handlungsort bestimmt wird.[60] Demgegenüber verweist die Gegenauffassung zutreffend darauf, dass auch die abstrakten Gefährdungsdelikte eine Erfolgskomponente aufweisen, nämlich das potenzielle Umschlagen in eine konkrete Gefahr oder eine Rechtsgutsverletzung.[61] Somit ist auch bei den abstrakten Gefährdungsdelikten der Tatort nicht nur am Handlungsort begründet, sondern auch an denjenigen Orten, an denen die Gefahr mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in eine nachteilige Veränderung des geschützten Rechtsgutes umschlagen kann. Keinerlei Schwierigkeiten entstehen dementsprechend auch bei den abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikten, die eine bestimmte Eignung einer an sich abstrakten Gefahr voraussetzen (vgl. etwa § 130 Abs. 1 StGB: Eignung zur Gefährdung des öffentlichen Friedens). Der Erfolgsort ist hier an jedem Ort begründet, an dem die vom Tatbestand geforderte Eignung festgestellt werden kann.[62]
b) Sonderprobleme
65Erhebliche Probleme kann die Bestimmung von Handlungs- und Erfolgsort bei einer Deliktsbegehung übers Internet bereiten.[63] Überwiegend wird der Handlungsort nach dem Aufenthaltsort des Täters im Zeitpunkt der Tatbegehung|22| bestimmt, also danach, an welchem Ort er strafrechtlich relevante Inhalte auf einer Website einstellt bzw. abruft.[64] Kontrovers diskutiert wird demgegenüber, unter welchen Voraussetzungen der Erfolgsort einer Internetstraftat im Inland liegt. Die vereinzelt in Betracht gezogene Begründung eines innerdeutschen Erfolgsortes für jeden Internetinhalt, der in Deutschland abgerufen werden kann[65], wird überwiegend abgelehnt, da dies eine völkerrechtlich nicht zu legitimierende Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts auf praktisch sämtliche Inhalte des Internets zur Folge hätte.[66] Überwiegend wird daher gefordert, dass der betroffene Internetinhalt eine über die bloße Möglichkeit der Abrufbarkeit hinausgehende Beziehung zu Deutschland aufweist. Wie diese Beziehung ausgestaltet sein muss, ist indes weitgehend unklar. Während einige einen objektiv-territorialen Bezug fordern, der etwa in der Verwendung der deutschen Sprache oder der deutschen Staatsangehörigkeit des Handelnden gesehen werden könne, fordern andere ein Abstellen auf subjektive Kriterien: Dem Täter soll es gerade darauf ankommen müssen, dass die betroffenen Inhalte in Deutschland abgerufen werden.[67]
66Der BGH hat sich zu den Einzelheiten der Tatortbestimmung bei Internettaten noch nicht eindeutig geäußert, vielmehr stellt er für die Frage nach der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts auf im Internet begangene Taten primär auf die Deliktsstruktur der jeweils einschlägigen Strafnorm ab.[68]
67Keine Anwendung findet deutsches Strafrecht in der Regel auf sog. Transitdelikte. Diese stellen Distanzdelikte dar, bei den das Tatobjekt auf dem Weg von einem ausländischen Handlungsort zu einem ausländischen Erfolgsort das deutsche Territorium lediglich durchquert.[69] Da etwa für den Fall, dass ein im Staat X abgesandter Brief, der eine Beleidigung enthält, durch Deutschland transportiert und schließlich im Staat Y geöffnet wird, weder Handlungs- noch Erfolgsort in Deutschland liegen, sind die Voraussetzungen der §§ 3, 9 Abs. 1 StGB nicht erfüllt.[70] Anders ist allerdings zu entscheiden, wenn der Transport selbst einen gesetzlichen Tatbestand erfüllt, was regelmäßig bei der unerlaubten Durchfuhr von Betäubungsmitteln der Fall ist.
68Unterschiedlich beurteilt wird zuletzt, ob der Erfolgsort auch dann im deutschen Inland liegt, wenn es dort lediglich zum Eintritt einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit (z.B. der Eintritt der schweren Folge in § 231 StGB; vgl. hierzu noch Rn. 205) gekommen ist. Die überwiegende Auffassung bejaht dies, da die in § 9 Abs. 1 StGB gebrauchte Formulierung „zum Tatbestand gehörender|23| Erfolg“ nicht technisch zu verstehen sei, sondern nur solche Erfolge ausschließen solle, denen für die strafrechtliche Würdigung des Geschehens keine Bedeutung zukommt (vgl. bereits Rn. 61). Eine beachtliche Gegenauffassung führt demgegenüber an, dass es sich bei objektiven Bedingungen der Strafbarkeit um täterbegünstigende, da strafbarkeitsbegrenzende Merkmale handle, die als Anknüpfungspunkt für die Anwendung deutschen Strafrechts nicht in Betracht kämen.[71]
c) Anwendung des Territorialitätsprinzips bei mehreren Tatbeteiligten
69Auch im Fall der Tatbeteiligung von mehreren Personen ist die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts im Ausgangspunkt nach den §§ 3, 9 Abs. 1 StGB zu prüfen.[72] Im Fall der Mittäterschaft legt die überzeugende h.M. eine Zurechnungslösung zugrunde, wonach jeder Ort, an dem auch nur einer der Mittäter gehandelt hat, einen tatortbegründenden Handlungsort darstellt.