[S. 50]
2. Der Vertrag von Amsterdam
[25] Eine erste Weiterentwicklung hat die EU dann mit dem Vertrag von Amsterdam erfahren, der am 2. Oktober 1997 in Amsterdam unterzeichnet wurde und nach Abschluss der Ratifizierungsverfahren in den Mitgliedstaaten am 1. Mai 1999 in Kraft getreten ist35. Er verstärkte vor allem die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in den Bereichen Justiz und Inneres. Die Asyl- und Einwanderungspolitik wurde von der dritten in die erste Säule überführt. Dies hatte rechtlich die bedeutsame Konsequenz, dass diese Bereiche nicht mehr der bloßen Regierungszusammenarbeit unterlagen, sondern den strengen Verfahren und Grundsätzen der im Rahmen des EG-Vertrages durchgeführten Gemeinschaftspolitiken. Darüber hinaus verbesserte der Vertrag auch die demokratischen Grundlagen der Union und schaffte mehr Bürgernähe dadurch, dass etwa die Beschäftigung zu einem Anliegen von vorrangigem und gemeinsamem Interesse gemacht wurde und auch die anderen bürgernahen Politikbereiche, wie z.B. Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherpolitik, verbessert wurden. Gestärkt wurde auch der bereits mit dem Vertrag von Maastricht in „Verfassungsrang“ erhobene Grundsatz der Subsidiarität, der durch ein spezielles, dem Vertrag beigefügtes Protokoll konkretisiert wurde. Nicht gelungen ist hingegen die ebenfalls mit dem Vertrag von Amsterdam angestrebte institutionelle Reform, mit der die Gemeinschaftsinstitutionen auf den gewünschten und in Aussicht genommenen Beitritt der ost- und mitteleuropäischen Staaten vorbereitet werden sollten. Nicht zuletzt dieses Defizit führte schon sehr bald nach dem In-Kraft-Treten des Amsterdamer Vertrages zur Einsetzung einer neuen Regierungskonferenz, die sich dieses Problems annehmen und eine Lösung in einem neuen Vertragswerk erarbeiten sollte.
3. Der Vertrag von Nizza
[26] Am 11. Dezember 2000 wurde nach zehn Monaten intensiver Verhandlungen die Regierungskonferenz zum Abschluss gebracht, deren Auftrag darin bestand, die EU institutionell auf die Erweiterung vorzubereiten. Die Ergebnisse sind im „Vertrag von Nizza“ zusammengefasst, der Ende Februar 2001 in Nizza unterzeichnet wurde und nach der Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten am 1. Februar 2003 in Kraft getreten ist.
Der Zweck dieser Vertragsreformen war es, der EU ihre Handlungsfähigkeit auch in einer um eine Vielzahl neuer Mitgliedstaaten erweiterten Union zu erhalten. Die beiden Verträge führten deshalb in erster Linie zu institutionellen Reformen. Im Vergleich zu vorangegangenen Reformrunden blieb der politische Wille zur Vertiefung der europäischen Integration vergleichsweise schwach.
[S. 51]
4. Der Vertrag über eine Verfassung für Europa
[27] Die dadurch vielfach hervorgerufene Kritik gab Anstoß zur Einleitung einer Debatte über die Zukunft der EU und ihrer institutionellen Ausgestaltung. Diese mündete in die Annahme einer Erklärung zur Zukunft der Europäischen Union durch die Staats- und Regierungschefs am 5. Dezember 2001 im belgischen Laeken. Darin verpflichtete sich die EU, demokratischer, transparenter und effizienter zu werden und den Weg zu einer Verfassung zu eröffnen. Als ein erster Schritt zur Umsetzung dieser Zielvorgabe wurde die Ausarbeitung einer Europäischen Verfassung in die Hände eines Konvents zur Zukunft Europas gelegt, dem der frühere französische Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing vorstand. Der vom Konvent ausgearbeitete Entwurf des „Vertrags über eine Verfassung für Europa“ wurde dem Vorsitzenden des Europäischen Rates offiziell übergeben und von den Staats- und Regierungschefs am 17. und 18. Juli 2004 in Brüssel mit verschiedenen Änderungen verabschiedet.
[28] Mit dieser Verfassung sollte aus der bisherigen Europäischen Union und der bisherigen Europäischen Gemeinschaft eine neue, einzige Europäische Union werden, die auf einem einzigen Verfassungsvertrag beruht. Daneben sollte lediglich die Europäische Atomgemeinschaft als weitere eigenständige Gemeinschaft bestehen bleiben, die jedoch – wie bisher – eng mit der neuen Europäischen Union verzahnt sein sollte. Dieser Verfassungsansatz ist dann aber im Ratifizierungsprozess gescheitert. Nach anfänglichen positiven Voten in 13 der damals noch 25 Mitgliedstaaten wurde der Verfassungsvertrag der EU in Referenden in Frankreich (54,68 % Neinstimmen bei 69,34 % Beteiligung) und den Niederlanden (61,7 % Neinstimmen bei 63 % Beteiligung) abgelehnt.
5. Der Vertrag von Lissabon
[29] Nach Verstreichen einer Reflexionsphase von beinahe zwei Jahren gelang es erst in der ersten Hälfte des Jahres 2007, ein neues Reformpaket auf den Weg zu bringen. Dieses Reformpaket nimmt formell Abschied vom europäischen Verfassungskonzept, wonach alle bestehenden Verträge aufgehoben und durch einen einheitlichen Text mit der Bezeichnung „Vertrag über eine Verfassung der EU“ ersetzt werden sollten. Stattdessen wurde ein Reformvertrag entworfen, der ganz in der Tradition der Verträge von Maastricht, Amsterdam und Nizza grundlegende Änderungen an den bestehenden EU-Verträgen vornimmt, um die Handlungsfähigkeit der EU nach innen und außen zu erhöhen, die demokratische Legitimation zu stärken und ganz allgemein die Effizienz des Handelns der EU zu verbessern. Ebenfalls nach guter Tradition wurde dieser Reformvertrag nach dem Ort seiner Unterzeichnung Vertrag von Lissabon getauft.
[30] Die Ausarbeitung des Vertrags von Lissabon ging außerordentlich zügig voran. Das lag insbesondere daran, dass die Staats- und Regierungschefs selbst auf der Sitzung des Europäischen Rates in Brüssel am 21. und 22. Juni 2007 in den Schlussfolgerungen[S. 52] im Detail festgelegt haben, in welcher Weise und in welchem Umfang die für den Verfassungsvertrag ausgehandelten Neuerungen in die bestehenden Verträge eingearbeitet werden sollten. Dabei gingen sie ganz untypisch vor und beschränkten sich nicht, wie sonst üblich, auf allgemeine Vorgaben, die dann von einer Regierungskonferenz umgesetzt werden sollten, sondern entwarfen selbst die Struktur und den Inhalt der vorzunehmenden Änderungen, wobei häufig sogar der genaue Text einer Vorschrift vorgegeben wurde. Besonders strittig dabei waren vor allem die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen der EU und den Mitgliedstaaten, die Fortentwicklung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, die neue Rolle der nationalen Parlamente im Integrationsprozess, die Einbindung der Charta der Grundrechte in das Unionsrecht sowie mögliche Fortschritte im Bereich der Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen.
[31] Die 2007 einberufene Regierungskonferenz hatte somit nur wenig eigenen Handlungsspielraum und war lediglich ermächtigt, die gewünschten Änderungen technisch umzusetzen. Die Arbeiten der Regierungskonferenz konnten so bereits am 18./19. Oktober 2007 beendet werden; sie wurden auf dem zu gleicher Zeit in Lissabon stattfindenden informellen Treffen des Europäischen Rates politisch abgesegnet. Der Vertrag wurde schließlich am 13. Dezember 2007 von den Staats- und Regierungschefs der damals noch 27 Mitgliedstaaten der EU in Lissabon feierlich unterzeichnet.
[32] Allerdings gestaltete sich auch das Ratifizierungsverfahren dieses Vertrages äußerst schwierig. Zwar nahm der Vertrag von Lissabon, anders noch als der Verfassungsvertrag, die Ratifizierungshürden in Frankreich und den Niederlanden, jedoch scheiterte die Ratifizierung zunächst in Irland in einem ersten Referendum am 12. Juni 2008 (53,4 % Neinstimmen bei 53,1 % Beteiligung). Erst nach Abgabe einiger rechtlicher Zusicherungen über die (begrenzte) Tragweite des neuen Vertragswerkes stimmten die Bürger in Irland im Oktober 2009 in einem zweiten Referendum dem Vertrag von Lissabon zu (67,1 % bei 59 % Beteiligung). Der erfolgreiche Ausgang des Referendums in Irland machte zudem auch den Weg der Ratifizierung des Vertrages von Lissabon in Polen und der Tschechischen Republik frei, wo die Ratifizierung von dem erfolgreichen Ausgang des irischen Referendums abhängig gemacht worden war. Der Vertrag von Lissabon konnte schliesslich am 1. Dezember 2009 in Kraft treten.
[33] Durch den