Daraus folgt für beide christliche Kirchen, dass jedes einzelne Mitglied der Gemeinde mit dem kirchlichen Sendungs- und Verkündigungsauftrag betraut ist. Dies hat eine ganz besondere Bedeutung für die karitativen und diakonischen kirchlichen Dienste. Das Priestertum aller Gläubigen ist mithin gemeinsamer Träger der kirchlichen Sendung und somit zugleich verbindendes Element des kirchlichen Dienstes.442
Es wäre allerdings unzureichend, wenn man das Leitbild der Dienstgemeinschaft ausschließlich auf den theologischen Gedanken des allgemeinen Priestertums stützte. Denn dann würde sich die Dienstgemeinschaft lediglich aus Kirchengliedern zusammensetzen können, Nichtchristen und die Mitglieder der jeweils anderen Kirche blieben ausgeschlossen. Dies wird von den Kirchen aber keinesfalls beabsichtigt. Wie sich für die katholische Kirche aus Art. 1 S. 1 ihrer Grundordnung des kirchlichen Dienstes entnehmen lässt, gehören alle in einer kirchlichen Einrichtung Tätigen – unabhängig von ihrer Kirchenmitgliedschaft zur Dienstgemeinschaft. Gleiches lässt sich für die evangelische Kirche aus der Präambel deren Kirchengesetzes über Mitarbeitervertretungen folgern, nach der alle Frauen und Männer, die beruflich in Kirche und Diakonie tätig sind, zu einer Dienstgemeinschaft verbunden sind. Maßgebend ist somit für beide Kirchen die Tätigkeit im kirchlichen Dienst. Im Schrifttum wird daher zuweilen moniert, der Rekurs auf das Priestertum aller Gläubigen sei zur theologischen Fundierung der Dienstgemeinschaft ungeeignet.443 Es spricht daher einiges dafür, dem objektiven Element der gemeinschaftlichen Ausübung des Sendungsauftrags bei der theologischen Begründung der Dienstgemeinschaft einen „relativen Vorrang“ einzuräumen.444
(3) communio-Ekklesiologie
Eine weitere theologische Fundierung der Dienstgemeinschaft bildet die communio-Ekklesiologie. Insbesondere seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil wird die Kirche auch nach katholischem Verständnis als Gemeinschaft begriffen, die eine der eingangs bereits genannten vier Grunddimensionen bildet. In Abgrenzung zur societas–Ekklesiologie wird die Funktion der Kirche damit als Gemeinschaft der Menschen mit Gott und untereinander durch Jesus Christus verstanden, die sich durch ihren geistlichen Auftrag definiert.445 Dieser Gemeinschaftsbegriff hat zwei Dimensionen: Die vertikale Gemeinschaft der Menschen mit Gott und die horizontale Gemeinschaft der Menschen untereinander.446 Die Dienstgemeinschaft beinhaltet mithin den horizontalen Aspekt des communio-Prinzips. Diese Gemeinschaft wählt der Heilige Geist zur Erfüllung seines Heilshandelns.447 Darin kommt abermals die Funktion der Dienstgemeinschaft zur Erfüllung des kirchlichen Sendungsauftrags zum Ausdruck.
Zwar ist der Begriff der Dienstgemeinschaft nicht mit der Kirche als Gemeinschaft (communio) kongruent.448 Denn zur Gemeinschaft der Kirche gehören nur die getauften Christen, wohingegen zur Dienstgemeinschaft auch die Nichtchristen gezählt werden. Unabhängig von dieser Abweichung lässt sich indes feststellen, dass die communio-Ekklesiologie im Begriff der Dienstgemeinschaft einen deutlichen Widerhall im kirchenarbeitsrechtlichen Kontext erfährt.449
Hinsichtlich des hierarchischen Aufbaus der Dienstgemeinschaft lassen sich für die beiden christlichen Kirchen unterschiedliche Ableitungen aus der communio-Ekklesiologie vornehmen. Denn deren Verständnis von der Struktur und Ordnung der kirchlichen Gemeinschaft divergiert im Einzelnen. Elementar unterschiedliche Implikationen für die Ausgestaltung der Dienstgemeinschaft erwachsen daraus jedoch nicht.
Nach dem protestantischen Verständnis ist die Kirche als egalitäre Gemeinschaft mit einer horizontalen Teilhabestruktur konstituiert.450 Daraus folgt, dass auch deren Dienstgemeinschaft nicht durch eindeutige Über- und Unterordnungsverhältnisse ausgestaltet sein kann. Dies lässt sich insbesondere mit der 4. These der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 begründen. Diese lautet:
„Die verschiedenen Ämter in der Kirche begründen keine Herrschaft der einen über die anderen, sondern die Ausübung des der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienstes“.451
Demgegenüber interpretiert die katholische Kirche die ekklesiologisch vorgegebene Struktur der Kirche seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil als communio hierarchica.452 Danach ist zwar von einer grundsätzlichen Gleichheit aller Gläubigen auszugehen, allerdings sind in organisatorischer Hinsicht bestimmte Aufgaben den Klerikern vorbehalten.453 Dies kann insbesondere Konsequenzen für die Ausübung von Leitungsmacht in kirchlichen Einrichtungen haben.454 Unter dieser Prämisse erhält auch die Organisationsstruktur der Dienstgemeinschaft in der katholischen Kirche eine vertikal-hierarchische Nuancierung.455
Dennoch ist davon auszugehen, dass auch unter Berücksichtigung der Lehre von der communio hierarchica die grundlegende Gemeinschaft zwischen Dienstgeber und Dienstnehmern im Rahmen der Dienstgemeinschaft nicht aufgehoben wird. Denn auch insoweit wird die grundlegende Konzeption nicht aufgehoben, dass gerade keine Trennung von Kapital und Arbeit besteht, sondern vielmehr alle Beteiligten durch die gemeinsame Erfüllung des kirchlichen Sendungsauftrags miteinander verbunden sind.456 Eine Aufspaltung in antagonistische Interessen auf Dienstgeberseite einerseits und Dienstnehmerseite andererseits wird damit auch von der katholischen Ekklesiologie nicht impliziert.
b) Staatliches oder kirchliches Recht?
Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV ist verfassungsrechtlicher Ausgangspunkt für die Kirchen, innerhalb der Schranken des „für alle geltenden Gesetzes“ ihren Dienst zu regeln und auszugestalten. Die Entscheidung, welche Dienste in ihren Einrichtungen zur Verfolgung des kirchlichen Auftrags (bspw. der Caritas bzw. Diakonie)457 geleistet werden sollen, zählt zu ihren eigenen Angelegenheiten.458 Ob insoweit durch Kirchenrecht ein eigenständiges kirchliches Dienstrecht jenseits von öffentlichem Dienst- und allgemeinem Arbeitsrecht etabliert werden könnte, ist praktisch bislang nicht relevant geworden, da die Kirchen ihre Beschäftigungsverhältnisse größtenteils auf Grundlage von privatrechtlichen Arbeitsverträgen abschließen. Dennoch veranschaulicht die Beantwortung dieser Frage die durch den Schutzbereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts vermittelte Reichweite der kirchlichen Freiheit. Erhebliche Bedeutung kommt demgegenüber der Frage zu, ob die Entscheidung der Kirchen für das staatliche Arbeitsrecht jegliche Modifikation staatlichen Arbeitsrechts für sie ausschließt. Zunächst ist daher zu klären, in welcher Weise das kirchliche Selbstbestimmungsrecht grundlegend bei der Ausgestaltung der Dienstverhältnisse der Kirchen und ihrer Einrichtungen zu berücksichtigen ist.
aa) Normsetzungsbefugnis kircheneigenen Arbeitsrechts?
Dass die Kirchen zur Ausgestaltung aller ihrer Dienstverhältnisse ein eigenes, originär kirchliches Dienstrecht auf der Grundlage von Kirchenrecht zu schaffen berechtigt sind, hat unter der Geltung des Grundgesetzes zuerst Kalisch vertreten.459 Nach seiner Ansicht bleibe ein derart begründetes Dienstrecht im Hinblick auf den Schrankenvorbehalt aber in das Gesamte der Rechtsordnung in einer Weise eingeordnet, sodass unaufgebbare Normen des Arbeitsrechts dennoch Wirksamkeit entfalten würden.460 Diese Auffassung fand zahlreiche Unterstützung in der Literatur461, hat aber auch Widerspruch462 gefunden. Auch das Bundesverfassungsgericht hat bereits Sympathie für die Möglichkeit eines derartigen kircheneigenen Arbeitsrechts erkennen lassen.463 Angesichts der Regelung in can. 1286 Nr. 1 CIC, nach der die Vermögensverwalter der katholischen Kirche bei der Beschäftigung von Arbeitskräften das weltliche Arbeits- und Sozialrecht genauestens zu beachten haben,464 wird dieser Meinungsstreit wohl mangels praktischer Relevanz auch künftig nicht aufgelöst werden müssen.
bb) Vorrang staatlichen Rechts infolge des Abschlusses von Arbeitsverträgen?
Demzufolge haben sich die Kirchen in Deutschland auch dazu entschlossen, weit überwiegend durch den Abschluss von Arbeitsverträgen das staatliche Arbeitsrecht als Grundlage des kirchlichen