cc) Ekklesiologische Grundlagen
Entgegen der vereinzelt im Schrifttum zum Ausdruck gebrachten Kritik handelt es sich bei dem Begriff der Dienstgemeinschaft um ein theologisch begründetes Prinzip des kirchlichen Dienstes. Es handelt sich ohne Zweifel um eine „theologische Begrifflichkeit“413. Zwar mag es zutreffen, dass eine genuine und eigenständige „Theologie der Dienstgemeinschaft“ in den Religionswissenschaften nicht existiert; doch der kirchliche Dienst wird durch zahlreiche Aspekte der Glaubenslehre ausgestaltet und charakterisiert, die zugleich die ekklesiologische Grundlage der Dienstgemeinschaft bilden.414 Hinsichtlich ihres theologischen Ursprungs ist die Dienstgemeinschaft somit ein vielschichtiger Begriff.415 Dabei entspricht es der ganz herrschenden Auffassung, dass seine Begründung von der katholischen als auch von der evangelischen Kirche trotz deren konfessionellen Unterschiede im Wesentlichen gleich vorgenommen wird.416
Seine expliziten biblischen Wurzeln hat das Leitbild der Dienstgemeinschaft im 2. Brief des Paulus an die Korinther, in dem eine „Gemeinschaft des Dienstes“ als anzustrebendes Ziel für die Tätigkeit in der christlichen Gemeinde beschrieben wird.417 In einem noch umfassenderen Sinn lässt sich der Begriff zudem auf zwei der vier Grundvollzüge bzw. Dimensionen der Kirche zurückführen. Denn die kirchliche Existenz lässt sich nach der Lehre beider christlichen Konfessionen in die vier Dimensionen Martyria (Zeugnis), Leiturgia (Gottesdienst/Ritus), Diakonia (Dienst) und Koinonia (Gemeinschaft) aufteilen. Im Begriff der Dienstgemeinschaft finden die Dimensionen der Diakonia und Koinonia ihre Vereinigung.418
Teilweise wird die theologische Fundierung der Dienstgemeinschaft in der jüngeren Literatur im Sinne einer Doppelbegründung auf zwei Dimensionen gestützt, deren wechselseitiges Verhältnis nicht abschließend geklärt ist.419 Dies ist auf der einen Seite die objektiv-funktionale Dimension der gemeinschaftlichen Ausübung des kirchlichen Sendungsauftrags (1). Auf der anderen Seite besteht die subjektive Dimension des Priestertums aller Gläubigen (2). Als weiterer theologischer Grundgedanke lässt sich zudem die communio-Ekklesiologie anführen (3).
(1) Kirchlicher Dienst als Erfüllung des Sendungsauftrags
Die gemeinschaftliche Ausübung des Sendungs- und Verkündigungsauftrag der Kirche bildet die fundamentale theologische Grundlage des Leitbilds der Dienstgemeinschaft.420 Die davon ausstrahlende religiöse Dimension bildet den Kern des kirchlichen Dienstes.421 Darin findet der kirchliche Dienst seine Finalität; jegliches von ihm ausgehende Wirken ist an dieser religiösen Dimension zu messen und hat sich nach ihm auszurichten. Ohne diesen transzendenten Ursprung würde der kirchliche Dienst nicht existieren, da die Kirche andernfalls ihrer Sendung nicht gerecht werden würde.422
Inhalt des kirchlichen Sendungsauftrags ist die Verkündigung des Evangeliums, die Feier der Sakramente und der Dienst am Menschen.423 Dem liegt zum einen der Öffentlichkeitsauftrag der Christenheit nach dem Missionsbefehl im Matthäusevangelium zugrunde:
„Darum gehet hin und lehret alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe“.424
Zum anderen wird das soziale Handeln gegenüber den Mitmenschen im neuen Testament zu einem zentralen Gebot erhoben, woraus der diakonische Auftrag folgt. So heißt es bei Matthäus – stellvertretend für ähnliche Aussagen in den anderen Evangelien:
„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt. Dies ist das höchste und erste Gebot. Das andere aber ist dem gleich: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“425
Die Kirche ist auf Anweisung Jesu Christi dazu berufen, diesen religiösen Auftrag in der Welt zu erfüllen. Daraus folgt zugleich, dass der entscheidende Dienstherr und Dienstgeber letztlich Jesus Christus als moralisch-ideeller Dienstgeber neben dem arbeitsrechtlichen Dienstgeber der kirchlichen Einrichtung ist.426 Dieser Gedanke kommt auch in der Enzyklika „Laborem Exercens“ von Papst Johannes Paul II. zum Ausdruck, in der von einem indirekten und einem direkten Arbeitgeber die Rede ist.427 Bezogen auf die Dienstgemeinschaft ist der indirekte Dienstgeber die Gesamtheit aller religiös-theologischen und moralisch-ideellen Faktoren, welche die Grundlage des kirchlichen Dienstes bilden.
Im Ausgangspunkt ist die Kirche in ihrer Gesamtheit die Adressatin zur Erfüllung des Sendungsauftrags. Dazu überträgt sie diesen Auftrag auf ihre Glieder, zu denen auch ihre einzelnen Einrichtungen gehören.428 Folge dieser Übertragung ist, dass die gesamte kirchliche Einrichtung einschließlich sämtlicher ihrer Funktionen durch die religiöse Dimension des Sendungsauftrags bestimmt ist.429 Jeder Einzelne in der kirchlichen Einrichtung, der an der Erfüllung des Auftrags verantwortlich mitarbeitet – unabhängig vom Umfang seiner Verantwortung – bleibt Jesus Christus voll verantwortlich.430 Dies bedeutet, dass sämtliche in der jeweiligen Einrichtung tätigen Mitarbeiter dem Sendungsauftrag der Kirche dienen und damit als Ganzes zu einer Gemeinschaft in Ausübung des kirchlichen Dienstes – einer Dienstgemeinschaft – werden. Der kirchliche Sendungsauftrag konstituiert mithin durch seine einende Wirkung zugleich das Gemeinschaftselement der Dienstgemeinschaft.431
Die Verschiedenheit der einzelnen in der kirchlichen Einrichtung ausgeübten Dienste konterkariert die alles verbindende Einheit der Sendung nicht.432 Es liegt in der Natur einer arbeitsteiligen Organisation – der sich selbstredend auch die kirchlichen Einrichtung bedienen –, dass der Sendungsauftrag von verschiedenen Diensten wahrgenommen wird. Doch jeder einzelne Dienst bzw. jede einzelne Funktion repräsentiert auf jeweils eigene Weise den Dienst Christi. Die einzelnen Dienste sind aufeinander angewiesen und müssen sich zu einem organischen Ganzen zusammenfügen.433 Alles Institutionelle der Kirche muss der Glaubwürdigkeit ihres Evangeliums dienen.434
Dieses Ideal einer Verbindung vieler zum gemeinsamen Wirken in einer Gemeinschaft findet sich auch in der Bibel wieder. Im Brief von Paulus an die Römer heißt es:
„Denn wie wir an einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben, so sind wir, die vielen ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied. Wir haben mancherlei Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist.“435
Im kirchlichen Arbeitsrecht wird die theologische Dimension sämtlicher Tätigkeiten durch die Bezeichnung der kirchlichen Arbeitgeber als „Dienstgeber“ und ihrer Arbeitnehmer als „Dienstnehmer“ akzentuiert.436
(2) Das Priestertum aller Gläubigen
Vielfach erfolgt die theologische Begründung des Leitbilds der Dienstgemeinschaft auch mit der neutestamentlichen Konzeption des Priestertums aller Gläubigen.437 Danach sind nicht nur die Amtsträger zur Erfüllung des kirchlichen Auftrags berufen, sondern vielmehr ist dies allen Kirchengliedern aufgrund ihrer Taufe übertragen.438 Für die katholische Kirche wurde dies im Rahmen des Zweiten Vatikanischen Konzils mehrfach betont und spiegelt sich insbesondere auch in der Lehre vom Apostolat der Laien wider.439 Nach dem protestantischen Verständnis geht das Priestertum aller Gläubigen bereits auf die Lehre Luthers440 zurück.
In der Bibel findet sich ein Beleg für das allgemeine Priestertum der Gläubigen im 1. Brief des Petrus, in dem die Christengemeinde auf die folgende Weise beschrieben wird:
„Ihr aber seid ein auserwähltes