2. Das „Verwalten“
Das Verwalten umfasst die „[…] freie Betätigung der Organe zur Verwirklichung der jeweiligen Aufgaben einschließlich des Verfahrensrechts, die einer Religionsgemeinschaft gesetzt sind […]“.61 Wie der Begriff des „Ordnens“ ist auch der Begriff des „Verwaltens“ weit auszulegen und erfasst insbesondere die Leitungstätigkeit der Kirche sowie die freie Bestimmung der Organisation der Religionsgesellschaft.62 Das „Verwalten“ beinhaltet die Umsetzung eigenen Rechts einschließlich der auf dieser Basis ergangenen Beschlüsse.63 Hiermit verbunden ist auch die Befugnis, eine eigenständige Gerichtsbarkeit einzusetzen, die in eigenen Angelegenheiten nach dem Ethos der Religionsgemeinschaft Recht spricht.64 Schließlich ist auch die Ämterbesetzung gem. Art. 137 Abs. 3 S. 2 WRV miterfasst.65 Die zusätzliche Aufnahme des zweiten Satzes im Art. 137 Abs. 3 WRV erfolgte aufgrund des historischen Kampfes der Kirche um diese Freiheit.66
3. Die „eigenen Angelegenheiten“
a) Begriff und Umfang
Seinem geschichtlichen Entstehungskontext geschuldet, diente die Definition der „eigenen Angelegenheiten“ der Entkopplung von Staat und Kirche und war daher in Abgrenzung zu staatlichen Angelegenheiten auszulegen.67 Dieser Ansatz wird heute in der sog. „Bereichsscheidungslehre“ sowie in der älteren Rechtsprechung des BVerfG68 und wohl noch vom BVerwG69 vertreten, wobei davon ausgegangen wird, dass der Staat generell nicht in die inneren Verhältnisse der Religionsgemeinschaften eingreifen dürfe.70
Die „Bereichsscheidungslehre“ gilt in der neueren Literatur71 als weitgehend überholt und auch die Rechtsprechung des BVerfG72 und des BGH73 tendiert zu einer umfassenderen Betrachtung, die dem Umstand Rechnung trägt, dass sich die zu regelnden Lebensbereiche häufig nicht schematisch dem Staat oder der Religionsgemeinschaft zuordnen lassen.74 Die eigenen Angelegenheiten werden als derjenige Bereich betrachtet, den die Religionsgemeinschaften nach ihren Vorstellungen behandeln dürfen.75 Die Reichweite des Schutzbereichs unterliegt damit zunächst der Definitionsmacht der Religionsgemeinschaft nach ihrem Selbstverständnis.76
Zu den eigenen Angelegenheiten im engeren Sinne gehört die Festlegung von Lehre und Kultus in Bezug auf Bekenntnisgrundlagen, Ausbildung von Geistlichen, Verkündigung der Lehre sowie die Ausgestaltung der einzelnen Gottesdiente.77 Ferner zählt hierzu die Bestimmung der Verfassung und der Organisationsstruktur, da insbesondere staatliche Prinzipien wie die Gewaltenteilung und das Demokratieprinzip für die Religionsgemeinschaft keine zwingende Wirkung entfalten.78 Die besonders gewichtigen Angelegenheiten gem. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV beinhalten ebenfalls karitative sowie diakonische Tätigkeiten der Kirche einschließlich der damit verbundene Kranken-, Jugend-, Familien-, Alten- und Behindertenhilfe.79 Nach einhelliger Ansicht zählt die Ausgestaltung der kirchlichen Arbeitsverhältnisse durch privatrechtliche Arbeitsverträge zu den „eigene Angelegenheiten“ gem. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV.80
b) Prozessuale Darlegungs- und Beweislast
Die Religionsgemeinschaften sind hinsichtlich des Vorliegens der von ihnen beanspruchten „eigenen Angelegenheiten“ vor staatlichen Fachgerichten darlegungs- und beweisbelastet.81 Nach Auffassung des BVerfG dürfen die Gerichte kirchliche Vorgaben und Entscheidungen gleichwohl nicht nach „weltlich“-objektiven Maßstäben bewerten.82 Vielmehr entfalte die ggf. durch die Einschätzung eines theologischen Sachverständigen belegte Einschätzung der Religionsgemeinschaft eine bindende Wirkung, auf deren Grundlage das Fachgericht ohne inhaltliche Prüfung zu urteilen habe.83 Diese Definitionshoheit finde ihre Grenze allein in den Grundprinzipien der Rechtsordnung, wie dem allgemeinen Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG), den „guten Sitten“ i.S.v. § 138 Abs. 1 BGB sowie dem „ordre-public“-Vorbehalt (Art. 6 EGBGB).84 Insoweit unterliege der kirchliche Vortrag einer fachgerichtlichen Plausibilitätskontrolle.85
III. Auslegung der „Schranken des für alle geltenden Gesetzes“
Aufgrund der Definitionsmacht der Religionsgemeinschaften bei der Bestimmung des Schutzbereichs eigener Angelegenheiten sind die verfassungsgesetzlich normierten Schranken des Selbstbestimmungsrechts von besonderer Bedeutung.86 Obgleich Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV nur von der Sicherung des Selbstbestimmungsrechtes „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ spricht, erstreckt sich sein Anwendungsbereich nach allgemeiner Ansicht auch auf die Freiheit der Ämterverleihung gem. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 2 WRV.87 Es ist im Übrigen nach wie vor umstritten, wie die Schrankenregelung des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV zu verstehen ist.88
1. Heckel‘sche Formel
Zur Zeit der Entstehung der Weimarer Reichverfassung wurde die Schrankenregelung streng wörtlich als das Gesetz, das für „jedermann“ gilt, ausgelegt.89 Das Wort „alle“ wurde von der herrschenden Weimarer Staatsrechtslehre also nicht „adjektivisch“ in Bezug auf die Religionsgesellschaften verstanden, sondern „substantivisch“.90
Mit der sog. „Heckel’schen Formel“91 wurde demgegenüber der Schrankenregelung ein materieller Sinngehalt zugewiesen.92 Johannes Heckel kritisierte eine die Freiheit der Religionsgesellschaften durch die für alle Vereine geltenden Gesetze einschränkende Auslegung, da die kirchliche Autonomie einen „Unterfall“ bürgerlicher Freiheiten bilde.93 Er vertrat eine prinzipielle Gleichordnung von Staat und Kirche.94 Er war der Auffassung, ein „für alle geltendes Gesetz“ sei ausschließlich ein solches, das bei gleichzeitiger Anerkennung der Autonomie der Kirche „[…] im Sinn der Verfassung für den Bestand der Gesamtnation als einer politischen, kulturellen und Rechtsgemeinschaft unentbehrlich […]“ sei.95
Auch wenn die „Heckel‘sche Formel“ als solche nicht mehr vertreten wird, ist sie auch in der jüngeren Literatur noch Gegenstand der Diskussion.96 Nach Auffassung ihrer Kritiker würden immer wieder Gesetze des Bau- oder Polizeirechts die Kirchen binden, ohne dass hierbei eine Unentbehrlichkeit für die Gesamtnation feststellbar sei.97 Umgekehrt sei – wie ein Blick in die Vergangenheit zeige – nicht jedes für die Gesamtnation „unentbehrliche“ Gesetz für die Religionsgemeinschaft zumutbar.98 Ferner sei die Formel aufgrund ihrer pauschalen Formulierung wenig praktikabel und verhindere einen strukturierten und rational geführten Prozess der praktischen Konkordanz kollidierender Rechtsgüter.99 Ein gleichstufiges Verhältnis von Staat und Kirche sei schließlich nicht mit dem modernen Verständnis einer dem Grundgesetz und dem souveränen Staat untergeordneten Kirche vereinbar.100
2. „Bereichslehre“ und „Jedermann-Formel“
a) Konzept
Im Anschluss an die Formel Heckels setzte sich die sog. „Bereichslehre“ durch, nach der zwischen dem Innenbereich und dem Außenbereich kirchlicher Angelegenheiten zu unterscheiden sei.101 Die Schrankenregelung des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV solle nicht bei inneren Angelegenheiten wie der Entscheidung über Kult und Ämter, sondern lediglich bei Entscheidungen, die Rechte Dritter berühren, Anwendung finden.102
Das BVerfG entwickelte für den Anwendungsbereich der Schrankenklausel im Außenbereich die sog. „Jedermann-Formel“, wonach ein „für alle geltendes Gesetz“ nur ein solches sei, das die Religionsgemeinschaft