2.2 Aussage-, Auskunfts- und Zeugnisverweigerungsrechte
Beschuldigte und Zeugen haben verschiedene Rechte, auf die die Polizei sie hinweisen bzw. darüber belehren muss. Zu den grundlegenden Rechten zählen die Aussage-, Auskunfts- und Zeugnisverweigerungsrechte, auf die an dieser Stelle eingegangen werden soll.
Der Beschuldigte hat das Recht zu schweigen (§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO). Er ist nicht verpflichtet, sich selbst zu belasten (sogen. Nemo-tenetur-Grundsatz). Macht er von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch, dürfen daraus keine für ihn nachteiligen Schlüsse gezogen werden. Das gilt jedenfalls dann, wenn er jede Aussage verweigert oder sich auf das bloße Bestreiten des Tatvorwurfs beschränkt. Demgegenüber kann ein teilweises Schweigen des Beschuldigten zu einer Tat gegen ihn verwendet werden.84
Zeugen haben demgegenüber Auskunfts- und Zeugnisverweigerungsrechte. Das Zeugnisverweigerungsrecht vermittelt das Recht, als Zeuge die Aussage zur Sache zu verweigern.85 Es beschränkt darüber hinaus verschiedene Ermittlungsbefugnisse wie z. B. die körperliche Untersuchung von Zeugen (§ 81c Abs. 3 StPO), die Beschlagnahme von Beweismitteln (§ 97 Abs. 1 StPO) oder die akustische Wohnraumüberwachung (§ 100d Abs. 5 StPO). Das Zeugnisverweigerungsrecht steht gemäß den §§ 52–53a StPO bestimmten Angehörigen des Beschuldigten sowie bestimmten Berufsgeheimnisträgern und deren Mitarbeitern zu. Grund hierfür ist die Zwangslage des Zeugen, wegen der Pflicht zur Wahrheit einen Angehörigen zu belasten bzw. das besondere Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschuldigten und dem verweigerungsberechtigten Berufsgeheimnisträger. Das Zeugnisverweigerungsrecht gestattet dem betroffenen Zeugen allerdings nur, eine Aussage zur Sache zu verweigern. Angaben zur Person muss er ebenso machen wie er verpflichtet ist, der Zeugenladung Folge zu leisten.86
Zur Verweigerung des Zeugnisses sind zunächst gemäß § 52 Abs. 1 StPO Verlobte, Ehegatten bzw. eingetragene gleichgeschlechtliche Lebenspartner nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz und bestimmte Verwandte und Verschwägerte berechtigt. Verlobt ist, wer einem anderen die Ehe bzw. einzutragende Lebenspartnerschaft versprochen hat. Nach h. M. ist das Verlöbnis eines noch Verheirateten oder bereits anderweitig Verlobten wegen Verstoßes gegen die guten Sitten unwirksam.87 Das Zeugnisverweigerungsrecht der Ehegatten besteht sowohl während der Ehe als auch nach ihrer Scheidung oder Auflösung. Im Ausland geschlossene Ehen müssen nach deutschem Recht als gültig anerkannt werden, eine Frage, die sich nur nach dem Ehestatut des Internationalen Privatrechts beantworten lässt (Art. 13 EGBGB).88 Gleiches gilt für eingetragene gleichgeschlechtliche Lebenspartner nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz (§ 52 Abs. 1 Nr. 2a StPO). Zu beachten ist, dass Partner sogen. nichtehelicher Lebensgemeinschaften nach wohl noch h. M. untereinander kein Zeugnisverweigerungsrecht haben.89 Zeugnisverweigerungsberechtigt sind darüber hinaus Zeugen, die mit dem Beschuldigten in gerader Linie verwandt oder verschwägert bzw. in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert sind oder waren. In gerader Linie verwandt sind Personen, die voneinander abstammen, also bspw. (Ur-)großeltern, Eltern, Kinder und (Ur-)enkel (§ 1589 Abs. 1 Satz 1 BGB). In der Seitenlinie verwandt sind demgegenüber Personen, die zwar nicht in gerade Linie miteinander verwandt sind, aber von derselben dritten Person abstammen (§ 1589 Abs. 1 Satz 2 BGB), also z. B. Geschwister. Unerheblich ist, ob die Verwandtschaft auf Ehelichkeit beruht; es kommt nur auf die Abstammung an. Während es bei Verwandtschaft in gerade Linie nicht auf einen bestimmten Verwandtschaftsgrad zwischen dem Zeugen und Beschuldigten ankommt, besteht das Zeugnisverweigerungsrecht wegen Verwandtschaft in der Seitenlinie nur bis zum dritten Grad. Der Verwandtschaftsgrad bestimmt sich nach der Zahl der die Verwandtschaft vermittelnden Geburten (§ 1589 Abs. 1 Satz 3 BGB).90 Obwohl im Falle einer Adoption das alte Verwandtschaftsverhältnis aufgehoben wird (§ 1755 Abs. 1 Satz 1 BGB), besteht das frühere Zeugnisverweigerungsrecht fort.91 Verschwägert sind die Verwandten eines Ehegatten mit dem anderen Ehegatten (§ 1590 Abs. 1 Satz 1 BGB). Schwägerschaft dauert auch nach Auflösung der Ehe fort (§ 1590 Abs. 2 BGB). In gerader Linie gibt es keine Beschränkung durch die Gradzahl; in der Seitenlinie besteht das Recht nur bis zum zweiten Grad der Verschwägerung.92 Über das Zeugnisverweigerungsrecht ist der Zeuge jeweils zu belehren (§ 52 Abs. 3 StPO). Ist der Zeuge minderjährig oder betreut, und hat er über die Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts keine genügende Vorstellung, muss § 52 Abs. 2 StPO beachtet werden.93
Zur Verweigerung des Zeugnisses sind neben den Angehörigen des Beschuldigten auch verschiedene Berufsgeheimnisträger gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1–5 StPO berechtigt, nämlich Geistliche in ihrer Eigenschaft als Seelsorger (Nr. 1), Verteidiger (Nr. 2), Ärzte, Zahnärzte, Psychologen, Apotheker, Hebammen (Nr. 3), Rechtsanwälte, Patentanwälte, Notare oder Steuerberater (Nr. 3), Mitglieder von Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen (Nr. 3a), Drogenberater (Nr. 3b), Abgeordnete (Nr. 4) sowie Rundfunk- und Pressevertreter (Nr. 5).94 Gleiches gilt gemäß § 53a Abs. 1 StPO für Angestellte, Auszubildende oder andere Hilfspersonen der Berufsgruppen nach § 53 Abs. 1 Nr. 1–4 StPO. Voraussetzung ist ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Tätigkeit der Hilfsperson und derjenigen des Berufsgeheimnisträgers, wie es z. B. bei Arzthelfern, Rechtsanwaltsgehilfen oder Rechtsreferendaren der Fall ist. Das berufsbedingte Zeugnisverweigerungsrecht ist grundsätzlich auf die bei der Berufsausübung anvertrauten oder bekanntgewordenen Tatsachen begrenzt.95 Sind die in § 53 Abs. 1 Nr. 2 bis 3b genannten Berufsgeheimnisträger, also z. B. Ärzte oder Rechtsanwälte, von ihrer Schweigepflicht entbunden worden, entfällt das Zeugnisverweigerungsrecht für sie und für ihre Mitarbeiter i. S. des § 53a StPO (vgl. hierzu sowie zu weiteren Fällen, in denen kein Verweigerungsrecht besteht, § 53 Abs. 2 bzw. § 53a Abs. 2 StPO). Über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts der Mitarbeiter entscheidet grundsätzlich der Berufsgeheimnisträger (§ 53a Abs. 1 Satz 2 StPO). Sollen Angehörige des öffentlichen Dienstes als Zeugen vernommen werden, ist § 54 StPO zu beachten (Aussagegenehmigung).
Neben dem Zeugnisverweigerungsrecht haben Zeugen auch ein Auskunftsverweigerungsrecht, und zwar bezüglich solcher Fragen, deren Beantwortung für den Befragten selbst oder einen seiner Angehörigen die Gefahr einer Verfolgung wegen Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten in sich birgt. Hierüber ist der Betroffene zu belehren (§ 55 StPO).96
IV. Die wichtigsten Handlungsgrundsätze der Polizei
1. Gesetzmäßigkeit der Verwaltung
Bei ihrer Arbeit muss die Polizei neben den Rechtsanwendungsregeln verschiedene Grundsätze beachten. Einer der wichtigsten Grundsätze ist die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Er ist in Art. 20 Abs. 3 GG enthalten und hat zwei Ausprägungen, nämlich zum einen den Vorrang des Gesetzes und zum anderen den Vorbehalt des Gesetzes. Vorrang des Gesetzes heißt, dass die Verwaltung und damit auch die Polizei an die bestehenden Gesetze gebunden sind, also gegen sie nicht verstoßen dürfen (Pflicht zum rechtmäßigen Handeln).97 Vorbehalt des Gesetzes bedeutet demgegenüber, dass Maßnahmen der öffentlichen Verwaltung nicht ohne gesetzliche Ermächtigung erfolgen dürfen. Das gilt zumindest für alle Maßnahmen,