1.1 Handlungsstörer: Verantwortlichkeit für eigenes Handeln
Maßnahmen zur Gefahrenabwehr sind grundsätzlich gegen denjenigen zu richten, der die Gefahr verursacht hat (§ 5 Abs. 1 BbgPolG).69 Er wird auch als Handlungs- oder Verhaltensstörer bezeichnet. Ob diese Person schuldhaft gehandelt hat, ist unerheblich, weswegen auch Kinder Adressaten polizeilicher Maßnahmen sein können, wenn sie Gefahren verursachen.70 Polizeipflichtigkeit darf also nicht mit Strafmündigkeit verwechselt werden.
Handlungsstörung kann auf zweierlei Weise geschehen: Zum einen kann – und das dürfte der Regelfall in der polizeilichen Praxis sein – der Handlungsstörer eine Gefahr unmittelbar verursachen: Sein Verhalten stellt die zeitlich letzte Handlung vor der Gefahr bzw. Störung dar, z. B. die Missachtung von Verkehrsregeln, das brandverursachende Zündeln im Wald, der trunkene Schläger im Wirtshaus. Zum anderen kann ein Verhalten aber auch lediglich mittelbar gefahrverursachend sein, z. B. eine reißerische Schaufensterreklame, die zu einem erheblichen Menschenauflauf auf dem Bürgersteig und auf der Fahrbahn führt, oder ein Rockkonzert, bei dem es zu Ausschreitungen kommt.71 Von Interesse ist ein solches mittelbares Verhalten allerdings grundsätzlich nur, wenn es für sich gesehen legal ist.72 Andernfalls liegt ja bereits eine unmittelbare Handlungsstörung vor. Mittelbares legales gefahrverursachendes Verhalten kann aber zur Polizeipflichtigkeit führen, wenn zwischen ihm und der unmittelbar gefahrverursachenden Handlung eines anderen ein so innerer Zusammenhang besteht, dass sich der mittelbar Handelnde die Gefahr zurechnen lassen muss, weil sein Tun die Folgetat veranlasst hat (sogen. Zweckveranlasser). Dabei kann der innere Zusammenhang zwischen der Ersthandlung und der Gefahr subjektiv oder objektiv bestimmt werden:73 Nach der subjektiven Sicht kommt es auf die Absicht des mittelbaren Verursachers an, ob dieser also die Herbeiführung der Gefahr durch einen anderen wenigstens billigend in Kauf genommen hat. Demgegenüber ist nach der vorzugswürdigen objektiven Sicht maßgeblich, ob vom Standpunkt eines unbeteiligten Dritten aus die eingetretene Folge typischerweise durch die mittelbare Handlung herbeigeführt wird.74
1.2 Die Verantwortlichkeit für das Verhalten anderer Personen
Ist der Handlungsstörer noch nicht 14 Jahre alt, so kann gemäß § 5 Abs. 2 BbgPolG auch sein Aufsichtspflichtiger polizeilich in Anspruch genommen, also aufgefordert werden, Maßnahmen zur Beseitigung der Gefahr zu ergreifen. Gleiches gilt, wenn für den Handlungsstörer ein Betreuer bestellt ist. Analog liegt es gemäß § 5 Abs. 3 BbgPolG in Bezug auf den Geschäftsherrn.
1.3 Die Zustandsverantwortlichkeit
Geht von Sachen oder Tieren eine Gefahr aus, so ist der Inhaber der tatsächlichen Gewalt in Anspruch zu nehmen (§ 6 Abs. 1 BbgPolG). Daneben können auch der Eigentümer oder andere Berechtigte (z. B. sogen. Besitzdiener) pflichtig sein, es sei denn, der Inhaber der tatsächlichen Gewalt übt diese ohne deren Willen aus (§ 6 Abs. 2 BbgPolG). Wegen Gefahren, die von herrenlosen Sachen ausgehen, kann die Polizei Maßnahmen an denjenigen richten, der das Eigentum an der Sache aufgegeben hat (§ 6 Abs. 3 BbgPolG).
1.4 Inanspruchnahme von Nichtstörern: polizeilicher Notstand
Ausnahmsweise kann die Polizei eine Person auch dann zur Abwehr von Gefahren in Anspruch nehmen, wenn diese sie gar nicht verursacht hat. Man nennt diesen Adressaten auch Nichtstörer bzw. man spricht in diesem Fall von polizeilichem Notstand. Voraussetzung hierfür ist gemäß § 7 BbgPolG, dass
– eine gegenwärtige, erhebliche Gefahr vorliegt,
– Maßnahmen gegen Verhaltens- oder Zustandsstörer bzw. Aufsichtspersonen von Verhaltensstörern nicht oder nicht rechtzeitig möglich sind oder keinen Erfolg versprechen,
– die Polizei die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig selbst oder durch Beauftragte abwehren kann und
– der Nichtstörer ohne erhebliche eigene Gefährdung und ohne Verletzung höherwertiger Pflichten in Anspruch genommen werden kann.
Nichtstörer dürfen nur solange in Anspruch genommen werden, als die Gefahrenabwehr nicht auf andere Weise möglich ist (§ 7 Abs. 2 BbgPolG); zudem muss die Inanspruchnahme auf das unumgängliche Maß beschränkt sein.75
1.5 Sonstige Adressaten präventiver Maßnahmen der Polizei
Polizeipflichtig kann schließlich auch sein, wer in eine Situation gerät, die vom Gesetz als tatbestandliche Voraussetzung für polizeiliche Maßnahmen geregelt wird. So ist z. B. jeder zur Duldung einer Identitätsfeststellung verpflichtet, der eine Kontrollstelle i. S. des § 12 Abs. 1 Nr. 4 BbgPolG passiert. Auf die Störerregeln ist in solchen Fällen nicht zurückzugreifen (vgl. grundsätzlich § 5 Abs. 4 sowie § 6 Abs. 4 BbgPolG).
1.6 Die Auswahl von mehreren Störern
Sind mehrere Störer vorhanden, liegt es grundsätzlich im Ermessen der Polizei, wen sie in Anspruch nehmen möchte. Nur der Nichtstörer darf lediglich unter den Voraussetzungen von § 7 BbgPolG herangezogen werden. Maßgeblich für die Entscheidung ist die Effektivität des polizeilichen Handelns und die tatsächliche wie rechtliche Leistungsfähigkeit der betroffenen Person. Daher ist derjenige auszuwählen, der die Gefahr am schnellsten und am wirksamsten beseitigen kann. Stehen auch insoweit mehrere Personen zur Verfügung, richtet sich die Inanspruchnahme nach der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit.76
2. Adressaten repressiver Maßnahmen der Polizei
2.1 Tatverdächtige und Zeugen
Maßnahmen der Polizei zur Strafverfolgung richten sich vorrangig gegen Tatverdächtige und Zeugen. Tatverdächtiger ist, wer aufgrund zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte als Täter (§ 25 StGB) oder Teilnehmer (§§ 26 f. StGB) einer Straftat in Betracht kommt. Von ihm ist der Beschuldigte abzugrenzen: Beschuldigter ist derjenige Tatverdächtige, gegen den ein Strafverfolgungsorgan eine Maßnahme trifft, die erkennbar darauf abzielt, gegen ihn wegen einer Straftat strafrechtlich vorzugehen (vgl. § 397 AO). D. h. jemand wird zum Beschuldigten, sobald subjektiv ein Verfolgungswille der Strafverfolgungsbehörde vorliegt, der sich objektiv in der förmlichen Einleitung eines Ermittlungsverfahrens oder in einer bestimmten Ermittlungsmaßnahme äußert. Das zeigt sich insbesondere an Maßnahmen, die nur gegen Beschuldigte getroffen werden dürfen wie z. B. die Beschuldigtenvernehmung gemäß § 163a StPO oder die körperliche Untersuchung gemäß § 81a StPO.77 Damit verbunden sind bestimmte Belehrungspflichten gegenüber dem Betroffenen über seine Rechte als Beschuldigter.78 Tatverdacht allein macht den Betroffenen also nicht zum Beschuldigten. Bei dem Verdächtigen muss die Polizei vielmehr noch herausfinden, ob genügend tatsächliche Anhaltspunkte für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen ihn vorliegen.79 Wie bereits oben erwähnt, ist zu beachten, dass sich das Bußgeldverfahren begrifflich nicht gegen Beschuldigte, sondern gegen Betroffene richtet.
Zeuge ist, wer – ohne Beschuldigter oder Betroffener zu sein – etwas bekunden soll, was er selbst wahrgenommen hat; wer also Auskunft über die Wahrnehmung von Tatsachen gibt. Unter Tatsachen versteht man gesicherte Erkenntnisse, die über bloße Vermutungen, Vorurteile oder Erfahrungswerte hinausgehen und die nachweislich belegen, dass ein bestimmter Sachverhalt zumindest