Zweites Buch: DER RING VON KULDAN
"Der, der sich magischer Kräfte bedient, um Herrschaft und Macht zu erlangen, begibt sich in die Gefahr, die Herrschaft über sich selbst zu verlieren. Er glaubt lange Zeit, er sei der Herr über die dämonischen Wesen, die er zu beschwören vermag und bemerkt nicht, wie er ihr Sklave wird."
(Aus einem Vortrag des Yulariz aus Kroz Dor vor einer Gruppe von Gelehrten in Ilkyn)
1. DIE PROPHEZEIUNG
Die Sonne ging auf und der Wind pfiff eisig über die Klippen von Arkull. Die GEEDRA war ein gewaltiges Schiff. Kryll stand am Bug und blickte auf das Meer hinaus.
Hinter ihm stand Norjan.
Die Segel blähten sich auf und gaben dem Schiff bald eine beträchtliche Geschwindigkeit.
"Mein König, Ihr wisst, dass es ein riskantes Unternehmen ist, den Ring von Kuldan zu erobern", erklärte der alte Ritter. "Wir wissen noch nicht einmal genau, worum es sich bei diesem Ring handelt!"
Kryll wandte sich nicht um.
"Der Namenlose begleitet uns. Er wird uns zu helfen wissen!" Die Stimme des Königs klang ruhig und gelassen.
"Mein König, ich will auf etwas anderes hinaus!"
"Sprecht nur, Freund Norjan!"
"Vielleicht wäre es besser, wenn Ihr diese Reise nicht mitmachen würdet!"
"Und wie kommt Ihr auf diesen Gedanken?"
"Ihr setzt Euch einer unnötigen Gefahr aus!"
Aber Kryll lachte nur.
"Ich habe keine Angst!"
Kryll blickte zurück. Die Zinnen von Burg Arkull verschwanden am Horizont.
Dann fiel des Königs Blick auf die zusammengekauerte Gestalt des Namenlosen. Er hatte sich gegen den Mast gelehnt und harrte dort schweigend und fast bewegungslos aus.
Kryll fragte sich, ob der Namenlose von seinem Äußeren her ein typischer Bewohner des Schattenlandes war.
Aber dann sagte er sich, dass das ziemlich unerheblich war.
Es kam schließlich einzig und allein auf die Wirkungskraft jener Heerscharen an, die Tarak ihm zu schicken versprochen hatte.
Die Gischt spritzte wild gegen die Planken des Schiffes.
Kryll genoss das Gefühl, auf einem praganischen Langschiff zu stehen und durch die Wellen zu schneiden. In der Ferne war noch so etwas wie eine Ahnung der praganischen Küste zu sehen. Wild und rau ragten die Felsen in die Luft, so dass man sie bereits aus meilenweiter Entfernung ausmachen konnte.
Nicht dieses öde Land ist die Heimat der Praganier, sondern die Langschiffe, ging es dem König durch den Kopf.
"Na, wie gefällt Euch die GEEDRA, mein König?", fragte der Kapitän, der sich neben Kryll gestellt hatte. Sein Name war Lathor, und er war kein Praganier. Seine Heimat war Drakanien im tiefen Süden. Mochte der Teufel wissen, was ihn in den Norden verschlagen hatte. Jedenfalls stand er schon seit Jahren im Dienste des Lord von Arkull.
"Die GEEDRA ist ein Schiff nach meinem Geschmack, Lathor", bekannte Kryll. Sein Gesicht hatte einen zufriedenen Ausdruck.
"Wir sind nicht viele, aber es ist eine schlagkräftige Truppe, und ich bin sicher, dass es uns gelingen wird, den Ring von Kuldan zu erobern!", meinte Lathor zuversichtlich.
Der Kapitän schickte einen kurzen Blick zu dem Namenlosen hinüber und wandte sich dann wieder an Kryll. "Euer namenloser Freund gefällt mir nicht, mein König", raunte er.
Kryll winkte ab. "Keine Sorge, er ist in Ordnung."
"Trotzdem! Ich traue ihm nicht!"
Kryll legte dem Kapitän die Hand auf die Schulter.
"Wenn Ihr Euch schon nicht dazu durchringen könnt, ihm zu vertrauen, dann lasst ihn Euer Misstrauen wenigstens nicht spüren. Von ihm hängt wesentlich das Gelingen unseres Unternehmens ab! Ohne ihn sind wir nichts..."
Der Kapitän nickte leicht.
Ich werde aber dennoch die Augen offenhalten, dachte Lathor stumm bei sich.
*
Kryll kam es so vor, als fliege das Schiff geradezu über die Wellen.
Die Stunden vergingen.
Sie segelten an der praganischen Stadt Thorcor vorbei. Am Abend sahen sie dann in der Ferne Alark, den südlichsten Hafen Pragans.
Aber für einen Kapitän wie Lathor war die Nacht kein Hindernis. Kryll bewunderte den Drakanier dafür, wie er ein Schiff wie die GEEDRA so sicher und souverän zu führen vermochte.
Sicherheit, Souveränität...
Das was ich an Lathor bewundere, ist dasselbe, was mir fehlt, wurde es dem jungen König klar.
*
Der Namenlose stand einfach da und schaute auf das Meer.
Er hatte während der ganzen Fahrt noch kein Wort gesprochen. Jetzt trat Kryll zu ihm.
"Ich möchte mehr über den Ring von Kuldan wissen", forderte der König. "Was hat es mit diesem Artefakt auf sich?"
Der Namenlose sprach, ohne sich dabei umzuwenden.
"Dem, der diesen Ring trägt, gibt er Kraft - magische Kraft. Aber nicht jeder kann ihn tragen."
"Das klingt seltsam", meinte Kryll.
Jetzt erst wandte der Namenlose sich zu ihm um.
"Du bist derjenige, der den Ring tragen muss! Du kannst es!" Kryll zuckte mit den Schultern.
"Warum ich?"
"Du bist dafür bestimmt!"
"Was ist mit dir, Namenloser? Warum hast du kein Verlangen danach, selbst den Ring zu tragen, wenn wir ihn erobert haben?"
"Ich kann es nicht."
"Warum nicht?"
"Kein Wesen aus dem Schattenland ist fähig, diesen