Vom Stromkartell zur Energiewende. Peter Becker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Becker
Издательство: Bookwire
Серия: ZNER-Schriftenreihe
Жанр произведения:
Год издания: 0
isbn: 9783800593729
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legte ein Veto ein. Aber die Deutsche Bank reagierte, wie bei der Großfinanz üblich, ausgewogen. Es wurde ein Kompromiss arrangiert: Siemens hob sein Veto auf und kaufte ein Drittel der neuen Bergmann-Aktien aus einer von der Deutschen Bank gestützten Kapitalerhöhung. Ergebnis: Bergmann blieb nominell an der Spitze des Konzerns, sein Stellvertreter wurde ein Siemens-Mann. AEG und Siemens beherrschten den deutschen Markt.

      Es hatte also keine zwanzig Jahre gedauert, bis die großen Industriellen den Strommarkt unter sich aufgeteilt hatten: In Deutschland gab es ein Kabel- und ein Isolierrohrkartell: das Drahtsyndikat. Die Preise für viele weitere Produkte wurden von der „Vereinigung Deutscher Elektrizitätsfirmen“ festgelegt; auch diese war ein Kartell. Die Preise für Glühlampen wurden sogar europaweit festgelegt, und zwar mit dem 1903 gegründeten europäischen Glühlampenkartell. Der amerikanische Markt wurde beherrscht von General Electric und Westinghouse. Rathenau und Siemens, Herrscher über den deutschen Markt, sprachen sich schließlich mit den beiden US-Giganten ab. So teilten die weltweit führenden Industrien in Europa und den USA den Markt unter sich auf und schufen so lange vor dem Ersten Weltkrieg ein System, mit dem Wettbewerb systematisch ausgeschaltet wurde.

      5. Kapitel

      Hugo Stinnes: Die Ehe zwischen dem RWE und den Kommunen

      Schon das erste größere Geschäft, das der damals 28jährige Zechenbesitzer Hugo Stinnes abschloss, zeigt seine Genialität, allerdings auch seine Schlitzohrigkeit. Stinnes, dem seine Familie schon mit 21 Jahren das Geschäft mit Zechen, Kohlenhandel und einer Flotte von Rheinschiffen anvertraut hatte, erfuhr, dass die Stadt Essen auf der Grenze zu seiner Zeche Victoria Mathias ein Kraftwerk errichten wollte. Er bot der Kraftwerks-Gesellschaft RWE, die ihn im April 1898 in den Aufsichtsrat gewählt hatte, obwohl er keine einzige Aktie besaß, den Verkauf von Dampf aus dem Kesselhaus seiner Zeche an. Die Sache hatte nur einen Haken: Stinnes hatte sich vertraglich verpflichtet, so wie alle Mitglieder des Rheinisch-Westfälischen Kohlesyndikats, ihre Kohle nur zu den (hohen) Preisen des Syndikats zu verkaufen. Stinnes aber verkündete seinen Mitarbeitern: „Dampf ist keine Kohle!“ Prompt verklagte ihn das Syndikat auf Unterlassung – und verlor schließlich beim Reichsgericht.

      Stinnes Geschäftsidee war schon damals, dass man nicht nur mit dem Verkauf von Anlagen, sondern auch von Strom Geld verdienen konnte. Deswegen drängte er das RWE, statt des geplanten Generators mit einer Leistung von 500 Kilowatt einen solchen für 1.200 Kilowatt aufzustellen. Der Lieferantin war das nur Recht: Das RWE war nämlich eine Betriebsgesellschaft des Lahmeyer-Konzerns. Die Frankfurter hatten die Konzession von der Stadt Essen erworben, um ein Kraftwerk zu verkaufen.

      Der Stromverkauf selbst interessierte Lahmeyer als Anlagenbauer kaum. Für ihn spielte auch die kommunale Licht-Kundschaft nicht die entscheidende Rolle. Der Markt, der erschlossen werden musste, lag vielmehr beim Industrie-Kraftstrom. Denn der von der Industrie in ihren dezentralen und störanfälligen Eigenanlagen produzierte Strom konnte auch in Großkraftwerken hergestellt werden, wie sie Stinnes schon vorschwebten. Dafür war das Lahmeyer’sche Geschäftsmodell allerdings nicht geeignet. Lahmeyer war als Anlagenbauer nur am Verkauf seiner Generatoren interessiert. Deswegen verkauften die Konzerne die Betriebsgesellschaften schon nach wenigen Jahren mit beträchtlichen Gewinnen an die Kommunen, wodurch aus gemischt-wirtschaftlichen dann öffentlich-rechtlich organisierte kommunale Unternehmen wurden. So allerdings nicht beim RWE: Die Chance kam schon im Jahr 1902. Der Lahmeyer-Konzern war in der Stromkrise 1901 in Schwierigkeiten geraten und brauchte dringend Bargeld. Stinnes besprach sich mit seinem 28 Jahre älteren Freund und Geschäftspartner August Thyssen. Resultat des Gesprächs: 86 % der RWE-Aktien aus dem Besitz von Lahmeyer gingen an die Herren Stinnes und Thyssen aus Mühlheim an der Ruhr über.

      Diese Geschäfte betrieb Stinnes um der Expansion willen. Das Unternehmen hieß ja Rheinisch-Westfälisches und nicht Essener Elektrizitätswerk. Stinnes und Thyssen schrieben in ihren ersten Geschäftsbericht nach Übernahme des RWE: „Wir betrachten es, im Gegensatz zu den meisten Kommunalbetrieben, nicht als unsere Aufgabe, unter Ausnutzung unserer Monopolstellung in einzelnen Gemeinden bei geringem Stromabsatz großen Gewinn zu machen, sondern wir gedenken, dadurch unsere Aufgabe für uns und für die Allgemeinheit zu erfüllen, dass wir den Konsumenten, insbesondere der Eisenbahnverwaltung und der Industrie, zu den denkbar billigsten Preisen größtmögliche Strommengen zur Verfügung stellen.“ Die Akquisitionen liefen über den Strompreis: Der Bau immer größerer Dampfturbinen erlaubte die Senkung des Strompreises von 60 auf 40 Pfennig pro Kilowattstunde. Jeder neue Stromkunde erhielt für die ersten drei Jahre zusätzlich einen Rabatt von 20 %. Da für die Gestehungskosten der Kohlepreis ausschlaggebend war, plante Stinnes ein neues Kraftwerk in Düsseldorf, das mit der dort billigeren Braunkohle betrieben werden sollte. Der Chef des Steinkohlesyndikats, Emil Kirdorf, war alarmiert. Aber er konnte Stinnes von dem Plan erst abbringen, in dem er Steinkohlelieferung zu Preisen anbot, die erheblich unter den üblichen des Syndikats lagen – was Stinnes von Anfang an bezweckt hatte. Als Gegenleistung machte Stinnes dem Syndikat den Vorschlag, einen Gegenseitigkeitsvertrag zu schließen, um den Bau von äußerst unrentablen Spitzenlastkraftwerken zu vermeiden. Tagsüber sollte das RWE den Strom für den allgemeinen Verbrauch liefern. Aber abends, zur Zeit der „Lichtspitze“, nahm das RWE den dann nicht mehr arbeitenden Zechen den Strom ab. Das war das erste überörtliche Verbundsystem verschiedener Kraftwerke.

      Dieses System setzte Stinnes ein, um die gesamte Elektrizitätsversorgung des Ruhrgebiets und des Rheinlands in die Hand zu bekommen. Städte und Gemeinden ohne eigenes Kraftwerk wurden durch niedrige Strompreise und hohe Konzessionsabgaben angelockt, bestehende Kraftwerke aufgekauft und entweder geschlossen oder als Reserve- und Spitzenlastkraftwerke weiterbetrieben, um Verbraucher und Politiker über die veränderten Machtverhältnisse im Unklare zu lassen. Nach drei Stinnes-Jahren versorgte das RWE die Städte Essen, Mühlheim und Gelsenkirchen, belieferte über die aufgekaufte Tochter Bergisches Elektrizitätswerk die Industrie im Bergischen Land, betrieb im Umkreis von Köln zwei kleinere Kraftwerke auf der spottbilligen Braunkohle und begann den Bau einer Überlandzentrale in Westfalen. Thyssen dazu: „Stinnes ist der tüchtigste Geschäftsmann, den ich kenne.“

      Daraus entstand das „gemischt-wirtschaftliche Unternehmen“. Stinnes baute die Kommunen als Aktionäre in das RWE-Netz ein. Die Kommunen hatten zwar nicht die Kapital-, aber die Stimmenmehrheit. Sie bekamen hohe Dividenden und erhielten Konzessionsabgaben. Zusätzlich bekamen die Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte in den Aufsichtsräten hohe Tantiemen – Summen in der Höhe ihrer Beamtensaläre. Im Gegenzug erhielt das RWE langfristige Konzessionsverträge und billige Kommunaldarlehen. In nur acht Jahren baute Stinnes ein ausgedehntes Stromimperium auf. Trotz des Monopols sanken die Strompreise. Eine amtliche Statistik von 1913 zeigt, dass man beim RWE eine Kilowattstunde für 5,8 Pfennig Selbstkosten produzieren konnte, während die Stadtwerke Hannover und Nürnberg 22 und