Als die Konjunktur nach der Krise 1904 wieder ansprang, war Rathenau voll da. Von der Konkurrenz hatten außer Siemens nur noch Lahmeyer im Verbund mit Felten & Guilleaume und Bergmann/Berlin überlebt. Rathenau reiste im Herbst 1904 in die USA, um dort „mit General Electric über die Verteilung der elektrischen Welt zu verhandeln“. Tatsächlich schlossen die beiden Weltkonzerne einen Vertrag über den Austausch ihrer Patente und Erfahrungen, legten die Grenzen zwischen ihren Einflussgebieten weltweit fest und sicherten Heimatmarktschutz zu. In der ersten großen Untersuchung des Wettbewerbs auf dem amerikanischen Elektromarkt schrieb die Federal Trades Commission als Kartellbehörde der USA: „Durch diese Verträge wird nicht nur jede ausländische Konkurrenz in den USA ausgeschaltet. Sie verhindern auch, dass andere amerikanische Hersteller in den Besitz wichtiger ausländischer Patente und Fabrikationsgeheimnisse kommen, da diese exklusiv an die beiden großen Gesellschaften übergehen.“ Dasselbe gilt natürlich auch für die deutsche Stromwirtschaft. Gegen Ende der ersten Krise war „die elektrische Welt“ verteilt und die größte wirtschaftliche Machtkonzentration etabliert. Es begann die Herrschaft der Kartelle.
General Electric und Westinghouse in den USA beherrschten den amerikanischen Markt. AEG und Siemens beherrschten rund 75 % des deutschen Marktes. Siemens hatte 1900 rund 16.000 Arbeitnehmer, 1913 gab es schon 82.000. Die Krise wurde von beiden Unternehmen aber auch benutzt, um die Durchschnittsverdienste der Angestellten und Arbeiter zu drücken. Die Siemens-Arbeiterinnen in den Lampenfabriken hatten noch einen Stundenlohn von 32 Pfennig. Das Einkommen des Konzernchefs belief sich in der gleichen Zeit jährlich auf 1,1 Mio. Mark.
AEG, Siemens sowie Felten & Guilleaume bildeten ein Kabelkartell: Die Geschäftsführung verteilte alle Kabelaufträge nach festen Quoten auf die Mitgliedsfirmen und sorgte für ein stark überhöhtes Preisniveau. Dem gleichen Zweck dienten das Isolierrohrkartell und das Drahtsyndikat. Über den nationalen Rahmen hinaus ging das europäische Glühlampenkartell, für das wiederum die USA das Vorbild lieferten:
Mehrere kleine Unternehmen schlossen sich zur National Electric Lamp Company zusammen, die einen Marktanteil von 38 % erwarb. General Electric hatte 42 %, Westinghouse 13 %. Der Chef von General Electric, Coffin, hatte aber bereits bei der Gründung der National Electric heimlich 72 % des Aktienkapitals der kleinen Gesellschaften aufgekauft. Er hielt später sogar 100 %. Der ganze Wettbewerb war also nur vorgespielt. In den USA wurde statt der Kohlefaden- die Wolframfaden-Lampe entwickelt. General Electric schloss mit AEG, der Auer-Gesellschaft und Siemens Abkommen über den Austausch von Metallfaden-Rechten. Alle Patentpiraten wurden per Gerichtsbeschluss zur Aufgabe gezwungen. Glühlampenbau war nur noch aufgrund von Lizenzen von AEG und Siemens möglich.
Die Zeit war reif für einen Schritt über die Grenzen: AEG und Siemens gründeten 1903 das Europakartell mit den 16 wichtigsten Glühlampenherstellern: Gründung der „Verkaufsstelle Vereinigter Glühlampenfabriken“ mit Sitz in Berlin. Gemeinsam lieferten Siemens und AEG fast die Hälfte der in Europa verkauften Glühbirnen.
Ein Kind der Krise war schließlich die Gründung der „Vereinigung Deutscher Elektrizitätsfirmen“. Zweck war „die Herbeiführung und Aufrechterhaltung angemessener Preise für ihre Erzeugnisse“. Auch die Vereinigung Deutscher Elektrizitätsfirmen war ein Kartell. Man traf sich regelmäßig in Berlin zum Mittagessen (anglisierend Frühstück genannt). Ein Kölner Konkurrent, Herr Geist von der gleichnamigen Elektrizitätsgesellschaft, fand das „Frühstückskartell“ ausgezeichnet. Er hatte aber nicht rechtzeitig gemerkt, dass AEG, Siemens und Felten & Guilleaume-Lahmeyer innerhalb des Kartells ein Geheimkartell gebildet hatten, das gegen seine Firma vorging. Als er das schließlich merkte, schaltete Geist eine Anzeige, in der seine Preise für einen Motor und zwei Maschinen als 100 % gesetzt und die Preise der Konkurrenten damit verglichen werden. AEG schoss mit 175 % den Vogel ab. Geist war es ein leichtes, das als „Geheimkartell“ anzuprangern. Die Anzeige erzeugte ungeheures Aufsehen, nicht nur in der Branche, sondern auch in der Öffentlichkeit. Für Geist hatte sein Coup allerdings eine unliebsame Folge: Geist wurde aus dem „Frühstückskartell“ ausgeschlossen. Bei der Erteilung von Aufträgen wurde er zukünftig geschnitten. Immerhin prangerte das Berliner Tageblatt diese Vorgehensweise an.
Die Konzerne setzen außerdem auf Dumping. Ein Beispiel bot die Ausschreibung der Lichtanlage im Bahnhofsgebäude von Bad Homburg. Das Elektrizitätswerk der Stadt bot die Ausführung für 11.800 Mark an. AEG wollte für nur 4.500,70 Mark arbeiten, Siemens gar für nur 4.498,14 Mark: Unterschied: 2,56 Mark. Die Bad Homburger machten das publik, was für ungeheure Aufregung sorgte. Der Preußische Minister für öffentliche Arbeiten wies auf ein Reichsgerichtsurteil hin, wonach eine Absprache unter Ausschreibungsbeteiligten gegen die guten Sitten verstieß, wenn mit der Vereinbarung eine Täuschung des Auftraggebers bezweckt würde. Juristen der Konzerne stritten jede Täuschungsabsicht ab. Aber unter Ziff. 7 ihrer Kartellvereinbarung hieß es: „Der Schutz ist im Interesse der Geheimhaltung des Schutzabkommens nach Möglichkeit zu verschleiern.“ Das war Strategie der Konzerne also bereits seit 1901.
Auf dieser Basis wurden auch die überall im Reich errichteten Überlandzentralen ausgeschrieben. Die Handelskammer Aachen, ein preußisches Staatsorgan, veröffentlichte 1909: „Die Verkaufspreise erfuhren durch die Großfirmen eine derartige Herabsetzung, dass es unmöglich war, bei kleinen Maschinen die Gestehungskosten mit dem Marktpreis in Einklang zu bringen.“ Die Monopolbestrebungen der Großkonzerne setzen sich durch.
Die kleinen Unternehmen prangerten den „verzweifelten Kampf zwischen Spezialfabriken und den Großfirmen“ an, der aber schließlich doch zugunsten des Großkapitals entschieden wurde. Die preußische Regierung sollte Maßnahmen zum Schutz treffen. Doch die preußische Regierung machte nichts. Das Dumping brachte allerdings auch Kartellmitglieder in Schwierigkeiten. Felten & Guilleaume-Lahmeyer gerieten in eine wirtschaftliche Schieflage. Als Retter sprang wiederum Rathenau mit seiner AEG ein, der Aktien des Unternehmens übernahm und den Kabelkomplex in das Firmengebäude der AEG eingliederte. Die Dynamowerke von Lahmeyer wurden als lästige Überkapazität aus dem Verkehr gezogen.
In einer großen Reichstagsrede gegen „die monopolistische Ausbildung des Elektrizitätswesens“ wurden diese Zustände angesprochen. Der Reichstag wurde aufgerufen, die Gewerbefreiheit „gegen die Übermacht des koalierten Großkapitals“ zu schützen. Der zuständige Staatssekretär des Innern sagte, es handele sich „zweifellos um eine Konsequenz der bei uns bestehenden schrankenlosen Gewerbefreiheit“. August Bebel (SPD) rief dazwischen: „Der kapitalistischen Ordnung!“ Der Abgeordnete Delbrück sprach an, ob man nicht „derartige Betriebe zu Monopoleinrichtungen des Reiches oder der Bundesstaaten machen“ soll. Es handele sich schließlich um öffentliche Interessen. Deswegen müssten sie aus der Hand der Privaten in die des Staates gelegt werden. In seltener Einmütigkeit wollte der Reichstag den Vormarsch der Monopole blockiert sehen.
Während im Reichstag die Verstaatlichungsdrohung ertönte, beschlossen die Monopole, den letzten Konkurrenten, den Bergmann-Konzern, auszuschalten. Bergmann war nach der Krise sehr groß geworden, und zwar mit massiver Unterstützung durch die Deutsche Bank. Bergmann hielt sich nicht an die Preisvereinbarungen und unterbot AEG und Siemens häufig um 10 bis 20 %. Aber: Während im Reichstag der Vernichtungskampf der Monopole verdammt wurde, erschien Wilhelm von Siemens in der Vorstandsetage der Deutschen Bank und verlangte, dass dem letzten Konkurrenten der Geldhahn abgedreht werde.