– die Organisation des Netzzugangs,
– die getrennte Rechnungslegung für Erzeugungs-, Übertragungs- und Verteileraktivitäten,
– die Verhinderung des Missbrauchs marktbeherrschender Stellungen zum Nachteil insbesondere der Verbraucher und zur Verhinderung von Verdrängungspraktiken;
jeweils unter Verweis auf einschlägige Regeln der Stromrichtlinie.
Schützenhilfe erhielt der Bundesrat von keinem geringeren als dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Papier, der in einem Aufsatz89 darauf aufmerksam machte, dass der Staat den Wettbewerb auf den Energiemärkten über viele Jahre hinweg beschränkt hatte, indem er Versorgungsmonopole zuließ: Der schon erwähnte § 103 GWB mit dem Recht der Kommunen zum Abschluss von Konzessionsverträgen mit Energieversorgern über 20 Jahre, ferner die Demarkationsverträge, mit denen sich Energieversorger wechselseitig versprachen, nicht in das Versorgungsgebiet des anderen einzudringen. Diese Demarkationsabsprache wurde freilich auch auf ein weiteres Instrument ausgedehnt, das im Gesetz gar nicht vorgesehen war: die sogenannte vertikale Demarkation (im Unterschied zur horizontalen mit den Konzessionsverträgen). Danach erhielt der vorgelagerte Energielieferant etwa für ein Stadtwerk das Recht zur ausschließlichen Belieferung für 20 Jahre. Eine Konkurrenz zwischen den Strom erzeugenden Konzernen und Gas importierenden Ferngasgesellschaften war damit von vornherein ausgeschlossen. Ein Lieferantenwechsel war also nur alle 20 Jahre möglich. Aber auch der wurde von den Strom- und Gaskonzernen mit allerlei Wohltaten für die Geschäftsführer verhindert. Auf derartige Strukturen machte Papier aufmerksam und entwickelte daraus ein Gebot verfassungskonformer „Grundrechtskonkretisierung“. Unternehmen und Kunden, die den Netzzugang reklamierten, könnten sich auf eine grundrechtlich garantierte Wettbewerbsfreiheit berufen, sei es, dass man sie auf die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 oder auf die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG stützte: Interessant, weil damit die Grundrechte, die in der Auseinandersetzung mit Brüssel für eine Einschränkung des Netzzugangs eingesetzt worden waren, nunmehr für eine Netzöffnung dienstbar gemacht wurden. Das lief auf einen Anspruch gegen den Gesetzgeber auf Regelung eines Netzzugangsanspruchs hinaus.
Ein Netzzugangstatbestand wurde mit § 6 EnWG tatsächlich eingeführt, was nicht zuletzt energischem Drängen von Prof. Markert zu danken war.90 Auch wurde in § 6 Abs. 1 Satz 2 EnWG eine Verordnungsermächtigung für Regeln über die erforderlichen Verträge und die Bemessung von Netznutzungsentgelten geschaffen. Die Überschrift über dem Paragraphen lautete aber „Verhandelter Netzzugang“, was doch wohl verfehlt war. Allerdings liefen bereits seit Mitte 1997 Verhandlungen über eine Verbändevereinbarung zwischen der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW), dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und dem Verband Industrielle Kraftwirtschaft (VIK); einen „Durchleitungstatbestand“ lehnte die VDEW ab.91 Eine Verbändevereinbarung hielt die SPD-Bundestagsfraktion aber für unakzeptabel: Ihr energiepolitischer Sprecher befürchtete, „dass eine unverbindliche Vereinbarung zwischen an der Stromwirtschaft beteiligten Verbänden nicht ausreicht, um fairen Wettbewerb einzuführen“.92 Die in der Regelung angekündigte Rechtsverordnung müsse daher kommen.
Der Gesetzentwurf enthielt auch eine Vorschrift zur Rechnungslegung (§ 9 Abs. 2 Satz 1), mit der eine europarechtliche Vorgabe umgesetzt werden sollte. Schon dort fehlte aber der wichtigste Punkt, die Entflechtung zwischen Netz und Vertrieb, was wohl kaum aus Versehen passiert war. Deswegen enthielt sich die Branche weitgehend einer entsprechenden Entflechtung. Ferner fehlten Regelungen über die langfristigen Energiebezugsverträge der Stadtwerke. Das Ministerium verwies93 lapidar auf die „allgemeinen zivil- und kartellrechtlichen Regelungen und Grundsätze“. Cronenberg, Federführer im BMWI, äußerte gleichwohl die Erwartung, dass Stadtwerke ihre Vorlieferanten wechseln könnten. Nachdem der Bundestag den Einspruch des Bundesrates zurückgewiesen hatte, trat das Gesetz am 29.4.1998 in Kraft.
4. Der Wettbewerb bei Strom springt an: Die langfristigen Lieferverträge kippen
Entgegen allen Erwartungen sprang der Wettbewerb auf dem Strommarkt rasch an. Das lag allerdings nicht am Bundeskartellamt. Die „kartellrechtlichen Regeln“, mit denen es das Geflecht der langfristigen Energielieferverträge, das sich über ganz Deutschland zog, hätte aufreißen können, blieben ungenutzt. Das Anspringen des Wettbewerbs hatte vielmehr zwei Auslöser, die eigentlich gar nicht im Interesse der Konzerne lagen:
Einer war der „Fall Waldshut-Tiengen“. Die kleine Kommune an der Schweizer Grenze, traditionell beliefert vom Badenwerk in Karlsruhe, wollte auf Initiative ihres wagemutigen Stadtwerkschefs Karl-Heinz Schilling vom Schweizer Unternehmen atel beliefert werden, das auf der Basis schweizerischen Stroms aus Wasserkraft weit günstigere Bezugspreise anbot. So schnell sich die Anwälte mit dem Verhandlungsführer von atel, einem schweizerischen „Fürsprech“, vergleichbar unserem Syndikus-Anwalt, einigten, so schwierig gestalteten sich die Gespräche mit dem Badenwerk. Dieses wollte schon von vornherein sein Netz nicht für die zu importierenden Strommengen öffnen, solange der langfristige Liefervertrag zwischen den Stadtwerken und dem Badenwerk nicht gelöst war. Ein einstweiliges Verfügungsverfahren auf Netzöffnung hatte zunächst beim Landgericht Mannheim keinen Erfolg. Eine Anfrage beim Gericht zum Procedere bei einer Beschwerde brachte eine unerwartete Wendung: Das Gericht stellte im Hauptsacheverfahren zur Wirksamkeit des Vertrages – das Badenwerk hatte in Verkennung der Reichweite einer kartellrechtlichen Vorschrift, ganz ohne Not, eine entsprechende Feststellungsklage anhängig gemacht – eine rasche Terminierung in Aussicht. Mit seinem Urteil vom 16.4.199994 erklärte das Gericht nicht nur die in dem Vertrag vereinbarte Bezugsbindung an das Badenwerk für rechtswidrig, vielmehr sei auch der ganze Vertrag nichtig, weil die Bezugsbindung ein tragendes Merkmal des Vertrages war. Das Urteil war eine Sensation! Die Badenwerker schlichen mit hängenden Ohren aus dem Gerichtssaal. Waldshut-Tiengen triumphierte – und senkte mit dem Wirksamwerden des Liefervertrages tatsächlich die Preise, wie das Oberbürgermeister Albers in der Gemeinderatssitzung angekündigt hatte. So brachte der Wettbewerb greifbare Ergebnisse.
Die Loslösung aus den langfristigen Verträgen hätte den Stadtwerken allerdings nichts gebracht, wenn es keine Lieferanten gegeben hätte, die bereit waren, mit besseren Preisen Wettbewerb zu machen. Da passierte etwas völlig Unerwartetes: Zum RWE-Konzern gehört die Tochter Heidelberger Druckmaschinen mit Sitz in Heidelberg, mithin im Netzgebiet des Badenwerkes, das gerade mit der EVS zur Energie Baden-Württemberg (EnBW) fusioniert wurde. RWE verlangte von der EnBW, ihre Tochter unter Inanspruchnahme des EnBW-Netzes selbst zu versorgen. Die Bedeutung dieses Verlangens ging weit über den Wunsch nach Befriedigung des Energiebedarfs im eigenen Konzern hinaus. Denn RWE erklärte damit, dass der Konzern nicht länger gewillt war, das System der geschlossenen Versorgungsgebiete zu achten, das – bezogen auf die Konzernebene – ja zugleich die stillschweigende Abmachung enthielt, dass sich die „großen Schwestern“ keinen Wettbewerb machen würden. Der Vorstoß von RWE war daher sehr, sehr weitreichend – aber EnBW musste sich ihm wegen der Änderung des rechtlichen Rahmens fügen.
Das geschah freilich nicht ohne Revanche. EnBW machte vielmehr jedem Stadtwerk im bisherigen Versorgungsgebiet von RWE Lieferofferten, das um solche ersuchte. EnBW stellte dafür eigens eine Armada von Stromhändlern ein, die teilweise nicht viel vom Geschäft verstanden, sondern nur vom Auftrag getrieben waren, der EnBW Kunden zu verschaffen, koste es, was es wolle. Das war übrigens keineswegs Frucht einer kurzfristigen Taktik. Vielmehr verfolgte EnBW damit eine grundlegend neue Strategie, nämlich die, das eigene Versorgungsgebiet massiv auszuweiten. Diese Strategie wurde nicht allein in Stuttgart ausgeheckt. Vielmehr stand dahinter ein deutsch-französisches Joint Venture: Das Land Baden-Württemberg hatte nämlich seine 45 %ige Beteiligung an den vormaligen Konzernen EVS und Badenwerk, die nach Fusion an der EnBW bestand, an die Electricité de France (EdF) verkauft. Die EdF, die in Frankreich keinerlei Neigung erkennen ließ, sich dem Wettbewerb zu öffnen, unterstützte als Beteiligungspartner der EnBW die entgegengesetzte Vorgehensweise. EnBW gründete Yello, eine Handelstochter mit Sitz in Köln, deren Aufgabe vor allem die Gewinnung von Haushalts- und kleineren Gewerbekunden war. Dafür wurde eine – nach Ansicht