Drug hasste Varinez und Baaludor. Erst in den letzten Tagen seiner mittlerweile fast sechs Wochen andauernden Gefangenschaft in der Gewalt der Alben hatte er sich die Mühe gemacht, ihre Namen zu behalten. Bisher war das auch kaum nötig gewesen, da sie sich die meiste Zeit über ohnehin in getrennten Gitterwagen befunden hatten, in denen sie von den Schwarzaugen wie Vieh durch die Landschaft gekarrt wurden. Nun hatten ihre Knechter jedoch ein elfisches Gefängnis erobert – zumindest war es das, was er dem Gespräch von Saparin und Nemesta entnehmen konnte, welches die beiden beim Durchqueren des Kerkers vor seiner Zellentür geführt hatten.
Warum die Alben ihn einsperrten, anstatt seinem Dasein ein würdiges Ende zu bereiten, wusste er nicht. Ebenso wenig, wie lang er diesen Keller sein Zuhause nennen und die Gesellschaft seiner Artgenossen ertragen musste. Aber eines war klar: Er war es gewohnt, Befehle zu erteilen und nicht sich mit anderen zu einigen. Lange würde er sich die beiden nicht mehr gefallen lassen, so viel war klar.
Doch da die zwei sich untereinander so gut verstanden, dass sie ihre beiden Elfen sogar gemeinsam zu Tode quälen wollten, konnte er es nicht wagen, offen gegen sie aufzubegehren. Trotzdem würde er sie töten. Entweder, wenn sie schliefen oder aber spätestens nachdem ihnen der Ausbruch aus diesem Rattenloch gelungen war. Allerdings konnte er sich für den Moment auch erst einmal damit begnügen, ein anderes Leben auszulöschen.
Langsam fuhr Drug herum und ein breites Grinsen legte sich auf sein echsenartiges Antlitz, als er Darius in die Augen sah. »Schön, du lebst noch«, grunzte er zufrieden und ging gemächlich auf ihn zu. »Wir beide haben schließlich noch eine Rechnung miteinander zu begleichen.«
Nach wie vor lag der junge Krieger auf dem Rücken und hatte den Kopf in den Armen seiner Gefährtin gebettet. Durch die Zwischenräume der Gitterstäbe hindurch hielten sie einander in tiefer Verbundenheit an den Händen, was Drug mit einem abschätzigen Schnauben quittierte.
»Wie niedlich, der Mörder meiner Männer und die Mörderin meines Bruders werden im Angesicht ihrer gerechten Strafe sentimental«, schnarrte er hämisch und fletschte die Zähne. Doch weder zu Darius noch zu Therry drangen seine Worte richtig durch.
Kalter Schweiß lief den beiden Iatas aus jeder Pore und ihre Herzen schienen im gleichen Takt immer schneller zu schlagen. Noch immer bestand für Darius keine Chance sich zu erheben, geschweige denn den Kampf mit dem riesigen Ungeheuer aufzunehmen. Obwohl er angespannt und hilfebedürftig war wie noch nie zuvor in seinem Leben, ließ sich die geheimnisvolle Biestkraft, mit der er selbst Loës beinahe in seine Schranken hatte weisen können, weiterhin beharrlich missen. Der Blick in Therrys Gesicht verriet ihm, dass auch sie diesbezüglich keine Veränderung an sich spüren konnte.
In der kurzen Zeitspanne, während der sie die streitenden Orks beobachtet hatten – immer in der Hoffnung, sie mögen sich gegenseitig die Schädel einschlagen – war das erblindete Auge seiner Gefährtin weiter angeschwollen. Es schien nun, einer riesigen Träne gleich, eine wässrig-gelbe Substanz abzusondern, während die Blutung selbst zu Schorf verkrustet war. Allerdings war inzwischen nicht nur Therrys Augenhöhle, sondern ihre gesamte rechte Gesichtshälfte von der rötlich-braunen Kruste überzogen.
»Wenn du nicht die Frau wärst, die meinen kleinen Bruder umgebracht hat, dann könntest du mir jetzt fast leidtun«, sagte Drug, der inzwischen vor Darius haltgemacht hatte, mit bitterer Stimme. Obwohl diesmal kein Hohn in seinen Worten lag, war dennoch zu bezweifeln, dass er sie ernst meinte. Doch weder Darius noch Therry widmeten dem Ork auch nur einen Lidschlag ihrer Aufmerksamkeit. Die Blicke der beiden galten nur einander, nun da sie wussten, dass es endgültig vorbei war.
Mit einer stummen Geste in Amestris’ Richtung, die sich weit ins Innere ihrer Zelle zurückgezogen hatte, bedeutete Darius seiner Gefährtin, sich ebenfalls in Sicherheit zu bringen. Aber Therry schüttelte nur leicht den Kopf und lächelte ihn milde an.
»Bevor ich dem Wundfieber erliege, sterbe ich lieber hier und jetzt, gemeinsam mit dir«, flüsterte sie und drückte seine Hand noch ein wenig fester.
»Dem Wunsch komme ich gerne nach!«, knurrte Drug mit tiefer Stimme und ließ bedrohlich die Faustknöchel knacken. Doch wieder ignorierten die beiden ihn und in einem seltsam fehlangebrachten Gefühl von Sicherheit, erwiderte Darius den Händedruck, ungeachtet des Brennens, welches Therrys Finger auf seinem verbrannten Fleisch auslösten.
Auch wenn er sicher war, dass sich der Zorn des Orks noch steigern würde, wenn sie ihm weiterhin keine Beachtung schenkten, hielt der junge Krieger weiterhin daran fest, die letzten Augenblicke seines Lebens dem Menschen zu widmen, der ihm mehr bedeutete als jeder andere. Obwohl ihr Gesicht durch die furchtbaren Verletzungen und das geronnene Blut grausam entstellt war, umgab Therry dennoch eine Art von Schönheit, die jenseits aller weltlichen Ideale lag. Sowohl Darius als auch sie hatten nun keine Angst mehr vor dem Tod.
»Schau dir deine Schwester genau an, Mensch. Sie ist das Letzte, was du siehst«, grunzte Drug und hob seinen riesigen Fuß vom Boden, um das angebrochene Genick seines Feindes endgültig zu zerstampfen.
»Joa?« Nubrax’ Stimme war noch immer flüsterleise und kaum verständlich. Das erhebende Gefühl des Kampfrausches, welches beim Angriff der beiden Alben eingesetzt und die Schmerzen in seiner Kehle wenigstens ein bisschen unterdrückt hatte, ebbte nun immer mehr ab. Der Versuch, weitere Worte hervorzubringen, endete daher lediglich in einem erstickten Husten.
Bittere Tränen schossen dem Prinzen in die Augen, als die Innenseiten seines Halses beim Schlucken aneinander kleben zu blieben schienen. Dem heiseren Röcheln folgten einige Brocken blutigen Auswurfs und zusehends schlimmer werdende Atemnot. Nichtsdestotrotz verharrte er kniend auf der Brust des unter ihm begraben liegenden Alben und drückte ihm mit schraubstockartiger Härte das Handgelenk immer tiefer in den lehmigen Boden. Auf das schmerzhafte Stöhnen des Kriegers reagierte er nicht.
»Nubrax, bist du es wirklich?« Wieder ertönte die zittrige Stimme der Zwergin, die nun unmittelbar an ihn herangetreten war und vorsichtig die Hand ausstreckte. Für einen Außenstehenden mochte es wirken, als könne sie erst an die Existenz ihres Artverwandten glauben, wenn ihre Finger sein bärtiges Gesicht berührten. Doch obwohl ein sanftes Lächeln ihre leicht geröteten Wangen umspielte, zuckte sie im letzten Augenblick vor ihm zurück. Wie bei einem Fisch, der auf dem Trockenen lag, öffnete und schloss sich der Mund der stämmigen Frau einige Male in rascher Folge, ohne dass sie dabei auch nur einen Ton herausbrachte.
Nubrax schwieg. Trotz seines hämmernden Pulsschlages und dem unentwegten Schnauben des Schwarzäugigen war die Stille unglaublich drückend. Fast hatte er das Gefühl, der gesamte Wald würde gespannt den Atem anhalten, nur um Joas Wortkargheit zu lauschen. Selbst die Kampfgeräusche zwischen Ephialtes und dem jüngeren Alben waren verstummt. Dafür konnte er nun förmlich spüren, wie sich die Blicke der beiden stechend in seinen Rücken bohrten.
Brüskiert und in ehrlicher Anteilnahme über sein Schicksal sah die Zwergin, welche in eine leichte Lederrüstung gekleidet war, zu dem unter Nubrax liegenden Mann hinab. Sein Gesicht war bereits purpur angelaufen und die schwarz glänzenden Augen ein Stück weit aus ihren Höhlen getreten. Seine bis eben noch aristokratisch erhabenen Züge wirkten seltsam verschroben und entsprachen keinesfalls mehr dem Bildnis seiner Rasse.
»Geh runter von ihm.« Joas Worte waren sanft und betont sachlich. Nicht eine Spur von Vorwurf klang in ihnen mit. Es wirkte beinahe so, als spräche sie über einen bloßen Gegenstand. Doch als Nubrax nicht sofort tat, wie ihm geheißen, sondern im Gegenteil noch immer das kurze Kampfmesser angriffsbereit umklammert hielt, machte sie erneut Anstalten, ihn berühren zu wollen. Diesmal allerdings, um ihn mit sanfter Gewalt von dem Alben herunterzubugsieren. Der wagte aus Angst vor Konsequenzen nicht sich zu bewegen.
»Das ist alles nur ein Missverständnis. Du brauchst keine Angst zu haben. Ehlasco wird dir nichts tun, solange ich dabei bin, das kannst du mir glauben«, versicherte die Zwergin nun etwas eindringlicher und machte eine bedeutungsvolle