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Dabei sind verschiedene Aspekte bei der Bemessung eines angemessenen Sozialplanes zu berücksichtigen und somit auch in der Aufstellung einer vertretbaren und begründbaren Forderung im Blick zu behalten sowie betriebs- bzw. fallindividuell anzupassen. Generell sind zwischen populären Höchstforderungen, die vor allem aus den Medien in Form von „goldenen Handschlägen“ bekannt sind, und klassisch niedrig angesetzten Arbeitgeberangeboten realistische Kompromisse zu finden und auszutarieren.
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Grundlage für die Diskussionen sind die unbestimmten Vorgaben durch Gesetzgeber und Rechtsprechung, die bewusst offengehalten sind und nur grobe Leitplanken setzen: Einerseits darf der Sozialplan keine über den Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile hinausgehenden Leistungen vorsehen. Andererseits verlangt § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, dass der Sozialplan – unter dem Vorbehalt seiner wirtschaftlichen Vertretbarkeit – zumindest so dotiert ist, dass seine Leistungen eine effektive Milderung der wirtschaftlichen Nachteile der Beschäftigten darstellen. Es muss sich um eine im Verhältnis zu den Nachteilen substanzielle, spürbare Entlastung der Beschäftigten handeln.1
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Die wirtschaftlichen Nachteile sind in der jüngeren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes vor allem im Lichte der zukunftsbezogenen Überbrückungsfunktion zu sehen.2 Die in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts teilweise herangezogene vergangenheitsbezogene Entschädigungsfunktion3 ist hingegen mittlerweile nicht mehr zentraler Bestandteil der höchstrichterlichen Betrachtungen. Gleichwohl findet das Prinzip der Vergangenheitsbetrachtung auch heute noch in den gängigen Formeln der Abfindungsberechnung Berücksichtigung, indem die Betriebszugehörigkeit zumeist maßgeblich die Höhe der Abfindungsleistung mitdefiniert.
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Zur Berechnung der anzunehmenden wirtschaftlichen Nachteile aus Sicht des Betriebsrats sind dabei mit dem Blick des externen Beraters vor allem drei verschiedene Dimensionen im Blick zu behalten. Diese weisen – schematisch gesehen – eine betriebliche, unternehmerische sowie individuelle Dimension auf und sollen nachfolgend erläutert werden.
2. Die betriebliche Dimension
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Zunächst bezieht sich ein Sozialplan auf den betriebsverfassungsrechtlich definierten Betriebsbegriff. Selbst wenn eine betriebsändernde Maßnahme gleichmäßig über verschiedene Betriebe eines Unternehmens umgesetzt wird und somit der Gesamtbetriebsrat ggf. für den Interessenausgleich zuständig ist, so ist doch weitgehend unbestritten, dass der örtliche Betriebsrat in der Frage des Sozialplanes in der überwiegenden Zahl der Fälle die originäre Zuständigkeit besitzt.4
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Dies ist nicht zuletzt auf die Vorgabe des § 112 Abs. 5 BetrVG zur Bemessung des Sozialplanes in einer Einigungsstelle zurückzuführen, wonach die „sozialen Belange der betroffenen Arbeitnehmer zu berücksichtigen“ (§ 112 Abs. 5 Satz 1 BetrVG) sind. Darüber hinaus sind nach § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BetrVG beim Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile Leistungen vorzusehen, die den Gegebenheiten des Einzelfalls Rechnung tragen.
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Unmittelbar einleuchtend ist, dass der wirtschaftliche, in Euro zu bewertende Nachteil von Menschen, die ihren Arbeitsplatz im Umland von wirtschaftsstarken Metropolregionen verlieren, ein anderer ist als für diejenigen, denen dieses Schicksal in eher strukturschwachen Gegenden widerfährt. Wenn nun also ein Unternehmen jeweils einen Betrieb in den beiden genannten Regionen betreibt und an beiden Standorten eine vergleichbare Zahl von Menschen mit vergleichbaren Berufen entlässt, sind die sozialen Belange und wirtschaftlichen Nachteile der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und auch die Gegebenheiten des Einzelfalls voraussichtlich alleine aufgrund der geographischen Lage und des damit zusammenhängenden sozioökonomischen Umfeldes deutlich unterschiedlich.
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Im Lichte dieser grundsätzlichen Aussagen ist dann vom Betriebsrat zunächst der entstehende wirtschaftliche Nachteil für die Beschäftigten durch den Verlust ihres Arbeitsplatzes zu bewerten. Dabei zugrunde zu legen ist das nach Auslaufen der Kündigungsfrist zu erwartende fehlende Entgelt aus dem Arbeitsvertrag inklusive sämtlicher erhaltener Einmalzahlungen und variabler Komponenten sowie zu erwartender Rentennachteile (inkl. Verluste aus nicht mehr bedienter betrieblicher Altersvorsorge). Gegengerechnet werden können diesem Entgeltverlust die möglichen Transferleistungen durch die Arbeitsagentur oder absehbare Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften (Transfergesellschaften). Zusätzlich sind die Aussichten auf eine vergleichbare Anschlussbeschäftigung in absehbarer Zeit ins Kalkül zu ziehen. Letzteres verdeutlicht durch seinen regionalen, räumlichen Bezug die Notwendigkeit der Fokussierung eines Sozialplanes auf die jeweilige betriebliche Perspektive.
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Besonders dieser Aspekt ist häufiger Gegenstand von Auslegungsfragen und Diskussionen. Als Versuch der Objektivierung wird dabei meist die regionale, offizielle Arbeitslosenquote herangezogen, die durch die guten Arbeitsmarktdaten in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts dann unternehmensseitig als Argument für einen geringer zu bemessenden wirtschaftlichen Nachteil herangezogen wird. Dem kann betriebsratsseitig eine tiefergehende Analyse der Arbeitsmarktlage und der tatsächlich verfügbaren offenen Stellen entgegengestellt werden. Hierbei sollten die Qualifikationen der ausscheidenden Beschäftigten mit der Nachfrage am Arbeitsmarkt und den zu erwartenden Arbeitskonditionen abgeglichen werden. Insbesondere bei einem Abbau von un- bzw. angelernten Beschäftigten besteht trotz positiver Makro-Arbeitsmarktdaten ein erhebliches Risiko, in dauerhafte Arbeitslosigkeit oder prekäre Beschäftigungsformen abzugleiten. Diese oder ähnliche berufsgruppenspezifische oder sozioökonomisch konnotierte Ausgangssituationen bedürfen dementsprechend einer konkreteren Aufarbeitung, als dies lediglich mit einem Blick auf die allgemeine Arbeitslosenquote ermöglicht wird. Hierbei kann ein Blick in die reichhaltige – und leider ein wenig unübersichtliche gestaltete – Statistikseite der Arbeitsagentur helfen. So wird z.B. in einem dort zu findenden Analysetool ersichtlich, dass Menschen ohne Berufsabschluss ein signifikant höheres Risiko haben, in Langzeitarbeitslosigkeit abzugleiten, als dies für Menschen mit betrieblichem oder akademischem Ausbildungsabschluss der Fall ist.5 Die gleiche Aussage lässt sich in eben dieser Analyse für Menschen ab 55 Jahren validieren. Es kann sich daher betriebsratsseitig lohnen, tiefer in statistische Analysen und Berichte einzusteigen, um sich ein genaueres Bild des zu erwartenden wirtschaftlichen Nachteils von betroffenen Kolleginnen und Kollegen zu machen. Neben der genannten Statistikseite der Bundesagentur für Arbeit sei hierzu als weitere mögliche Quellen zur Untermauerung von Argumentationslinien auch auf das Statistische Bundesamt6 sowie auf Daten der Hans-Böckler-Stiftung,7 der Gewerkschaften und entsprechender Branchenverbände verwiesen. Bei sämtlichen dargestellten Quellen ist zudem auch der branchenspezifische Aspekt zu hinterfragen. So ist beispielsweise für ausgebildete Fachkräfte in bestimmten Berufszweigen von höherem Arbeitsmarktrisiko auszugehen als für Fachkräfte in Branchen mit hoher arbeitgeberseitiger Nachfrage. Als Beispiel für erstere Branche ist in der zunehmend digitalisierten Welt der Ausbildungsberuf des Druckers zu nennen, hohe Nachfrage nach Fachkräften besteht zum Zeitpunkt des Entstehens dieses Beitrags hingegen exemplarisch im Pflegebereich oder auch in Ingenieurberufen.
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Weiterhin sollte bei drohenden Arbeitsplatzverlusten für Beschäftigte in tarifgebundenen Betrieben mitbedacht werden, dass eine neue Stelle oft nur in nicht tarifgebundenen Betrieben zu finden ist. Durchschnittlich sind hierbei meist signifikante wirtschaftliche Einbußen, z.B. in Form geringerer Arbeitsentgelte, schlechterer Sozialleistungen oder längerer Arbeitszeiten zu erwarten. Bei einer ganzheitlichen Betrachtung der Thematik ist auch die Frage des höheren Jobverlustrisikos bei einem neuen Arbeitgeber durch Verlust von kündigungsschutzrechtlichem „Besitzstand“, durch Probezeit und Befristungsmöglichkeiten zu berücksichtigen und in die Betrachtung des wirtschaftlichen Nachteils „einzupreisen“.
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Eine Orientierung