Für den Unternehmer ist insbesondere der Zeitpunkt ausschlaggebend, in dem der Betriebsrat nach § 111 Satz 1 BetrVG bei einer geplanten Betriebsstilllegung unterrichtet werden muss, um etwaigen Ansprüchen der betroffenen Beschäftigten aus § 113 BetrVG auf Ausgleich der durch eine fehlende Betriebsratsbeteiligung entstehenden wirtschaftlichen Nachteile vorzubeugen. Die Beteiligungsrechte entstehen, sobald der Unternehmer den Entschluss zur Betriebsstilllegung gefasst hat. Der Betriebsrat sollte dementsprechend zur Vermeidung von Ansprüchen aus einem Nachteilsausgleich vor dem Beginn der tatsächlichen Durchführung der Maßnahmen zur Umsetzung der Betriebsstilllegung beteiligt werden.
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In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche Maßnahmen bereits als Durchführung der Betriebsstilllegung gelten, sodass diese erst nach der Beteiligung des Betriebsrats zu empfehlen sind. Die Einstellung der Produktion stellt noch keine Betriebsstilllegung dar, da diese jederzeit einseitig vom Unternehmer rückgängig gemacht werden kann, sollte die Betriebsorganisation als solche noch bestehen.29 Ebenso verhält es sich mit etwaigen Freistellungen der betroffenen Beschäftigten, da eine Freistellung den Bestand des Arbeitsverhältnisses nicht tangiert.30 Ob der Ausspruch von Kündigungen bereits die Durchführung der Betriebsstillegung darstellt, hängt davon ab, ob der Arbeitgeber bereits den Entschluss gefasst hat, den Betrieb zu schließen.31
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Maßgeblich für den Zeitpunkt des Beginns einer Betriebsstilllegung ist dementsprechend, ob die betriebliche Organisation durch die Maßnahme des Unternehmers aufgelöst wird und ob die Maßnahme unumkehrbar ist oder von dem Unternehmer einseitig wieder aufgehoben werden kann.32 Dies ist beispielweise bei der Veräußerung von Betriebsmitteln nicht der Fall,33 diese Maßnahme kann nicht ohne die Mitwirkung des Käufers der Betriebsmittel rückgängig gemacht werden.
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Die vollständige Stilllegung eines Betriebs ist in der Regel mit erheblichen Nachteilen für die Beschäftigten verbunden, da sie zu einem Verlust der Arbeitsplätze führt. Arbeitgeber sollten bezüglich des Zeitpunkts der Beteiligung des Betriebsrats bedenken, dass eine möglichst frühe Einbindung der Arbeitnehmervertretung in die Planung der Stilllegung zu einer höheren Akzeptanz seitens der Beschäftigten und mithin in der Regel auch Arbeitsbereitschaft bis zur tatsächlichen Betriebsstilllegung führen kann. Ebenso können aus Arbeitgebersicht frühzeitig (kollektiv) geregelte Incentivierungen sinnvoll sein. Dies insbesondere im Hinblick darauf, dass Beschäftigte nach der Bekanntgabe der Betriebsstilllegung gegebenenfalls eine Eigenkündigung mit einer relativ kurzen Frist aussprechen, obwohl sie zur Weiterführung des Betriebs bis zur tatsächlichen Stilllegung oder darüber hinaus für Abwicklungsarbeiten dringend benötigt werden.
cc) Abgrenzung zu anderen Maßnahmen
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Teilweise kann die Abgrenzung einer Betriebsstilllegung zu den weiteren in § 111 Satz 3 BetrVG geregelten Fällen von Betriebsänderungen schwierig sein So kommt etwa bei der Verlegung eines Betriebs an einen neuen Standort, die grundsätzlich unter § 111 Satz 3 Nr. 2 BetrVG fällt, auch eine Betriebsstilllegung in Betracht, wenn die ursprüngliche Betriebsorganisation aufgelöst und am neuen Standort eine im Wesentlichen neue Betriebsorganisation aufgebaut wird. Ausschlaggebend für die Abgrenzung zwischen einer Stilllegung und einer Verlegung ist, ob die Belegschaft ausgetauscht oder ob diese aus dem vorherigen Standort übernommen wird.34 Die Abgrenzung ist in der Praxis jedoch nicht von Bedeutung, da beide Maßnahmen eine beteiligungspflichtige Betriebsänderung darstellen. Bedeutung hat diese Frage hingegen im Hinblick auf das Schicksal des Betriebsrats. Im Falle einer Verlegung bleibt dieser im Amt, während bei einer Stilllegung gemäß § 21b BetrVG lediglich ein Restmandat besteht.
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Des Weiteren stellt sich bei einem Inhaberwechsel (Betriebsübergang i.S.d. § 613a BGB) die Frage, ob gleichzeitig eine Betriebsstilllegung vorliegt. Stilllegung und Betriebsübergang schließen sich jedoch gegenseitig aus.35 Während der Betrieb bei dem Übergang auf einen neuen Inhaber in seiner Organisation bestehen bleibt, stellt die Auflösung der betrieblichen Organisation eine Stilllegung dar. Ein bereits stillgelegter Betrieb kann nicht mehr veräußert werden. Dementsprechend fehlt es an einem endgültigen Entschluss des Unternehmers zur Schließung des Betriebs und damit an einer beteiligungspflichtigen Betriebsstilllegung i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG, sollte dieser noch Verhandlungen über eine Veräußerung des Betriebs führen.36
b) Einschränkung
aa) Begriffsbestimmung
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Eine Einschränkung des Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen i.S.v. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG liegt vor, sollte die Leistungsfähigkeit des Betriebs durch eine unternehmerische Maßnahme auf Dauer herabgesetzt werden, wobei die betriebliche Organisation als solche bestehen bleibt. Dies kann sowohl durch die Verringerung oder den Entzug von Betriebsmitteln als auch durch eine Einschränkung der personellen Leistungsfähigkeit mittels einer Reduktion der Zahl der Beschäftigten durch den Ausspruch von Kündigungen erfolgen.37 Als Betriebsmittel sind alle sachlichen Mittel wie beispielsweise Maschinen zu qualifizieren, die von den Arbeitnehmern zur Erreichung des arbeitstechnischen Zwecks des Betriebs genutzt werden.
bb) Personalabbau als Einschränkung i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG
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Von hoher praktischer Relevanz sind insoweit Maßnahmen des Personalabbaus Auch ein reiner Personalabbau kann eine Einschränkung i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG darstellen und damit beteiligungspflichtig sein.38 Dies ist der Fall, sollte die Anzahl der vom Personalabbau betroffenen Beschäftigten die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG erreichen. Unter die betroffenen Beschäftigten fallen nicht nur solche, deren Arbeitsverhältnis durch eine arbeitgeberseitige Kündigung endet, sondern auch Beschäftigte, die vom Arbeitgeber zu einer Eigenkündigung oder dem Abschluss eines Aufhebungsvertrags aufgrund der Betriebsänderung veranlasst werden,39 etwa im Rahmen eines Freiwilligenprogramms.
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Sollte die Betriebsänderung ausschließlich in einem Personalabbau bestehen und keine weiteren Maßnahmen beinhalten, ist zudem § 112a BetrVG zu beachten, der für die Erzwingbarkeit eines Sozialplans erhöhte Schwellenwerte vorschreibt.
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Bei einem über mehrere „Wellen“ verteilten Personalabbau, der auf einem einheitlichen Entschluss des Unternehmers beruht und insgesamt die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG übersteigt, ist für die Frage des Bestehens eines Beteiligungsrechts des Betriebsrats die ursprünglich vom Entschluss des Unternehmers umfasste Zahl der Beschäftigten maßgeblich. Hierdurch soll eine Umgehung des Beteiligungsrechts der Arbeitnehmervertretung durch eine schrittweise durchgeführte Reduzierung der Beschäftigtenanzahl verhindert werden Ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen den „Entlassungswellen“ spricht zwar für einen einheitlichen Entschluss des Unternehmers,40 dieser muss aber keinesfalls vorliegen.
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Ergibt sich nach einem Personalabbau, der aufgrund der Unterschreitung der Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 BetrVG nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG unterlag, eine neue, verminderte Beschäftigtenanzahl, die das Unternehmen nunmehr kennzeichnet, und entscheidet sich der Unternehmer sodann für einen weiteren Stellenabbau, so ist die bereits verminderte Beschäftigtenanzahl für ein etwaiges Beteiligungsrecht des Betriebsrats maßgeblich.41
2. Verlegung
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Die Verlegung eines Betriebs i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 2 BetrVG stellt eine Veränderung der örtlichen Lage des ganzen Betriebs oder eines wesentlichen Betriebsteils dar. Die betriebliche Organisation bleibt dabei unberührt, sodass der Betrieb oder der Betriebsteil in seiner Identität unverändert an einem neuen Standort fortbesteht.42