Indes wäre es mehr als voreilig, wenn man daraus schließen würde, eine praeter legem stattfindende Anwendung solcher Eingriffsnormen im Wege der Analogie sei ohne weiteres zulässig.227 Denn auch wenn das für das materielle Strafrecht konzipierte Analogieverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG nicht unmittelbar zur Anwendung gelangt, ist doch in der Ausformung der Konsequenzen, die sich aus dem Gesetzlichkeitsprinzip ergeben, namentlich mit Blick auf das Erfordernis der gesetzlichen Bestimmtheit von Strafgesetzen, die nicht durch analoge oder gewohnheitsrechtlicher Strafbegründung umgangen werden dürfen,228 im Ergebnis weitgehend übereinstimmt mit den Anforderungen, die sich aus den allgemeinen Grundsätzen zum Gesetzesvorbehalt ergeben. Denn die Zulassung der analogen Anwendung strafprozessualer Eingriffsnormen hätte die Missachtung sowohl der rechtsstaatlichen als auch der demokratietheoretischen Komponente des Gesetzesvorbehalts zur Folge,229 da unter diesen Umständen die gebildeten Regeln nicht auf einer parlamentarischen Entscheidung beruhen würden, sondern auf derjenigen des Rechtsanwenders. Diese Einschätzung ist nachfolgend näher zu begründen:
Die analoge Anwendung strafprozessualer Eingriffsnormen stellt einen Verstoß gegen die rechtsstaatliche Komponente des Gesetzesvorbehalts dar, weil die allgemeinen Grundsätze zur Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit des staatlichen Eingriffshandelns in Grundrechte nicht gewährleistet wären, könnten die Exekutivorgane oder die Judikative außerhalb des Anwendungsbereichs der gesetzlichen Regelungen in die Rechtspositionen der Betroffenen eingreifen. Die demokratietheoretische Komponente wäre betroffen, weil es im Falle der analogen Anwendung von Eingriffsnormen nicht der vom Volk legitimierte Gesetzgeber wäre, der darüber entscheidet, unter welchen Voraussetzungen die Einschränkung von Grundrechten zulässig ist, sondern allein die Strafverfolgungsbehörden bzw. der Ermittlungsrichter. Damit folgt, unbeschadet der Nichtanwendbarkeit von Art. 103 Abs. 2 GG im Verfahrensrecht, aus dem allgemeinen verfassungsrechtlichen Prinzip des Gesetzesvorbehalts ein Verbot der analogen Anwendung strafprozessualer Ermächtigungsnormen.230 Einer entsprechenden Anwendung von Regeln, die für den Betroffenen günstig sind und daher nicht in Grundrechte eingreifen, ist insofern allerdings dogmatisch zulässig.231
Doch erschöpfen sich die Parallelen zwischen Gesetzesvorbehalt im Verfahrensrecht und Gesetzlichkeitsprinzip im materiellen Strafrecht nicht im Verbot belastender Analogien. Auch hinsichtlich der Bestimmtheit einschlägiger Normen gelten für materielles wie für formelles Strafrecht im Ergebnis vergleichbare Grundsätze.232 Im materiellen Strafrecht soll das Verbot unbestimmter Strafgesetze sicherstellen, dass für die Normadressaten klar erkennbar ist, welches Verhalten mit Strafe bewährt ist und welches nicht. In der jüngeren Vergangenheit hat das BVerfG darüber hinaus das materiellrechtliche Bestimmtheitsgebot auch auf die Judikative erstreckt, die insbesondere bei unbestimmten Gesetzen zu einer konkretisierenden und präzisierenden Auslegung angehalten ist.233
Ähnliches gilt aufgrund des Gesetzesvorbehalts in jeglichem Eingriffsverhalten des Staates in Grundrechte und daher auch unweigerlich und insbesondere im Verfahrensrecht mit seinen teilweise erheblichen Eingriffen.234 Für den Bürger soll prinzipiell aufgrund der gesetzlichen Eingriffsnorm vorhersehbar sein, unter welchen Voraussetzungen er mit Beeinträchtigungen seiner subjektiven (Grund-)Rechtspositionen zu rechnen hat.235 Darüber hinaus ist nach der Rechtsprechung anerkannt, dass das materielle Grundrecht auch Maßstäbe für eine Verfahrensgestaltung setzt, welche einen effektiven Grundrechtsschutz ermöglicht.236 Insbesondere bei heimlichen Ermittlungsmethoden, bei denen ein Betroffener im Regelfall allenfalls im Rahmen einer nachträglichen Offenlegung Rechtsschutzmöglichkeiten nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG erfährt, ist dieser Verfahrensschutz von erheblicher Bedeutung. Der Gesetzgeber muss durch eine hinreichend klare und präzise Normgestaltung dafür Sorge tragen, dass insbesondere bei solchen heimlichen Maßnahmen eine effektive und vorbeugende Kontrolle stattfindet.237
2. Konsequenz: Notwendigkeit einer bereichsspezifischen Eingriffsnorm
Anhand der vorstehenden Ausführungen wird deutlich, dass einer analogen Anwendung strafprozessualer Eingriffsnormen unüberwindbare verfassungsrechtliche Hindernisse entgegenstehen. Es hat sich gezeigt, dass, jedenfalls im Bereich durchschnittlich eingriffsintensiver strafprozessualer Zwangsmaßnahmen, allein der Gesetzgeber befugt ist, die Voraussetzungen – jedenfalls alle wesentlichen Voraussetzungen – festzulegen, unter denen ein Eingriff in eine spezifische verfassungsrechtlich geschützte Rechtsposition zulässig ist.238 Dies führt zur Forderung nach hinreichend bestimmten bereichsspezifischen Ermächtigungsgrundlagen, die einer Ausdehnung über den vom Gesetzgeber vorgegebenen Eingriffs- bzw. Regelungsbereich durch Analogiebildung oder Schaffung gewohnheitsrechtlicher Eingriffsgrundlagen hinaus nicht zugänglich sind. Das deckt sich inhaltlich mit den Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil für Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aufgestellt239 und die es auf Eingriffe in die Telekommunikationsfreiheit übertragen hat. Bei diesen müssen demnach „der Anlass, der Zweck und die Grenzen des Eingriffs in der Ermächtigung bereichsspezifisch, präzise und normenklar festgelegt werden“.240 Für die folgende Untersuchung ist hiernach von folgenden Prämissen auszugehen:
Die in der Strafprozessordnung vorgesehenen Eingriffsgrundlagen dürfen nur innerhalb ihres spezifischen Eingriffsbereichs angewendet werden. Hat der Gesetzgeber in einer Ermächtigungsnorm einen bestimmten Eingriff in ein bestimmtes Grundrecht geregelt und entsprechend die Eingriffsvoraussetzungen hierauf abgestimmt, kann dieselbe Norm nicht – auch nicht innerhalb des möglichen Wortsinnes – den Eingriff in eine andere grundrechtlich geschützte Rechtsposition begründen. Ausnahmen können höchstens dann bestehen, wenn eine sog. Minus-Maßnahme vorliegt, der mögliche Anwendungsbereich der Norm also nicht voll ausgeschöpft wird. Eine solche Erweiterung ist jedoch dann als unzulässig einzustufen, wenn sie sich gegenüber der Eingriffsermächtigung als aliud darstellen, da sonst wieder eine Umgehung besteht.241 Die Entscheidung darüber, ob dieser neuartige Eingriff unter den in der Norm genannten Voraussetzungen zulässig ist, obliegt allein dem Gesetzgeber.
171 Siehe hierzu nur Kudlich, Missbrauchsverbot, S. 160f. sowie ders., in ders./Monitel/Schuhr (Hrsg.), S. 233f., jeweils m.w.N. 172 Zum Folgenden eingehend Wohlers, in: SK-StPO4, vor § 94 Rn. 1ff. m.w.N. 173 Vgl. zu Letzterem vor allem Landau NStZ 2007, 121ff.; allgemein zur Notwendigkeit der Abwägung von Rechten des Beschuldigten und Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege siehe nur BVerfG NJW 2012, 907, 909 mit zahlreichen weiteren Nachw.; frühzeitig krit. gegenüber dem Topos der effektiven Strafrechtspflege Hassemer StV 1982, 275ff.; weiterführend zum Ganzen Kudlich, Missbrauchsverbot, S. 166ff. m.w.N. 174 Siehe nur Kudlich, Missbrauchsverbot, S. 125f. m.w.N. 175 Vgl. hierzu und zum Folgenden statt Aller BVerfGE 46, 214, 222ff.; aus jüngerer Zeit etwa BVerfGE 133, 168, 199 m.w.N. 176 BVerfGE 46, 214, 222. 177 BVerfGE 46, 214, 222f. 178 Wohlers, in: SK-StPO4, vor § 94, Rn. 2; eingehend BVerfGE 133, 168, 200f. mit ausführlichen Nachweisen aus der Rechtsprechung. 179 BVerfGE 57, 250, 274ff. Gercke, in: HK-StPO, vor §§ 94ff. Rn. 3. 180 Vgl. etwa BVerfGE 19, 342, 347. 181 EuGH, Rs. C-199/92P, Hüls, Slg 1999,