g) Rechtsfolgen bei Verletzung vorvertraglicher Informations- und Aufklärungspflichten
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Werden die vorvertraglichen Informations- und Aufklärungspflichten missachtet beziehungsweise verletzt, liefern die speziellen Regelungen zum spanischen Franchise-Recht keine Hinweise auf die Rechtsfolgen oder Handlungsmöglichkeiten für den (geschädigten) Franchise-Nehmer. Insofern ist auf die allgemeinen Vorschriften des Ley 7/1996 und des Real Decreto vom 24.7.1889 zurückzugreifen.
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Infolge eines Verstoßes gegen die vorvertraglichen Informations- und Aufklärungspflichten kann der Franchise-Nehmer ein Zivilgerichtsverfahren gegen den Franchise-Geber einleiten,61 mit dem Ziel, die Nichtigkeit des Franchisevertrags gemäß Art. 6 Abs. 3 Real Decreto vom 24.7.1889 i.V.m. Art. 62 Ley 7/1996 aufgrund eines Verstoßes gegen Gesetzesrecht herbeizuführen.62
Art. 6 Abs. 3 Real Decreto vom 24.7.1889
Handlungen, die gegen zwingendes (geschriebenes) Recht verstoßen und verboten sind, sind nichtig […].
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Des Weiteren ist die Aufhebung des Vertrages nach Art. 1265 ff. Real Decreto vom 24.7.1889 wegen wesentlicher Mängel – ebenfalls nach den allgemeinen Regeln des Vertragsrechts – möglich.63 Dazu hat der Franchise-Nehmer neben der fehlenden Information/Aufklärung nachzuweisen, dass er den Franchisevertrag nicht abgeschlossen hätte, wenn ihm die vollständigen und korrekten Angaben vorgelegen hätten.64
Art. 1266 Real Decreto vom 24.7.1889
Für die Ungültigkeit aufgrund fehlender Zustimmung muss der Kerngehalt des Vertrages betroffen sein oder die wesentlichen Bedingungen, aufgrund derer der Vertrag geschlossen wurde.
Der Fehler einer Person darf nur zur Ungültigkeit führen, wenn dies als Hauptursache gilt.
Der einfache Mangel führt nur zu seiner Korrektur.
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Sollte die Nichtigkeit des Franchisevertrags festgestellt werden, ist dieser rückwirkend, d.h. von Anfang an (ex tunc) unwirksam und muss rückabgewickelt werden. Sollte es zur Aufhebung des Franchisevertrags kommen, endet seine Wirksamkeit mit Abgabe oder Zugang der Aufhebungserklärung (ex nunc), d.h. in die Zukunft gerichtet.65 Für Schäden, die der Franchise-Nehmer aufgrund der Pflichtverletzung erlitten hat, besteht bei beiden Varianten die Möglichkeit, Schadensersatzansprüche gegen den Franchise-Geber geltend zu machen.66
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Es ist darauf hinzuweisen, dass die Verletzung der vorvertraglichen Informations- und Aufklärungspflichten daneben zu administrativen Sanktionen (Ordnungsstrafen) führen kann. Dies ist Folge der Vermengung von öffentlich-rechtlichen (Art. 62 Abs. 2 – Registrierung des Franchise-Gebers) und privatrechtlichen (Art. 62 Abs. 3 – vorvertragliche Informations- und Aufklärungspflichten) Vorschriften in Art. 62 Ley 7/1996.67 Dadurch bekommt Art. 62 Ley 7/1996 auch einen öffentlich-rechtlichen Charakter, wodurch administrative Sanktionen möglich sind.68 Sowohl natürliche Personen wie auch das Ministerium für Industrie, Tourismus und Handel können ein Verfahren vor den spanischen Verwaltungsgerichten einleiten.69 Nach Art. 68 Abs. 3 Ley 7/1996 können leichte Verstöße gegen Art. 62 Abs. 2 zu einer Strafe in Höhe von 6.000 EUR, bei wiederholten Verstößen bis zu 30.000 EUR führen.70 Beträgt der Umsatz des Franchise-Gebers mehr als 600.000 EUR, dann ist bei der Missachtung des Art. 62 Abs. 3 eine Sanktionierung von bis zu 900.000 EUR möglich.71
h) Beteiligung von Dritten
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In Spanien sind spezielle Schiedsgerichte eingerichtet, die Streitigkeiten aus Franchiseverträgen behandeln.72 Hauptvorteile des Schiedsverfahrens sind, dass der Schiedsspruch zeitlich schnell (innerhalb von sechs Monaten nach Beginn des Verfahrens) gefällt wird und dass sich diese Schiedsgerichte ausschließlich mit Streitigkeiten aus Franchisevereinbarungen beschäftigen und daher über eine hohe Sachkompetenz verfügen.73 Das Schiedsverfahren kann in einem Auflösungsbeschluss als anerkannte Alternative zur Vertragsauflösung enden, sofern die Vertragsparteien dies zuvor vereinbart haben.74
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Die Problematik bei der Einbindung der Schiedsgerichtsbarkeit ist, insbesondere im Hinblick auf die nun folgende rechtswissenschaftliche Analyse, dass die Schiedssprüche regelmäßig der strengen (und sanktionierten) Geheimhaltung unterliegen, sodass deren Inhalte verborgen bleiben.
3. Rechtswissenschaftliche Analyse
a) Gesetzeszweck
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Zu Beginn der rechtswissenschaftlichen Analyse ist nochmals auf den Gesetzeszweck einzugehen. Der spanische Gesetzgeber hat mit der Normierung der vorvertraglichen Informations- und Aufklärungspflichten der Gefahr des Missbrauchs der Vertriebsform Franchise entgegen wirken wollen und deshalb Schutzvorschriften für den Franchise-Nehmer erlassen.75 Erklärtes Ziel war die Bereitstellung eines den Franchise-Nehmer schützenden Systems, in welchem die Informations-Asymmetrie ausgeglichen und der Franchise-Nehmer in die Lage versetzt werden sollte, eine freie und informierte Entscheidung treffen zu können.76 Selbst wenn eine vorvertragliche Auskunftspflicht in Spanien bereits vor Existenz der kodifizierten Regelungen anerkannt war und die Pflicht bestand, während der vorvertraglichen Phase eines Franchiseverhältnisses der anderen Partei die für sie relevanten Informationen mitzuteilen, sofern sie ihren Ursprung in der Natur eines Franchisevertrages hatten,77 sollte diese Verpflichtung mit dem Gesetz einen konkret definierten Maßstab erhalten.78 Dieses Ziel wurde allerdings mit den geschaffenen gesetzlichen Vorgaben nicht vollumfänglich erreicht, da die kodifizierten Regelungen neue Probleme und Unsicherheiten hervorbrachten.79 Wie im Folgenden noch zu sehen sein wird, legen die Regelungen eben nicht eindeutig fest, zu welchen Folgen ein Verstoß gegen die Informations- und Aufklärungspflichten führen kann,80 beziehungsweise welche Normen bei einer Missachtung der Pflichtenlage Anwendung finden. Dies wiederum ist der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit wenig zuträglich.
b) Rechtsprechungsanalyse
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Zur Beurteilung der spanischen Vorschriften zum Franchise-Recht kann eine detaillierte Analyse der hierzu ergangenen Rechtsprechung hilfreich sein.
aa) Analyse der Rechtsstreitigkeiten
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Die meisten Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit der Vertriebsform Franchise werden vor Landgerichten (Audiencia Provincial) – zumeist als Berufungsgerichte – entschieden.81 Die Verletzung der vorvertraglichen Informationspflichten durch den Franchise-Geber ist dabei ein durchaus gängiges Problem, mit welchem sich die Gerichte zu befassen haben.82 In Anbetracht fehlender Rechtsprechung des Obersten Spanischen Gerichtshofes findet man jedoch völlig unterschiedliche Entscheidungen der Landgerichte.83 Ein einheitliches Bild ergibt sich daher nicht, selbst ein Clustern der Gerichtsentscheidungen nach ihren Besonderheiten kann nur schwer vorgenommen werden. Im Folgenden soll daher anhand von Auffälligkeiten differenziert werden.
(1) Gerichtliche Argumentation ohne Bezugnahme auf die kodifizierten vorvertraglichen Informations- und Aufklärungspflichten
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Dass die gesetzlichen Regelungen den beabsichtigten Schutz des Franchise-Nehmers nicht vollumfänglich gewährleisten, kommt vor allem darin zum Ausdruck, dass die Gerichte bei ihrer Argumentation – selbst im Rahmen jüngerer