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Selbst im Falle, dass sich die Franchise-Nehmer vor Gericht auf die Anwendung der kodifizierten vorvertraglichen Informations- und Aufklärungspflichten berufen, beruht die sich anschließende gerichtliche Entscheidung nicht auf den Sonderregelungen, sondern auf dem allgemeinen Vertragsrecht.85 Die Gerichte bestätigten daher weder, dass die normierten vorvertraglichen Informations- und Aufklärungspflichten für eine wissentliche und informierte Entscheidung ausreichend sind, noch inwiefern beziehungsweise inwieweit die in den Informationen enthaltenen Angaben wahrheitsgemäß sein müssen.86 Insofern werden immer wieder Prozesse mit denselben Inhalten angestrengt.
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Als Beispiel mögen die Entscheidungen des Landgerichts Valencia vom 17.1.2001,87 des Landgerichts Teruel vom 24.10.200188 und des Landgerichts Burgos vom 11.2.2002 dienen.89 Dabei handelt es sich insgesamt um Entscheidungen, die die gesetzlich normierte Pflichtenlage in ihren Begründungen außer Acht lassen, obschon hier eine in Bezugnahme möglich gewesen wäre. Daneben existieren aber auch Entscheidungen, in denen sich weder das Gericht noch die Franchiseparteien selbst auf die Anwendung der speziellen vorvertraglichen Pflichten berufen, so beispielsweise in der Entscheidung des Landgerichts Albacete vom 18.10.2013.90
(2) Gerichtliche Entscheidungen zu Umsatzprognosen
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In Spanien herrscht zum Teil Unsicherheit darüber, welche Angaben zu den Pflichtangaben der vorvertraglichen Informations- und Aufklärungspflichten zählen und welche nicht, beziehungsweise in welchem Umfang sie zu leisten sind. Insbesondere bei Angaben zum prognostizierten Umsatz fehlt eine klare Linie.
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Vor dem Landgericht Valencia klagte z.B. ein Franchise-Nehmer, da nach seiner Auffassung die vom Franchise-Geber erhaltenen Informationen zum prognostizierten Umsatz nicht mit den Vorgaben des Real Decreto 201/2010 übereinstimmten. Mit Urteil vom 17.1.200191 wies das Gericht die Klage ab, ohne allerdings auf die Vorschrift aus dem Real Decreto 201/2010 Bezug zu nehmen. Als Begründung führte es lediglich aus, dass die streitgegenständliche Umsatz-Prognose nicht auf „Studien oder Erfahrungen“ des Franchise-Gebers beruhe und daher das Risiko des Nichterreichens der nur „geschätzten“ Umsatzzahlen der Franchise-Nehmer zu tragen habe.92 Diese Entscheidung, die zwar strikt am Wortlaut des Gesetzes verhaftet bleibt („geschätzt“ ist dort nicht genannt, weshalb das Gesetz auch unberücksichtigt bleibt), aber dadurch dem Anliegen des Gesetzes diametral entgegen läuft, wird zu Recht kritisch gewürdigt.93
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In einem anderen Fall verneinte das Landgericht Burgos mit Urteil vom 11.2.200294, dass die Angaben eines Franchise-Gebers bezüglich des voraussichtlich zu erreichenden Umsatzes irreführend seien. Begründet wurde dies unter anderem damit, dass sich die Umsatzangaben des Franchise-Gebers – hier das Erreichen einer bestimmten Umsatzgröße – auf ein „Erreichen können“ beziehen dürften.95 Dabei nahm das Landgericht Burgos ebenfalls keinen Bezug auf die Regelungen des Real Decreto 201/2010 im Sinne einer Erläuterung beziehungsweise Kommentierung der geschriebenen Regelung. Und es stellte weiter auch nicht fest, ob der Umstand, dass es sich bei der Angabe des Franchise-Gebers um einen „nur möglicherweise zu erreichenden Umsatz handelte“, als wesentliche Information dem Franchise-Nehmer gegenüber zwingend anzugeben gewesen wäre. Insofern bleiben mehr Fragen als Antworten – eine Konkretisierung der Regelung findet gerade nicht statt.
(3) Gerichtliche Entscheidungen zu (vollständig) unterlassener Information und Aufklärung
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Das Landgericht Teruel lehnte mit Urteil vom 24.10.200196 eine Klage auf Kündigung des Franchisevertrages aufgrund Nichterfüllens der vorvertraglichen Informationspflichten ab.97 Dabei fehlte jegliche Bezugnahme auf Ley 7/1996 oder auf das Real Decreto 201/2010 sowie eine Klärung, ob die beabsichtigte Vertragsbeendigung in diesem Fall eine geeignete Konsequenz sei.98 Begründet wurde damit, dass die Parteien vertraglich vereinbart hatten, dass alle notwendigen Informationen vorliegen.99 Insofern war aus Sicht des Gerichts das Überprüfen dieses Sachverhalts nicht mehr notwendig.
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Insgesamt ist unklar, ob die unvollständige oder gänzlich unterlassene Erfüllung der Informations- und Aufklärungspflichten des Franchise-Gebers die Nichtigkeit oder die Aufhebung des Franchisevertrages zur Folge hat. Ebenso, auf welche Rechtsnorm sich der Franchise-Nehmer berufen kann, wenn der Franchise-Geber eine Pflichtverletzung begangen hat. Es existieren einige Fälle, in denen Gerichte die Nichtigkeit der Vereinbarung aufgrund des Nichterfüllens der vorvertraglichen Pflichten des Franchise-Gebers erklärt haben.100 Dagegen wurde von anderen Gerichten entschieden, dass die Nichteinhaltung der Pflichten bloß ein administrativ zu ahndender Mangel sei, der keine Unwirksamkeit nach sich zöge.101 Im Allgemeinen wird von den Gerichten die Nichtigkeit bei minder schweren Mängeln ohnehin nicht angenommen.102
(4) Gerichtliche Entscheidungen unter Einbezug des Verhaltens des Franchise-Nehmers
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Die spanischen Gerichte bevorzugen bei Nichterfüllen der vorvertraglichen Informations- und Aufklärungspflichten die Anwendung der Art. 1265 ff. Real Decreto vom 24.7.1889, d.h. die Aufhebung des Vertrages wegen wesentlicher Mängel, was zur Folge hat, dass die Beweislast die erzielbare Rechtsfolge mit beeinflusst.103 Denn die Aufhebung des Franchisevertrages aufgrund Art. 1265 ff. Real Decreto vom 24.7.1889 setzt voraus, dass der Franchise-Nehmer den Mangel – die fehlende Information/Aufklärung – nachweisen kann.104
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Sowohl das Landgericht Saragossa (Urteil vom 11.4.2006)105 als auch das Landgericht Madrid (Urteil vom 26.7.2006)106 haben die Aufhebung eines Franchisevertrages abgelehnt, da der Franchise-Nehmer keinen hinreichenden Beweis für die (arglistige) Täuschung seitens des Franchise-Gebers liefern konnte.107 Das Landgericht Saragossa hatte in diesem Fall unter anderem zu entscheiden, ob der Franchise-Geber der Pflicht zur Übertragung von Know-how zur Genüge nachgekommen war. Es sah die Übertragung von Know-how als Grundvoraussetzung eines Franchisevertrages an und führte dies im Sinne von Ley 7/1996 und Real Decreto 201/2010 weiter aus. Letztendlich kam es zu dem Schluss, dass das Know-how insgesamt in ausreichendem Maße übermittelt wurde, da der Franchise-Nehmer nicht in der Lage war, das Gegenteil zu beweisen. Im zweitgenannten Urteil des Landgerichts Madrid wurde die Aufhebung des Franchisevertrages aufgrund von Täuschung abgelehnt. Dabei ging es unter anderem um die Schätzung von Gewinnen und Investitionen durch den Franchise-Geber, welche jedoch zusätzlich von dem Franchise-Nehmer vor Vertragsunterzeichnung selbstständig zu bewerten waren. Das Gericht kam zu der Auffassung, dass der Franchise-Nehmer seine Prüfpflicht betreffend die Angaben verletzt habe und daher das Vorliegen eines Fehlers beweisen müsse. Auch wenn Ley 7/1996 und das Real Decreto 201/2010 dabei einbezogen wurden, so basieren beide Entscheidungen letztendlich ebenfalls nicht auf Grundlage der spezifischen Rechtsvorschriften.108 Vielmehr haben die Gerichte ihre Entscheidungen auf Grundlage der zivilprozessualen Beweislastverteilung getroffen.
(5) Gerichtliche Entscheidungen unter Einbezug der kodifizierten vorvertraglichen Informations- und Aufklärungspflichten
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Wie unter dem vorherigen Gliederungspunkt (4) angesprochen, existiert durchaus – wenngleich in geringer Zahl – Rechtsprechung, die sich mit den kodifizierten vorvertraglichen Informations- und Aufklärungspflichten zumindest auseinandersetzt – so auch die Urteile des Landgerichts Madrid (Urteil vom 16.1.2006)109 sowie des Landgerichts Alicante (Urteil vom 4.5.2006).110
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Im Sachverhalt vor dem Landgericht Madrid forderte ein Franchise-Nehmer die Beendigung des Vertrages sowie Schadensersatz für die dadurch entstandenen Verluste, weil eine Unterstützung seitens des Franchise-Gebers im Hinblick auf den ordnungsgemäßen Geschäftsbetrieb wegen unzureichender