»Mit anderen Worten: Euch. Euch und diesen anderen ausländischen Jüngling, der ohne nennenswerte Abstammung auskommen muss«, fügte Tumàsz verächtlich hinzu, wobei er Larniax mit den Augen kaum streifte. »Was ganz und gar nicht ausreicht, mich und den Rest des Hochadels zu beruhigen! Ich ermahne Euch, besinnt Euch rasch, oder Ihr werdet die Konsequenzen zu tragen haben.«
»Wollt Ihr mir etwa drohen, Adeliger Tumàsz?« Kirin spürte das Blut in seinen Ohren pulsieren und zwang sich nur mit äußerster Mühe, seine Hände ruhig zu halten.
Tumàsz deutete ein weiteres winziges Kopfrucken an. »Keine Drohung, Exzellenz. Aber seht, auch für viele Eurer Soldaten ist unverständlich, warum sie sich nach so großen militärischen Erfolgen aus den eroberten Gebieten zurückziehen mussten, nachdem man ihnen doch Reichtümer und Ehren versprochen hatte. Noch gelingt es den für die jeweiligen Bezirke zuständigen Adeligen, sie mit Goldprämien und Ablenkung in Form von übermäßigen Nahrungslieferungen an die Kasernen ruhig zu halten. Aber wenn Eure Exzellenz uns kein Entgegenkommen zeigt … nun, dann werden die einen oder anderen von uns vielleicht eher geneigt sein, dem Zorn der Windreiter Verständnis entgegen zu bringen. Eure Exzellenz möge darüber entscheiden.«
Kirin brauchte einige Herzschläge, um sich wieder zu fassen. Wie gerne hätte er diesem aufgeblasenen Widerling einfach die Faust ins Gesicht geschlagen und dabei zugesehen, wie seine Zähne der Reihe nach ausfielen! Doch solche Ausfälle hatte er sich erlauben können, als er noch ein Schützling der ostländischen Heerführer gewesen und unter den Soldaten als Hoffnungsträger hochgejubelt worden war. Jetzt, als Großfürst, musste er jede Handlung doppelt und dreifach überdenken. Wie er es hasste.
Aderuz trat an seine Seite und legte nun an Larniax‹ Stelle die Hand auf seine Schulter. Kirin mochte kurz versucht gewesen sein, sie wegzuschlagen, doch ein Blick in Aderuz‹ Gesicht zeigte ihm, dass der Heiler genauso wütend war wie er selbst.
»Dann geht zurück zu Euren Freunden und beruft Euer Gremium ein! Hier in der Hauptstadt! Damit Seine Exzellenz die Gesichter derer sehen kann, die es wagen, seinen Anspruch mit Füßen zu treten.«
Tumàsz verbeugte sich, was hieß, dass er spöttisch mit drei Fingern seine Stirn berührte, dann drehte er Kirin demonstrativ den Rücken zu und ging davon.
Aderuz trat vor Kirin hin und versperrte ihm so die Sicht auf dessen Hinterkopf. »Atmet jetzt tief durch, Exzellenz«, flüsterte er so, dass es in dem immer lauter werdenden Gemurmel der Menge niemand hören konnte. »Bewahrt Haltung, so schwer es auch fällt.«
»Ich muss hier raus, Aderuz!«, stieß Kirin hervor, »ich muss raus, oder ich erschlage jemanden!«
Der Heiler nickte. Er wandte sein Gesicht den Versammelten zu und rief laut und deutlich über den Lärm hinweg: »Die Audienz ist unterbrochen! Seine Exzellenz wird sich morgen zur Mittagsstunde erneut hier einfinden und die weiteren Besucher und Gesandten empfangen! Möge der Segen der Drei über euch sein!«
Das Murmeln schwoll wenn möglich noch lauter an, doch der Heiler ignorierte es; an Kirins und Larniax‹ Seite stieg er das Podium hinunter und steuerte die Tür zum Fürstinnenflügel an.
Hinter sich hörte Kirin Asusza rufen: »Die Audienz ist beendet! Räumt den Saal! Räumt den Saal, Seine Exzellenz zieht sich zurück!«
Mit klingelnden Ohren stapfte Kirin Larniax und Aderuz voraus die Gänge entlang und stieß schließlich die Tür zu einem Gesellschaftszimmer auf, in dem sich einige kleine Tische und Sofas befanden. Er wartete, bis Larniax die Tür wieder sicher hinter sich geschlossen hatte, dann fuhr er auf: »Wie kann er es wagen! Was denkt der, wer er ist?«
Aderuz verbarg seine Hände unter den Ärmeln der Heilerrobe. »Ein Angehöriger des mächtigsten Adelshauses außerhalb der Fürstenfamilie und, wie es scheint, Sprecher für sämtliche anderen Familien, die von Belang sind. Sein Einfluss unter den Adeligen scheint in den wenigen Monden seit dem Sturz Eures Vaters noch gewachsen zu sein. Das ist schlecht.«
»Sie wollen mich zur Seite drängen! Das ist alles, was hinter seinen Reden von Sorge um sein Land steht! Er und seine hochwohlgeborenen Freunde wollen mich als Marionette vor sich herschieben, wie die ostländischen Heerführer es taten!«
Aderuz neigte abwägend den Kopf von einer Seite auf die andere. »Ich glaube nicht, Exzellenz. Meine Befürchtung ist, dass sie es darauf anlegen, Euch ganz vom Thron zu stoßen. Mit ihrem Gremium wollen sie Euch ihre Einigkeit beweisen, und sobald sie eine Schwäche erkennen, werden sie nicht zögern, Euch durch einen aus ihren Reihen zu ersetzen – Tumàsz, das ist offensichtlich, macht sich die größten Hoffnungen, diese Rolle selbst einzunehmen. Ihr habt die Nachdrücklichkeit gehört, mit der er seine Verwandtschaft zum Fürstenhaus betonte – er begehrt Eure Stellung, und er wird nichts unversucht lassen, sie sich zu nehmen!«
»Aber das ist Verrat!«, rief Kirin. »Hochverrat! Sie verschwören sich gegen mich, gegen ihren Großfürsten!«
»Exzellenz, ich fürchte, dass das den Adeligen sehr wohl bewusst ist«, merkte Aderuz an. »Aber ebenso fürchte ich, dass sie sich davon nicht einschüchtern lassen. Eure Stellung ist noch ungefestigt, die Unruhen in der Windreiterarmee, die Tumàsz angedeutet hat, sind leider bittere Wahrheit.«
Larniax, der bisher geschwiegen hatte, hob den Kopf: »In der Tat. Ich habe Meldung erhalten, dass die Truppen, die sich in die Provinz von Sri Iliant aufgemacht haben, daran gehen, unter sich einen neuen Anführer zu wählen. Auch die Abteilungen in Uvonagh und Agoraekh sind unwillig, nach Hause zurückzukehren – zu verlockend ist die Nähe der Macht.«
Kirin vergrub die Stirn in den Händen; die Kopfschmerzen, die ihn vor einigen Monden über längere Zeit hinweg verfolgt hatten, drohten zurückzukehren.
»Wenn Ihr die Armee nicht hinter Euch habt, Exzellenz, fehlen Euch die Stärke und der Rückhalt, um gegen Tumàsz und die Seinen vorzugehen. Von dem Kontingent, das hier in der Hauptstadt stationiert ist, werden sie sich nicht einschüchtern lassen – wie Tumàsz uns freundlicherweise mitgeteilt hat, sind er und seine Freunde eifrig dabei, die Windreiter zu bestechen, um sich ihre Treue zu erkaufen.«
»Ich dachte, die Ehre der Windreiter sei unverletzlich!«, hielt Kirin wütend dagegen und ließ die Hände sinken. »Ich hörte, ihre Loyalität wäre grenzenlos und mit keinem Gold der Welt aufzuwiegen!«
Aderuz lächelte traurig. »Das ist in der Tat so, Exzellenz, wenn sie auf ihren Großfürsten eingeschworen sind. Für Galihl, da bin ich sicher, wäre jeder seiner Soldaten in den Tod gegangen. Aber jetzt …«
» … jetzt sitzt ein von den Ostländern eingeschleuster kleiner Bastard auf dem Thron, der die Hauptstadt geschleift und den geliebten Herrscher getötet hat. Ich weiß schon.«
Aderuz kam näher und berührte Kirin vorsichtig am Arm. »Das ist es, was viele Windreiter gerüchteweise hörten. Und was die Adeligen eifrig weiter verbreiten werden.« Er nahm die Hand weg und räusperte sich. »Macht nicht den Fehler zu glauben, Tumàsz oder einer seiner Gefährten sei traurig über Galihls Tod. Oh, seine Eroberungen verschafften den Adeligen Macht, gewiss, aber auch sie zitterten vor dem Zorn des Großfürsten. Er hat sie alle ebenso verachtet, wie Ihr es noch lernen werdet, und hätte keinen Moment gezögert, sich ihrer zu entledigen, wenn er einen günstigen Zeitpunkt dafür gesehen hätte.«
»Ich hätte nie geglaubt, dass ich das je sagen würde«, sagte Kirin, die Augen finster ins Leere gerichtet, »aber in diesem Punkt kann ich ihn verstehen.«
Larniax grinste, und Aderuz setzte sich auf ein Sofa und entrollte das Dokument, das Tumàsz ihm gegeben hatte. »Ja«, murmelte er leise und fuhr mit dem Finger an der Liste mit Unterschriften entlang, »Idalér, Norkész, Pelarusz … die einflussreichsten Häuser Aracanons. Exzellenz, ich fürchte, Ihr müsst Euch auf einen nahenden Sturm vorbereiten.«
Fest schlossen sich Kirins Finger um den Griff des Dolches, der an seiner Hüfte baumelte. »Das fürchte ich auch.«
Als Kirin einige Stunden später alleine auf der Terrasse vor seinen Gemächern stand, fühlte er sich unsäglich alt. Er war noch nicht