Hie und da brandete leises Gelächter auf, und Armész Ferumér verschwand mit wehendem Umhang in der Menge.
Kirins Wangen loderten heiß, doch er mühte sich, keine Miene zu verziehen. »Wer ist der nächste Audienzbesucher?«, fragte er.
Aderuz rollte die Liste mit Forderungen zusammen und reichte sie einem Palastsklaven, ohne ihr noch einen weiteren Blick zu gönnen. »Exzellenz, der hohe Herr Zanid aus dem Hause Monzù bittet, vorsprechen zu dürfen.«
Die Versammelten machten Platz, um einen einzelnen Mann durchzulassen, dessen Erscheinung sich von der Armész Ferumérs nicht krasser hätte unterscheiden können; er trug leichte, fließende Gewänder, wie sie im niedrigen Adel Aracanons verbreitet waren und die bis auf ihren tiefen Purpurton kein Anzeichen von Reichtum verrieten. Mit leicht hinkenden Bewegungen näherte er sich dem Thron und kniete nieder; er war groß und hager, dazu kahlköpfig und schon relativ alt, wahrscheinlich über sechzig, doch seine dunklen Augen blickten wach und scharf, als Kirin ihm zunickte, damit er sich erhob.
»Exzellenz.« Zanid Monzù ruckte mit dem Kopf. »Es ist mir eine Ehre, mein Haus und meine Familie vor Euch repräsentieren zu dürfen.«
»Die Ehre ist auf meiner Seite, Herr Monzù.« Kirin warf Aderuz einen flüchtigen Blick zu, den dieser mit einem unmerklichen Nicken erwiderte. »Ihr wart im Exil, ist es nicht so?«
Die Mundwinkel des älteren Mannes zogen sich nach unten. »In der Tat, Exzellenz. Als Euer Vorgänger an der Macht war, sprachen mein Bruder und mein Neffe auf einer Versammlung vor den anderen Adeligen gegen ihn. Man fand sie an ihren Eingeweiden am Dach ihres Hauses aufgehängt. Ich wollte Vergeltung für diese Tat, doch die Unterstützung, die Euer Vater genoss, war zu groß, um gegen ihn vorzugehen. Ich hätte ihn zu einem Duell herausgefordert, wenn nicht …« Mit einer verbitterten Bewegung tippte er sich gegen sein rechtes Bein, das, auf dem er hinkte. »Wäre ich gefallen, hätte ich meiner Familie keine Ehre erwiesen. Ich floh wie ein Dieb in der Nacht, um den Fängen des Großfürsten zu entgehen. Als ich von seinem Sturz hörte, kehrte ich in die Hauptstadt zurück, in der Hoffnung, die Gebeine dessen, was von meiner Familie übriggeblieben ist, in Ehren bestatten zu dürfen, was mir bisher verwehrt geblieben ist.«
»Wo sind Euer Bruder und Euer Neffe?«, fragte Kirin, ohne die Augen von dem stolzen, von Gram gezeichneten Gesicht zu nehmen.
»Soviel ich weiß, hat man sie in Schande in einem Acker neben dem Stadtgefängnis verscharrt. Sie waren gute Männer und haben so ein Ende nicht verdient.«
»Das bezweifle ich nicht. Geht und sucht nach Euren Angehörigen. Ich werde Euch Männer mitgeben, die nach ihnen graben. Ich hoffe sehr, dass Ihr fündig werdet.«
Der alte Mann sah Kirin einen Augenblick lang unbewegt an, dann ließ er sich erneut auf ein Knie nieder. »Ich danke Euch, Exzellenz. Mögen ein gutes Herz und ein edler Sinn Euch weiterhin in Eurem Amt begleiten – es sind treuere Verbündete als schwache und verräterische Menschen.«
Kirin lächelte matt. »Ich bitte darum, dass Euer Wunsch in Erfüllung geht, Herr Monzù. Seid herzlich willkommen zu Hause.«
Der alte Mann erhob sich. »Sollte Eure Exzellenz jemals meine Dienste benötigen, so könnt Ihr sicher sein, dass Ihr keinen verlässlicheren Diener finden werdet.« Damit verbeugte er sich noch einmal knapp und kehrte in die Menge zurück.
Kirin rutschte auf dem Thron hin und her, um es sich bequemer zu machen. Als er Aderuz ein Zeichen gab, fortzufahren, fühlte er sich ein wenig entspannter.
»Der nächste Audienzbesucher ist der hohe Herr Nàszuk aus dem Hause Tumàsz.«
Ein dürrer Mann mittleren Alters bahnte sich seinen Weg durch die Menschen, und noch ehe er Kirin erreicht hatte, gewann dieser den Eindruck, dass mit ihm nicht gut Kirschen essen war; wer ihm nicht schnell genug Platz machte, wurde schlichtweg mit dem Ellbogen beiseite geräumt, und seine weit ausholenden, unbeirrten Schritte machten deutlich, dass es nichts gab, was er zwischen sich und sein Ziel kommen lassen würde.
Aderuz beugte sich zu Kirin hinunter. »Tumàsz‹ Familie war sehr mächtig unter Eurem Vater«, wisperte er unhörbar. »Galihls Sturz hat einen Machtkampf unter den Adeligen ausgelöst, aus dem Tumàsz bisher als Sieger hervorging. Seid wachsam, Eure Exzellenz.«
Mittlerweile hatte sich Nàszuk Tumàsz vor dem Thron aufgebaut; er absolvierte vor Kirin die denkbar knappste Verbeugung, dann richtete er sich auf und sah ihm ungeniert mitten ins Gesicht. Seine Augen, so fiel Kirin auf, waren von einem helleren Braun als die der meisten Arachinen und wirkten dadurch unangenehm stechend. Sein spärliches Haar war nach hinten gekämmt, um eine sich ausdehnende Glatze zu verdecken, und sein vorspringendes Kinn von einem ungepflegten Dreitagebart überwuchert. »Ich stehe vor Euch, Exzellenz, als Vertreter meiner Familie, dem Hause Tumàsz, das über Großfürst Milàk, Eurem Urgroßvater, mit der Fürstenfamilie selbst verwandt ist. Ebenso vernehmt Ihr durch mich die Stimme der übrigen Adelshäuser Aracanons, die vielfach durch Schrecken, Trauer oder Wut vom Hof ferngehalten werden.«
»Schrecken, Trauer und Wut«, wiederholte Kirin langsam; die offenkundige Abneigung in Tumàsz‹ Gesicht ließ die Flammen in seinem Magen wieder auflodern. Von diesem Mann ging eine Gefahr aus, die er nicht unterschätzen durfte. Seine Finger umfassten die Stuhllehnen fester und er zwang sich, dem bohrenden Blick des Adeligen standzuhalten. »Wieso das?«
»Die Nachricht, dass die Hauptstadt in Flammen steht, hat vielen das Blut in den Adern gefrieren lassen«, erwiderte Tumàsz kalt, »und das nicht zu Unrecht. Als ich vor einigen Wochen zurückkehrte, fand ich meine Heimat, den Stolz unseres Landes, in Trümmern vor!«
»Das ist so üblich nach einer Eroberung«, erklärte Kirin und bemühte sich, unbewegt zu klingen. »Die Reparaturen sind in vollem Gange.«
»Dennoch wird es Jahre dauern, bis Nardéz wieder das wird, was es vor Eurem Einfall war«, schmetterte Tumàsz seine Rechtfertigung ab. »Gar nicht zu reden von den hunderten von Toten, die Eure ostländischen Freunde verschuldet haben. Viele der Windreiter der Hauptstadt waren Söhne hochangesehener Familien und werden nie wieder zu ihnen zurückkehren. Gar nicht zu reden von dem Massaker, das Eure Soldaten unter den unschuldigen Bürgern dieser Stadt angerichtet haben!«
Kirin biss sich auf die Zunge; obwohl er diesen Mann von Herzschlag zu Herzschlag weniger leiden konnte, musste er zugeben, dass er Recht hatte. Er hatte die Klagen gehört, davon, dass hunderte wehrloser Bürger von ostländischen Soldaten im Kampfrausch niedergemacht worden waren, von vergewaltigten Frauen und abgeschlachteten Kindern … In den Ländern der Mitte und des Ostens mochte man die Windreiter für grausam halten, doch zumindest beschränkte sich ihre Gewalt auf das Schlachtfeld und die Soldaten dort. Eine Stadt mochte geplündert werden, aber auch das erst, nachdem der oberste Befehlshaber sie freigegeben hatte, und unter den unbeteiligten Bürgern gab es für gewöhnlich keine Opfer. Auch eine Taktik der Windreitergeneräle, hatte Rhùk ihn belehrt, denn wenn man sich neben der Wut der feindlichen Generäle auch noch die der gewöhnlichen Menschen zuzog, hatte man beim Einfall in ein fremdes Gebiet einen wesentlich schwereren Stand. Zwar hatte Kirin Gerüchte gehört von Vergeltungsschlägen in Uvonagh, dem Land, das Galihl als erstes den Rücken gekehrt hatte und zu den vereinigten Heeren übergelaufen war. Die Windreiter hatten Dörfer niedergebrannt und die Bevölkerung dort grausam niedergemetzelt, doch das waren gezielte Strafaktionen gewesen und machten trotz ihrer Schrecken nicht die Regel aus. Was in Nardéz geschehen war jedoch … Kirin musste sich unwillkürlich davon abhalten, die Augen zu schließen.
»Ich entschuldige nicht, was die ostländischen Heere an Furchtbarem angerichtet haben, als sie in die Hauptstadt einfielen«, sagte er mit lauter und klarer Stimme. »Ich tue alles, was in meiner Macht steht, um das Elend der Bevölkerung von Nardéz zu lindern. Außerdem erwarte ich Abgesandte der Heere zu einer Audienz und beabsichtige, mit ihnen über eine Wiedergutmachung zu verhandeln.«
»Keine Wiedergutmachung der Welt wird unseren Söhnen das Leben und den Töchtern ihre Ehre wiedergeben können«, blaffte Tumàsz ihn an. »Von der Schande, die unserem Land zugefügt wurde, ganz zu schweigen.«
Kirin