Natürlich geht die Erfindung des Internets nicht auf Mark Zuckerberg zurück, das Internet gab es schon und wurde bereits intensiv genutzt. Man kann nicht einmal sagen, er habe das soziale Netzwerk erfunden, da waren andere, die schon etwas Vergleichbares versucht hatten, und das gar nicht so unerfolgreich. Was Facebook in der Folge aber tat, war, die Art und Weise zu transformieren, wie wir soziale Netzwerke verwenden und, noch viel wichtiger, wie diese Netzwerke uns benutzen.
Zweifellos bringt Facebook uns näher zusammen, verwandelt die Welt in ein Dorf, in dem man seine unverbindlichen Kontakte mit allen über alles haben kann, zu jeder Zeit. Das ist das Wunderbare daran: Du musst keinen Anruf machen oder E-Mails schreiben oder vorbeigehen, um zu erfahren, dass Ali einen neuen Job oder Ming einen neuen Freund hat, dass Alex und Tony Schluss gemacht haben und Tante Debbie sich von ihrem Sturz erholt hat. Ob du einen Treck durch Tibet startest oder durch die Toskana schlenderst, wir können alle an deinem Abenteuer teilhaben. Und das ist große Klasse.
Für viele, die Freunde und Familie auf der ganzen Welt haben, ist Facebook die Nummer eins unter den Seiten mit einer ähnlichen Funktionalität – wenn auch vielleicht anderer Priorität – wie ein Kaffeeautomat geworden: der Ort, an dem du zufällig Leuten begegnest und ein paar Worte mit ihnen wechselst, ihr euch auf den neuesten Stand bringt, eure Siege und Niederlagen teilt, Tipps austauscht und den neuesten Klatsch mitbekommt. So wie auf Weibo, Instagram, QQ, Foursquare oder Jiepang.
[ENTSCHEIDEND IST, WAS DIESE TEKTONISCHEN VERSCHIEBUNGEN MIT UNS ALS MENSCHEN MACHEN.]
Es gibt sowohl offensichtliche als auch weniger offensichtliche Parallelen zwischen dem Buchdruck als Revolution und der digitalen Revolution. Und wir müssen jetzt den Blickwinkel erweitern, von sozialen Netzwerken zum Internet im Allgemeinen und auch in Bezug darauf, wie wir digitale Geräte verwenden. Denn so wie Gutenberg nicht eigenhändig die Reformation auf die Beine stellte, ist Zuckerberg nicht der Erfinder des digitalen Zeitalters. Wir nutzen sie ganz klar als Repräsentanten ihrer Ära; und wir machen uns, wenig subtil, die Tatsache zunutze, dass ihre Namen irgendwie ähnlich klingen.
Was beim Hören der Namen für uns individuell mitschwingt, mag damit zu tun haben, wer wir sind und wann wir geboren wurden. Wir, die Personen, die dieses Buch schreiben, sind beide vor ausreichend langer Zeit geboren worden, um eine Welt ohne Internet erfahren zu haben. Unsere Generation hat eine einzigartige Erfahrung machen können, denn sicherlich keiner, der nach der Jahrtausendwende geboren wurde, wird noch eine Ahnung haben, wie ein Leben offline überhaupt möglich war. Sogar für uns, die wir es noch kennen, ist es inzwischen schwer geworden, es uns noch vorzustellen.
Daher ist unsere Wahrnehmung von jemandem wie Zuckerberg womöglich eine andere als deine. Und je nachdem, wo du aufgewachsen und zur Schule gegangen bist, hat dir der Name Gutenberg bis gerade eben überhaupt nichts gesagt. Ist auch nicht so wichtig. Wichtig ist, was diese tektonischen Verschiebungen mit uns als menschlichen Wesen machen.
Das ist eine der Hauptfragen, die dieses Buch stellt und formuliert: Was macht die Technologie, die wir haben, mit uns, und zu wem werden wir in der Kultur, die wir durch sie erschaffen? Denn das ist es, was wir mit Technologie machen: Wir schaffen Kultur. Die dominante Kultur, bevor Europa von der Druckpresse erobert wird, unterscheidet sich kategorisch von der Kultur, die diese Technologie möglich macht. Und die Kultur, die wir heute leben, unterscheidet sich genauso kategorisch von der, die unsere Eltern kannten. Wenn wir »kategorisch« sagen, übertreiben wir nicht. Das hier sind andere Kategorien in anderen Dimensionen, anderen Größenordnungen.
[WISSEN IST BESSER ALS AHNUNGSLOSIGKEIT.]
Somit hält der Vergleich zwischen dem Buchdruck als kultureller Revolution und der digitalen Revolution in vielen Aspekten dem Test stand. Beide läuteten neue Zeitalter ein, die uns dazu brachten, auf neue Art zu denken, zu reden, uns zu verhalten, zu interagieren, zu lernen, zu lehren, zu provozieren, Geschäfte zu machen, Partner zu finden und Freundschaften beziehungsweise Beziehungen zu führen. Aber es gibt auch beachtliche Unterschiede. »Ganz offensichtlich«, sagst du vielleicht, »gibt es Unterschiede: Wir sprechen von zwei komplett unterschiedlichen Arten von Technologien, zwischen deren Entwicklung 500 Jahre liegen.« Ja. Und jenseits dieser offensichtlichen Unterschiede gibt es noch subtilere und kaum weniger wichtige.
Wenn wir sagen, Gutenbergs Erfindung bezeichne einen Moment der Befreiung für das Volk, ist das nicht ganz unstrittig. Könnte man doch argumentieren, dass die Ahnungslosigkeit, in der zuvor gelebt wurde, mit der durch die Umstände bedingten Einfachheit in der Folge ihre ganz eigene Art von sorgenfreiem Glück ermöglichte. Aber Wissen ist besser als Ahnungslosigkeit. Man ist freier, wenn man seine eigenen Entscheidungen über sein Leben treffen kann und wählen kann, wie man seine Tage verbringt und mit wem. Der Buchdruck ermöglichte das letztlich. Durch ihn wurden wir Menschen unabhängiger, emanzipiert von der Kontrolle strikter Autoritäten. Er erst gab uns die Möglichkeit, uns auszudrücken.
Hat die digitale Revolution uns freier gemacht? Eine große Frage, die nicht in ein, zwei Absätzen zu beantworten ist, auch nicht in ein, zwei Kapiteln. Natürlich kann man Argumente dafür finden: Wie der Buchdruck hat sie Wissen und Lernen demokratisiert, hat den Zugang zu Universitätskursen, Vorlesungen sowie zu alter und neuer Literatur ermöglicht, und Millionen Menschen gelangen durch sie nun an Alltagsinformationen, die sie vorher nicht erreichten. Kein Zufall also, dass das gewaltige Unterfangen, klassische Texte kostenlos online verfügbar zu machen, ausgerechnet »Projekt Gutenberg« heißt.
Wie oft betont wird, hat das Internet Macht aus den Händen der Zeitungen und Besitzer von Massenmedien und der Redakteure genommen und Blogs, unabhängige Nachrichtenseiten und Plattformen hervorgebracht, die dafür bekannt sind, eine wichtige Rolle in sozialen Bewegungen wie dem Arabischen Frühling im Jahr 2011 gespielt zu haben. Twitter wird hier häufig als wichtiges Werkzeug des Wandels zitiert. Wenn Gutenbergs Druckpresse es Menschen, die noch nie ein Buch in der Hand gehalten hatten, ermöglicht hat, eines zu kaufen, dann machen heute Print on Demand und Onlineplattformen es jedem möglich, seine Gedanken zu veröffentlichen, sei es in sachlicher oder literarischer Form, wahrheitsgetreu oder gelogen.
[WIE LANGE HÄLTST DU ES AUS, NICHT AUF DEIN HANDY ZU SCHAUEN?]
Nichts davon ist neu: Der Fakt, dass es Fake News und Propaganda, Fehlinformationen und Täuschung gibt, ist nicht das große Problem, auch wenn er an sich ganz klar ein Problem ist. Das große Problem ist, dass uns die digitale Revolution, obgleich sie uns in vielerlei Hinsicht freier gemacht hat, auch abhängig gemacht hat, mehr als abhängig: unfrei. Wir sind im wahrsten Sinne körperlich süchtig.
Denk mal darüber nach: Wie lange hältst du es aus, nicht auf dein Handy zu schauen? Du hast vielleicht längst deinen Facebook-Account gelöscht, aber wie sieht es mit WhatsApp oder WeChat aus? Von den einzelnen Apps ganz abgesehen: Wie lange, glaubst du, kannst du funktionieren ohne irgendeinen Zugang zum Internet? Ernsthaft!
Vielleicht fragst du: Warum sollte ich ohne Internet funktionieren? Weil das der Punkt ist. Du bist Teil des Netzwerks geworden. Du hast dich vernetzt, und das gefällt dir. Vielleicht magst du den Gedanken nicht besonders, aber die Anziehungskraft des Netzwerks ist größer als unsere Willenskraft, darauf zu verzichten.
Vielleicht verletzt es uns, dass Zuckerberg uns »Vollidioten« nennt, weil wir ihm unsere Daten anvertrauen. Aber wir tun es trotzdem, denn wir wollen wissen, was bei unseren Freunden passiert. Uns wird flau, wenn wir alles bei Amazon bestellen, aber unser Hang zur Bequemlichkeit lässt es uns trotzdem immer wieder tun. Google? Wir wissen, dass sie so viele unserer Daten sammeln, wie sie können, aber welche Alternative gibt es schon? Und das ist die eigentliche Frage, die uns jetzt allmählich beschleicht: Welche Alternative gibt es wirklich? Denn wir haben schon lange den Punkt überschritten, an dem es noch darum ging, »zu wissen«, was bei unseren Freunden so passiert, oder ganz bequem den Toaster, den wir heute bestellen, morgen schon in den Händen zu halten. Das ist natürlich