Abhängigkeit des Emissionsgrades vom Beobachtungswinkel
Ein schwarzer Strahler (Lambertscher idealer Strahler) spielt der Beobachtungswinkel keine Rolle. Egal aus welcher Richtung er betrachtet wird, der Emissionsfaktor ist überall und aus allen Richtungen immer gleich. Bei realen Strahlern hat der Beobachtungswinkel jedoch auch einen signifikanten Einfluss auf den Emissionsfaktor. Von der Oberflächennormalen um +/- 30° abweichende Beobachtungswinkel spielen eine vernachlässigbare Rolle. Der Emissionsfaktor von nichtmetallischen (isolierenden) Materialien nimmt jedoch für „flachere” Beobachtungswinkel (kleiner 50°) zuerst allmählich, schließlich drastisch ab. Bei Metallen (elektrischen Leitern) steigt der Emissionsfaktor bei „flacheren” (unter 50° betragenden) Beobachtungswinkeln bis auf einen oberflächennahen Betrachtungswinkel von 10° stark an. Bei noch flacheren Beobachtungswinkeln fällt er dann jedoch plötzlich wieder extrem ab.
Abb. 41: Abhängigkeit des Emissionsgrades vom Betrachtungswinkel bei Nichtmetallen (Nichtleitern)
Abb. 42: Abhängigkeit des Emissionsgrades vom Betrachtungswinkel bei Metallen (elektrischen Leitern)
Bei elektrisch leitenden Materialien (z.B. Metallen) gilt:
Gl. 42
(Der Index n kennzeichnet den Emissionswert in Richtung der Oberflächennormalen.)
Für elektrisch isolierende Materialien gilt der folgende Zusammenhang:
Gl. 43
Mittels obiger Gleichungen kann der für die Flächennormale einer Oberfläche bestimmte Emissionsgrad auf den für einen gewählten Beobachtungswinkel geltenden Wert umgerechnet werden. Hierbei ist zu beachten, dass der Winkel β die Winkelabweichung zur Flächennormalen und nicht der einschließende Winkel zur Objektoberfläche ist.
Hinweis: Bei der berührungslosen Temperaturmessung ist wegen der genannten Zusammenhänge damit zu rechnen, dass bei gekrümmten (z.B. zylindrischen) Körpern aus Metallen zu deren „Rändern” hin scheinbar höhere Temperaturen auftreten, bei Körpern aus Nichtmetallen dagegen ist eine scheinbar sinkende Temperatur zu beobachten. Streng betrachtet erfordert dieser Zusammenhang also eine Korrektur des jeweiligen örtlichen Emissionsgrades entsprechend der Körpergeometrie.
Achtung: Weiterhin ist zu beachten, dass die Emissionsgrade aufführenden Tabellen und Veröffentlichungen meistens nur die für die Flächennormale geltenden Emissionsgrade enthalten.
Scheinbare Emissionsgrade an tiefen Bohrungen
Aus der Sicht der praktischen Ausführung der berührungslosen Temperaturmessung ist die bei tiefen Bohrungen zu beobachtende Mehrfachreflexion (siehe Kapitel 1.2.1. „Physikalisches Modell des schwarzen Körpers”), welche zu hohen Emissionsgraden führt. Die Strahlung in der Bohrung ergibt sich aus der Aufsummierung der jeweiligen Emission und Reflexion an den Bohrlochwänden. Im Falle nichttransparenter Materialien und ausreichend tiefer Bohrung ergibt dieser Effekt einen einem idealen Strahler nahekommenden Emissionsgrad. Noch dazu ist dies ab einem bestimmten Verhältnis von Bohrungstiefe zu Bohrlochdurchmesser praktisch unabhängig vom Objektmaterial. Der zu erwartende Emissionsfaktor - basierend auf den Bohrungsdimensionen und dem Emissionsgrad des Materials - ist in den folgenden Abbildungen (Abb. 43 und 44) dargestellt.
Abb. 43: scheinbarer Emissionsgrad in Abhängigkeit von Bohrlochtiefe/Durchmesser, sowie in Abhängigkeit vom Emissionsgrad des Objektmaterials (nach Buckley)
Obigem zufolge kann - unabhängig vom Objektmaterial - mit einem erreichbaren scheinbaren Emissionsgrad von über 85% gerechnet werden, wenn die Bohrung mindestens viermal so tief ist, wie ihr Durchmesser. In der Praxis können solche Bohrlöcher daher dazu verwendet werden, um die Objekttemperatur unabhängig vom Emissionsgrad des Objektmaterials zu messen oder den Emissionsgrad des Objektmaterials zu bestimmen. Speziell für metallische (auch polierte) Oberflächen mit besonders niedrigen Emissionsfaktoren ist dies oftmals die einzige Möglichkeit, berührungslos Temperaturen zu messen, ohne eine Emissionsgrad erhöhende Veränderung der Objektoberfläche (z.B. durch Farbüberzug oder Bekleben) vorzunehmen.
Abb. 44: Zusammenhang zwischen dem Verhältnis Bohrlochtiefe zu Durchmesser und erzieltem Emissionsgrad
1.4.3. Zusammenhänge zwischen Emission, Absorption, Reflexion und Transmission
Über den bereits behandelten Emissionsgrad hinaus gibt es für jeden Körper (jede Materie) weitere drei strahlungsphysikalische Größen. Diese alle sind immer als Maßzahl, relativ zu den Eigenschaften eines idealen Strahlers, Absorbers, Spiegels bzw. idealen Fensters zu verstehen.
Emissionsgrad ε | Maßzahl der Fähigkeit zur Aussendung von Strahlung (0 ... 1 bzw. 0 ... 100%) |
Absorptionsgrad α | Maßzahl der Fähigkeit zur Aufnahme von Strahlung (0 ... 1 bzw. 0 ... 100%) |
Transmissionsgrad τ | Maßzahl der Durchlassfähigkeit für Strahlung (0 ... 1 bzw. 0 ... 100%) |
Reflexionsgrad ρ | Maßzahl der Fähigkeit zur Spiegelung von Strahlung (0 ... 1 bzw. 0 ... 100%) |
Nach dem Kirchhoffschen Strahlungsgesetz gilt, dass der spektrale Emissionsgrad eines Körpers stets gleich seinem spektralen Absorptionsgrad ist.
Gl. 44
Der schwarze Körper als idealer Strahler (ε = 1) ist damit also zugleich auch ein idealer Absorber mit α = 1.
Das klingt erst einmal verblüffend, ist es aber in Wirklichkeit nicht. Jeder Körper emittiert Strahlung entsprechend seiner eigenen Temperatur (siehe Kapitel 1.1.1 ”Temperatur, Atommodell von Bohr”) und nimmt gleichzeitig Strahlung aus seiner Umgebung auf. Die zwei Prozesse finden gleichzeitig statt, die Summe der Strahlungsabsorption oder -freisetzung hängt allein davon ab, ob der Körper oder eben seine Umgebung die höhere Temperatur besitzt (siehe Kapitel 1.1.2.3. „Hauptsätze der Thermodynamik”). Emissions- und Absorptionsfaktoren beschreiben nur den „Wirkungsgrad” des Prozesses. Der schwarze Körper absorbiert daher verlustfrei die Strahlung der Umgebung (wenn