Hans Max von Aufseß wird nach Kriegsausbruch zu einer FLAK-Abteilung der Luftwaffe eingezogen und an »verschiedenen Fronten im Osten und Westen eingesetzt.«90 Im Mai 1941 erhält er den Rang eines Unteroffiziers.91 Ab November 1941 wird er Stabsunteroffizier bei der Luftwaffe in Frankreich, jedoch wegen seiner guten Französischkenntnisse bei der Spionageabwehr in Paris eingesetzt.92 Als Kriegsverwaltungsrat kommt der Freiherr schließlich 1942 auf die Kanalinseln, zunächst als Stellvertreter Caspers. Diese Versetzung verdankt von Aufseß nun seinen Englischkenntnissen.93
Marilies von Aufseß. Bildunterschrift: »Die Reisebegleiterin / ›Wer will eine Reise tun / der muss mit der Liebsten fahren‹ Eichendorff«.
Seine Haltung zum Nationalsozialismus ist trotz der Parteimitgliedschaft bereits 1940 kritisch. In einem unveröffentlichten Essay aus dem Jahr 1940 mit dem Titel ›Die sanfte Gewalt‹ schreibt von Aufseß: »Wir Deutschen sind nach dem Weltkrieg lange genug durch eine Zeit der Schwäche geschritten, um uns nach einem starken Willen zu sehnen. Wir haben ihn bekommen. Das SA Gesicht auf dem Plakat hat in Reinform die Züge des Männlichen und Willensmässigen getragen. Wir Deutsche sind wie so oft in unserer Geschichte von einem Extrem in das andere gefallen. Vom uferlosen Liberalismus ging es über in die Begrenztheit des totalen Staates, von der Disziplinlosigkeit in die höchste Ausrichtung und von der Planlosigkeit in das doktrinäre Programm. (…) Das Preussisch-Nationalsozialistische Deutsche bricht über von Tatkraft, seine Sprache ist befehlsmässig abrupt, seine Meinungsäusserungen zu laut (…) Es fordert heraus, weil es einseitig den Kampf, den Willen und die Pflicht bejaht und anbetet, – weil es keine sanfte Gewalt ist.«94 Der Freiherr spricht einem sanften, christlich geprägten autoritären Staat das Wort: »Es ist der ganze wärmere Blutstrom des deutschen Südens auf den Plan zu rufen, damit das Unharmonische im Deutschen nicht beherrschend wird.«95
Diese vollzogene innere Distanz zum Nationalsozialismus hindert von Aufseß jedoch nicht an der Zusammenarbeit mit dem Regime. Nach dem Krieg schildert Hans Max von Aufseß seine Tätigkeit auf den Inseln allerdings auf günstigste Weise: »Es ist mir dort gelungen, alle Nazimethoden in der Verwaltung des Landes, auch alle Nazidienststellen fernzuhalten.«96 Folgt man dem Urteil von Paul Sanders, der die englischen Quellen am besten kennt, überzeichnet von Aufseß seine Rolle allerdings ein wenig: »Von Aufsess’ power (…) was limited to deploring and intervening in the cutting down of old trees. Von Aufsess clearly had too much time on his hands to have been part of the inner political circle. (…) devouring every genre of books and films that got into in his hands and criss-crossing the island, often on horseback, cultivating relationships with compatriots and a select few islanders alike.«97
In Briefen, die von Aufseß nach 1945 von den Kanalinseln erhält, wird aber deutlich, dass er sich durchaus im Rahmen seiner Möglichkeiten um die Bedürfnisse der Inselbewohner bemüht hat und dabei auch Erfolge erzielen konnte. In einem Brief einer Inselbewohnerin vom 2. Januar 1947 an den Freiherrn heißt es: »I shall never forget your great effort in 1945 in trying to give us civilians our vegetables when that detestable Nazi admiral did his best to starve us all.«98 Edward Le Quesne, Präsident des ›Committee of public health States of Jersey‹, schreibt an von Aufseß im November 1947: »As minister of Labour during the whole of the Occupation of the Islands I can bear witness to the moderation you showed in putting into operation the orders of your superiors.«99
Doch ist Sanders’ Einschätzung ebenfalls zutreffend. In der Tat findet von Aufseß neben der mit begrenzten Kompetenzen versehenen Verwaltungstätigkeit viel Zeit für Gespräche, Frauenbekanntschaften, Ausritte oder entspannte Stunden am Strand. Im Auftrag der Feldkommandantur 515 gibt der Freiherr sogar einen Bildband mit dem Titel ›Bilderbogen‹100 über die Kanalinseln heraus. Die Texte und Bilder stammen vom Freiherrn, der dafür viele Stunden müßig über die Inseln gezogen sein muss. Das Buch erreicht drei Auflagen und wird in insgesamt 36 000 Exemplaren ausgeliefert. Nach Kriegsende ist es ein gesuchtes Souvenir englischer Soldaten. Sogar Adolf Hitler soll ein Exemplar erhalten haben, wie von Aufseß im Oktober 1943 berichtet: »Es wurde vom Chef des Fuehrerhauptquartiers, General Schmundt dem Fuehrer in den schweren Tagen vor Stalingrad im Januar 43 vorgelegt. Trotz des besonderen Interesses des Fuehrers für die Kanalinseln habe er begreiflicherweise keine Zeit dafuer gehabt, denn der Russe habe wider alle Regeln der Kriegskunst eine ungeheure Winteroffensive gestartet, stand woertlich gleich einem Eingestaendnis des Ueberraschtseins darin. (…) Die Engländer auf den Inseln haben es in grosser Menge gekauft und den oeffentlichen Bibliotheken eingereiht, wobei sie zugestanden haben, dass es das beste bisher erschienene illustrierte Buch der Inseln sei. Eine englische Uebersetzung des Textes ist hinzugefuegt worden.«101 Das Buch selbst ist eine unkritische Lobpreisung der Inseln und stellt dabei die deutsche Besatzung als freundliches Idyll dar.
Im Oktober 1943 beginnt von Aufseß mit den Eintragungen in seine Tagebücher. Vor seinen Mitarbeitern hält von Aufseß in diesem Jahr immer wieder programmatische Vorträge, in denen er sich für die schon aufgezeigte Mäßigung im Umgang mit den Inselbewohnern ausspricht, aber durchaus auch Identifikation mit den deutschen Zielen im Zweiten Weltkrieg beweist. So führt er am 15. Juli 1943 unter der Überschrift ›Vom Takt und Rücksichtnahme im Krieg‹ aus: »(…) denn zum totalen Krieg gehört nicht nur die Mobilisierung aller materiellen Güter der Nation, sondern ebensosehr der volle Einsatz aller geistigen, zu denen zweifelsohne als Tochter der Vernunft auch die echte Rücksichtnahme zählt. Wieviel in der Welt schon durch kluge Rücksichtnahme erreicht und wieviel durch ihr Fehlen zerstört wurde, darüber ließen sich Bände füllen. Wir Deutschen, die wir heute zur Lenkung und Verteidigung des Schicksals der europäischen Völker berufen sind, müssen uns dies besonders klar vor Augen halten. Denn so wenig die Waffen allein uns zum Siege bringen werden, so wenig wird uns die blosse Gewalt die Vormachtstellung in Europa sichern. (…) Wo es die Verteidigung und die höchste Ausnützung des Landes für den Krieg bedingt, gibt es natürlich keine persönliche Rücksichtnahme. Für wen soll es aber z. B. gut sein, dem Engländer sein Tennis- und Golfspielen zu verbieten, wenn er die ganze Woche für uns gearbeitet hat. (…) So muss sich die deutsche Geradheit mehr in Geschmeidigkeit wandeln (…). Es wird dann nicht mehr die Rede vom taktlosen oder rücksichtslosen Deutschen sein. Dem Augenblick nur immer richtig angepasst, müssten wir sogar mit unseren guten Grundeigenschaften allen wahrhaft überlegen sein.«102 Ähnliche Gedanken formuliert von Aufseß in einem Vortrag im August 1944. Der Vortrag trägt den Titel ›Die Kanalinseln im Belagerungszustand‹: »Wir handeln hier als Besatzungsmacht auf rechtlicher Grundlage. (…) Alles, was hier geschieht, steht unter der Glasglocke der Weltöffentlichkeit. Unser Handeln wird nicht nur als ein Verhalten der Deutschen in einem besetzten Staat schlechthin gewertet, es hat auch eine unmittelbare Auswirkung auf die weit grössere Anzahl von Deutschen, die unter englischer und amerikanischer Herrschaft lebt. Nicht dass wir deswegen in unserem Handeln vom Urteil der anderen abhängen (…). Aber es gibt eine Bindung an das Recht und eine Rücksichtnahme aus Vernunft, deren wir uns bei allen Handlungen bewusst sein müssen. (…) Als Grundsatz des Rechts einer Besatzungsmacht gilt die Erhaltung des fremden Volkes. Man muss die fremde Zivilbevölkerung leben lassen und ihr nicht das Letzte nehmen. Dieser Grundsatz wurde von Herrn General Schmundt bei seinem Besuch der Kanalinseln als ausdrücklicher Wunsch des Führers bestätigt. Der Militärbefehlshaber in Frankreich, General von Stülpnagel, der Befehlshaber Nordwestfrankreich, General Vierow und General von Mühlendorf vom AOK VIII haben endlich wiederholt der hiesigen Militärverwaltung zum Ausdruck gebracht, dass für die Bedürfnisse der englischen Zivilbevölkerung in ausreichendem Mass gesorgt werden müsse.«103
Bei allen Appellen zur Mäßigung scheint aber auch dieser angeblich so moderate Besatzer von Aufseß nicht frei von Herrenmenschenallüren gewesen zu sein. Joe Mière, damals 15 Jahre alt, berichtet von einer Begegnung und charakterisiert den Freiherrn ausgesprochen negativ. Mière arbeitet in einem Hotel, das deutschen Offizieren als Unterkunft dient. Er hat schwer zu tragen, als ihm von Aufseß begegnet: »We start to cart away the plates from the plant room