Winston Churchill berühmte Worte, die den Widerstandswillen seiner Bevölkerung stärken sollen: »Wir werden kämpfen bis zum Ende. Wir werden in Frankreich kämpfen, wir werden auf den Meeren und Ozeanen kämpfen (…). Wir werden auf den Stränden kämpfen, wir werden an den Landungsabschnitten kämpfen, wir werden auf den Straßen kämpfen, wir werden in den Bergen kämpfen (…).«
29 John Nettles fügt in seinem Buch mit trocken-britischer Ironie hinzu: »(…) außer auf den Kanalinseln«.
30 In der Tat sind die Kanalinseln Churchill und den britischen Militärführern 1940 zunächst keinen Schuss wert. Der Großteil der eigenen Truppen konnte unter legendären Umständen gerettet werden – wovon mit ›Dunkirk‹ (2017) einer der eindrucksvollsten und innovativsten Kriegsfilme der jüngeren Filmgeschichte erzählt –, und Großbritannien steht im Sommer 1940 nach dem Zusammenbruch Frankreichs allein im Kampf gegen die deutsche Wehrmacht. Die westlich der Normandie gelegenen, strategisch bedeutungslosen Kanalinseln werden ihrem Schicksal überlassen. Doch bei der Evakuierung weiterer britischer Truppen, die bei St. Malo, in der nördlichen Bretagne, von der Wehrmacht eingeschlossen sind, müssen die Bewohner der Kanalinseln trotzdem zuvor helfen. Am 16. und 17. Juni werden die britischen Truppen mit Hilfe eilig auf den Inseln organisierter Fischkutter und Jachten nach dem Vorbild von Dünkirchen aus St. Malo evakuiert und auf größeren Schiffen Richtung Südengland gebracht. Am 19. Juni werden die Kanalinseln entmilitarisiert und die letzten dort zur eventuellen Verteidigung verbliebenen Soldaten ebenfalls nach England verschifft. Die lokale Miliz wird aufgelöst. Die Kanalinseln sind damit seit dem 20. Juni 1940 wehrlos. Allerdings informieren die Briten die deutschen Aggressoren nicht von diesem Zustand. Aus welchen Gründen eine lebensrettende Information der deutschen Behörden unterbleibt, ist bis heute ungeklärt. In den Folgetagen fliehen Zehntausende Inselbewohner in Panik nach England.
31 Die Insel Alderney wird bis auf 19 Einwohner entvölkert, von Guernsey fliehen 17 000 der 42 000 Einwohner, von Jersey 6600 Einwohner.
32 Wehrfähige junge Männer verlassen fast komplett die Inseln. Am 28. Juni greifen deutsche Flieger mit Heinkel He 111-Mittelstreckenbombern die Häfen von Jersey, St. Helier, und Guernsey, St. Peter Port, an. Bei diesem Angriff der Deutschen, die davon ausgehen, dass die Inseln verteidigt würden, sterben 44 Menschen, viele werden verwundet.
33 Die Angriffe treffen Guernsey mit 33 Toten stärker als Jersey. Nettles schildert die Dramatik des Tages mit Augenzeugenberichten. Auf Guernsey werden Fahrer von mit Tomaten beladenen Lastwagen angegriffen: »Sie warfen sich unter ihre Fahrzeuge, in der Hoffnung, sich so vor dem deutschen Terror zu retten. Aber natürlich boten diese minderwertig konstruierten, größtenteils aus Holz bestehenden Lastwagen keinerlei Schutz. Ein Bombenhagel ging nieder. Mörderischer Beschuss folgte. Die vollen Tanks explodierten. Die Männer starben auf grausame Weise, ihr Blut mischte sich mit dem Saft der Tomaten, der über den Hafendamm rann und Pfützen bildete.«
34 McLoughlin lässt einen Krankenhausarzt auf Jersey berichten: »(…) und ging durch das Krankenhaus zur Notaufnahme. Als ich dort ankam, wurde gerade der erste Verwundete eingeliefert. In seiner Brust klaffte ein großes Loch, und er starb schon wenige Augenblicke später. Fünfzig Prozent der Verwundeten, die im Krankenhaus starben, wurden durch Bomben getötet. Die andere Hälfte fiel Maschinengewehrkugeln zum Opfer.«
35 Nach den Bombenangriffen besetzen die Deutschen schließlich Ende Juni/Anfang Juli 1940 die Kanalinseln. Am 9. August wird in St. Helier auf Jersey die Feldkommandantur 515 eingerichtet, die dem Militärbefehlshaber in Frankreich – erst General Otto von Stülpnagel, ab 1942 dessen entferntem Verwandten General Carl-Heinrich von Stülpnagel – unterstellt ist. Guernsey erhält eine Nebenstelle der Feldkommandantur. Diese ist eine militärische Einrichtung, hat aber vor allem die Funktion der deutschen Zivilverwaltung für die gesamten Inseln. Sie ist zuständig für die Feldpolizei, Propaganda, Zensur, Arbeitsverwaltung, medizinische und tierärztliche Versorgung, Lebensmittel-, Strom- wie Treibstoffversorgung auf den Inseln. Passkontrolle, Landwirtschaft, Textilproduktion und Viehzucht werden ebenfalls von ihr kontrolliert und koordiniert. Für jede Aufgabe gibt es eigene Abteilungen mit eigenen Sachbearbeitern, die wiederum alle dem Leiter der Zivilverwaltung innerhalb der Feldkommandantur unterstellt sind. Die Feldkommandantur 515 ist die Schnittstelle zwischen deutschem Militär und den britischen Behörden auf den Inseln. Sie ist direkt an die Befehle aus Paris und indirekt des ›Oberkommandos der Wehrmacht‹ gebunden und nur in begrenztem Rahmen zu eigenständigen Entscheidungen befähigt. Eine reine Konzentration auf zivile Angelegenheiten ist in einer solchen Konstruktion allerdings grundsätzlich eine Fiktion, da die militärischen Bedürfnisse, z. B. Bau und Unterhalt von Straßen, Beschaffung von Treibstoffen, häufig nur mit Hilfe der zivilen Besatzungsstellen durchgeführt werden können. Auf jeden Fall ist die Feldkommandantur Bestandteil der Umsetzung eines Angriffskrieges und der verbrecherischen nationalsozialistischen Ideologie. Ihre Mitarbeiter tragen zwar Uniform, sind aber mehrheitlich keine Berufsmilitärs, sondern einberufene Zivilisten mit bürgerlichen Berufen. Es ist davon auszugehen, dass auf diesem für die nationalsozialistische Führung in Berlin sehr prestigeträchtigen, kleinen britannischen Besatzungsteil nur Personen zur Verwaltung herangezogen werden, die im Sinne von Staat und Partei als zuverlässig gelten bzw. von denen zumindest kein Widerstand zu erwarten ist.
An der Spitze der Feldkommandantur steht zunächst mit Oberst Friedrich Schumacher als Inselkommandant ein gelernter Soldat. Auch Schumachers Nachfolger sind Militärs. Schumacher wird 1941 von Oberst Friedrich Knackfuß36, dieser 1944 von Major Dr. Wilhelm Heider, dann als Platzkommandant der verkleinerten Feldkommandantur, abgelöst. Die Außenstelle der Feldkommandantur leitet bis 1943 Eugen Fürst zu Oettingen-Wallerstein, dem Dr. Jacob Kratzer nachfolgt.37 Militärischer Ansprechpartner für die Feldkommandantur ist Oberst Rudolf Graf von Schmettow, der Befehlshaber auf den Inseln und damit ranghöchster Wehrmachtsoffizier ist. Schmettow wird 1942 zum Generalmajor befördert. Gegen Kriegsende wird von Schmettow, mittlerweile Generalleutnant, abgelöst und durch Vizeadmiral Friedrich Hüffmeier ersetzt. Leiter der zivilen Verwaltungsgruppe der Feldkommandantur wird zunächst Oberkriegsverwaltungsrat Dr. Gottfried Stein von Kaminski, ihm folgt im August 1941 der schon erwähnte Oberkriegsverwaltungsrat Dr. Casper.38 Auf britischer Seite sind die jeweiligen Insel-Bailiffs – für Jersey Alexander Moncrieff Coutanche, für Guernsey Victor Carey – die wichtigen Gesprächspartner. Für Guernsey sind noch die Vorsitzenden des dortigen sogenannten »Kontrollrats«, des ›States Controlling Committees‹, Ansprechpartner. Das ist zunächst Ambrose Sherwill und nach dessen Deportation John Leale. Coutanche ist auf Jersey ebenfalls noch Vorsitzender des ›Supreme Courts‹. Bedeutsam ist weiterhin noch die Rolle von Charles Duret Aubin, des Generalstaatsanwalts auf Jersey, auf dessen Mithilfe bei der Durchsetzung ihrer Verordnungen die deutschen Invasoren angewiesen sind. Auf Alderney gibt es für die Feldkommandantur 515 keine direkten britischen Ansprechpartner, befindet sich die entvölkerte Insel doch komplett in der Hand von Wehrmacht und SS. Die Interessen von Sark hingegen vertritt die selbstbewusste Lady Sibyl Hathaway, die ›Dame of Sark‹, die gern deutsche Offiziere auf ihrem Anwesen empfängt und mit ihnen geistvolle Gespräche führt. Sark und Alderney gehören zum Verwaltungsbereich von Guernsey und liegen so auch noch im Einflussbereich Victor Careys und der Vorsitzenden des dortigen Kontrollrats.
Rasch machen sich die Mitarbeiter an die Errichtung eines deutschen Besatzungsregimes. Vermutlich auf Anordnung Hitlers, der auf britischem Gebiet eine Art zivilisiertes ›Vorzeigebesatzungsregime‹ einrichten möchte39, verhalten sich die Deutschen gegenüber den Inselbewohnern zunächst so zurückhaltend wie möglich. Allerdings gilt dies nicht für die kleine Gruppe jüdischer Inselbewohner, mit deren Verfolgung die Feldkommandantur schon im Herbst 1940 beginnt. Im Oktober werden die ersten Verordnungen gegen die jüdischen Einwohner erlassen. Die englischen Inselbehörden rufen die jüdischen Mitbürger auf, sich registrieren zu lassen. Die Inselparlamente von Jersey und Guernsey bestätigen im November die antisemitischen Maßnahmen.40 Die Inselbewohner müssen im November ihre Funk- und Radiogeräte abgeben. Außerdem müssen sich die Bewohner registrieren lassen. Die dabei entstandenen ›Occupation Registration Cards‹ sind überliefert und bis heute eine wichtige Quelle zur Erforschung der Besatzungszeit.
Die Deutschen reagieren mit den Registrierungen auf ein gescheitertes britisches Kommandounternehmen, in dessen Verlauf einige englische Soldaten als Spione auf den Inseln landen wollten. Widerstand gegen die Verordnung bestrafen die Deutschen mit Haft und im schlimmsten Fall mit Deportation ins ›Reich‹.41 Die ›Geheime