Konkrete politische Aussagen stehen hinter allgemeinen Betrachtungen und einem Schwelgen in unproblematischeren deutschen Vergangenheiten zurück. So veröffentlicht er z. B. 1966 eine Kurzbiographie Ulrich von Huttens, den er anerkennend einen ›Publizisten und Partisan‹ nennt, nachdem er nur elf Jahre vorher jeden ›Partisanen‹ auf den Kanalinseln bekämpft hätte.134 Wenn sich von Aufseß an wenigen Stellen über die Zeit des Nationalsozialismus äußert, tut er dies im typischen widersprüchlichen Gestus seiner Generation – er war zwar dabei, aber für nichts verantwortlich. In einem 1986 erschienenen Essay ›Der Konformismus‹ bemüht von Aufseß millionenfach wiederholte deutsche Entschuldigungsmuster: »Auch mit dem Mitläufertum aus der Nazizeit hat er [der Konformismus, d. Vf.] nichts gemein, denn diese Einstellung kam unter dem massiven Druck eines totalitären Regimes zustande. Es gab nur die Alternative, Mitläufer zu sein oder in das Konzentrationslager zu kommen.«135 In einem mit leichter Hand ansprechend illustrierten Bildband über das alte und neue Nürnberg des Jahres 1963 formuliert von Aufseß über den Nationalsozialismus, seinen ehemaligen Parteivorsitzenden Hitler und die Nürnberger Reichsparteitage Sätze, die aus der Feder eines ehemaligen NSDAP-Mitglieds erstaunen: »So kann es nur als einer der vielen Irrtümer Hitlers bedauert werden, daß dieser fatale Halbgebildete und größte Scharlatan aller Zeiten, in Schändung des Gastrechts, das einst den deutschen Kaisern dort gewährt worden ist, und in Verkennung des fürsichtigen Altnürnberger Stadtgeistes der Mäßigung, seine Paraden und Mammutgebäude der überschwänglichen Hybris dorthin verlegte. Er hat aus Nürnberg, dem einstigen Hort der segensreichen Kleinodien einen Ort des unseligen Drittreichsgrößenwahns gemacht. Nürnberg mußte als Stadt der Reichsparteitage mit der tiefsten Demütigung seiner Geschichte am Ende des Krieges dafür bezahlen.«136 Um 1965 veröffentlicht von Aufseß ein Büchlein über die Stadt Coburg, die bereits 1929 von der NSDAP regiert wurde und daher im ›Dritten Reich‹ den Titel ›Erste Stadt des Nationalsozialismus‹ tragen durfte.137 Die Jahre 1933 bis 1945 finden in diesem Buch mit keinem Wort Erwähnung.
Seine eigene ambivalente Vergangenheit thematisiert von Aufseß in seinen literarischen Werken mit einer bemerkenswerten Mischung aus Offenheit und Verharmlosung. Einerseits hat er den Mut, im Jahr 1985 das Tagebuch eines Besatzungsoffiziers der englischen Öffentlichkeit vorzustellen, andererseits steht er nur ansatzweise zu seiner Rolle als Diener einer menschenverachtenden Diktatur. Im Vorwort schildert er sich vielmehr als fairen Vermittler zwischen ›guten‹ Besatzern und ›guten‹ Besetzten, die gemeinsam alle unvermeidbaren Schwierigkeiten des Krieges meistern konnten. Gewisse Härten der Deutschen, 1945 noch als Kriegsverbrechen verurteilt, verschweigt er dabei nicht: »Food and fuel reserves for the troops and the civilian population were sufficient for only a limited period, which could be prolonged only by the small gains from intensified agriculture and ever more frequent reductions in rations. This created tensions and gave rise to special problems, inherent in the situation between occupiers and occupied, of a magnitude which could not have been for[e]seen and which seemed impossible to overcome. Yet, they were overcome, by agreement between the occupying forces and the island governments. In these small islands agreement between nations was actually put into practice.«138 Kritische Nachfragen, die nach der Veröffentlichung der ›Diaries‹ aus England an ihn gestellt werden, beantwortet von Aufseß nicht, wie Joe Mière mit deutlicher Verbitterung berichtet: »The diary starts in August 1944 when at this date the Germans were on the way out. I did write to him but he never had the decency to reply. I wrote again asking him to publish his diary from 1939 when the Germans were on the top. Again no reply. I think he would not dare publish a diary from 1939 because, like a lot of top German officers, they were all for their beloved Fuehrer in those days when he was winning the war. But as the end was in sight, they changed horses.«139
Aufseß’ »Kleine Fibel der Politik«, 1949
In einem weiteren Essay berichtet von Aufseß, wie er nach 33 Jahren 1978 erneut die Kanalinseln besucht. Er verschweigt dabei seine Funktion als ehemaliger Besatzer nicht, verweigert aber auch hier eine offene Auseinandersetzung mit den Schattenseiten der Zeit, sondern flüchtet in eine unbelastete vorgeschichtliche Vergangenheit. Er besucht die Museen zur Besatzungszeit: »Da ich es weder erhebend noch schaurig empfand, in den häßlichen unterirdischen Betonbunkern Hitler, Göring etc., Wachspuppen von zwei deutschen Landsern, Uniformstücke, Waffen, vergilbte Dokumente und Urkunden, also die eigene Vergangenheit der Besatzungsjahre gegen Eintrittsgeld zu besichtigen, habe ich mich umso intensiver dem Glanzstück der vorgeschichtlichen Dolmenbauer zugewendet.«140 Anschaulicher könnten die Verdrängungsmuster der deutschen Kriegsgeneration nicht formuliert werden!
Von Aufseß ist nach dem Krieg eine wichtige und bundesweit gut vernetzte Persönlichkeit in Franken, die ihre Beziehungen auch einsetzt. So entwirft er 1949 eine ›Kleine Fibel der Politik‹, die bei der ›Bundeszentrale für Heimatdienst‹ – der heutigen ›Bundeszentrale für politische Bildung‹ – erscheinen soll, von deren Leiter aber, dem im Nationalsozialismus verfolgten Dr. Paul Franken, abgelehnt wird. Der Freiherr will mit der Fibel in wohl aufrichtiger Weise einen Beitrag zur politischen Bildung leisten. Doch ist die Schrift in Diktion und Inhalt stellenweise diskussionswürdig, z. B. wenn er Opfer und Täter in eine Reihe stellt: »Wenn wir schreien, die Kapitalisten, die Freimaurer, die Juden oder die Nazis sind an allem schuld, sind wir nicht anders als die Primitiven, die das Wasser peitschen, wenn der Sturm ihre zu schwachen Boote verschlang.«141 Insgesamt ist die Fibel aber von den Werten der freiheitlich-westlichen Demokratie durchdrungen. Grundrechte wie Freiheit, Versammlungsrecht, freie Meinungsäußerung, Rechtsstaatlichkeit werden vom Autor besonders betont. Hans Max von Aufseß ist in ›Camp 18‹ glaubwürdig zum Demokraten bekehrt worden. So äußert er sich z. B. deutlich zum Einparteienstaat und Totalitarismus: »Die Einpartei kann sich nur durch Liquidierung der Gegner und Intoleranz aufrechterhalten.«142
Die Kritik Frankens ist dennoch deutlich: »(…) der Text ist an vielen Stellen inhaltlich und sprachlich so wenig treffsicher, dass vermutlich auch durch umfassende Reparaturen das Ganze nicht mehr zu retten ist.«143 Die Ablehnung seiner Fibel ist dem verärgerten von Aufseß allerdings Grund, sich an den Bundesjustizminister Dr. Thomas Dehler (FDP) zu wenden, den ehemaligen Leiter des Oberlandesgerichts Bamberg und daher ein alter Bekannter des Freiherrn. Von Aufseß gibt dem Minister sein Antwortschreiben an Franken zur Kenntnis. Er schreibt in selbstbewusstem Duktus am 26. Januar 1953 an Franken: »Der Autor wäre wohl nicht dazu gekommen die Fibel zu schreiben, wenn nicht sein lehrbuchartiger ›Leitfaden der Politik‹ in 30 000 Exemplaren für die Kriegsgefangenen in England gedruckt worden wäre, weil er für besonders verständlich und klar formuliert angesehen wurde. (…).«144 Dehler antwortet am 28. Januar 1953 an von Aufseß: »Ihr Schreiben an Herrn Direktor Franken hat mir große Freude gemacht. Es ist köstlich, wie diese Bürokraten immer daneben greifen. Ich verspreche Ihnen, niemals dieser Krankheit zu erliegen.«145 Die Zeichnungen in der Fibel, die immerhin auch Frankens Anerkennung finden, stammen von Günther Behnisch, dem später mit der Gestaltung des Münchner Olympiageländes berühmt gewordenen Architekten. Behnisch war auch Kriegsgefangener in England und möglicherweise daher mit von Aufseß bekannt.
Bevor Hans Max von Aufseß allerdings seine schon skizzierte Rolle als anerkanntes Mitglied der westdeutschen Gesellschaft und landesweit bekannter Heimatschriftsteller einnehmen kann, muss er, wie jedes ehemalige NSDAP-Mitglied und trotz seiner schon im Kriegsgefangenenlager hinlänglich nachgewiesenen politischen Wandlung, im Rahmen der ›Entnazifizierung‹ von Mai bis November 1947 ein Spruchkammerverfahren durchlaufen. Sein Verfahren findet vor der Spruchkammer Naila in der amerikanischen Besatzungszone statt. Aufgrund der Aktenlage wird von Aufseß als ›Minderbelasteter‹ angeklagt.146 Wie Millionen anderen ehemaligen Parteimitgliedern auch gelingt es von Aufseß jedoch mit Hilfe sogenannter ›Persilscheine‹ – eidesstattlicher Erklärungen von Freunden und Kollegen über die Unbedenklichkeit des Angeklagten –, als ›Entlasteter‹ eingestuft zu werden. Die Begründung des Urteils folgt vollständig den Aussagen