Das Mädchen aus der Untergasse 13. Dorothea Theis. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dorothea Theis
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783991077596
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kommen und auf ihr Bild schauen.

      Von meinen nun in Amerika lebenden Tanten bekam ich schöne Päckchen geschickt, mit Malbüchern zum Ausmalen von Indianern, Cowboys, und den Landschaften, in denen diese lebten. Auch Schokolade, die einmal ungenießbar war, weil das Päckchen mit dem Schiff gekommen und auf dem Weg irgendwie nass geworden war. Salzwasserschokolade war das dann, und diese schmeckte scheußlich.

      Ich lag damals oft auf der Couch im Wohnzimmer und malte. Meistens das Marburger Schloss, welches ich immer ganz nah und groß sehen konnte, wenn ich bei der Oma Pfingst aus dem Küchenfenster schaute. Natürlich malte ich in diesem Alter noch im Kleinkindstil und die Wurzeln der Bäume waren da auch immer mit drauf. Einmal kann ich mich entsinnen, dass ich, als ich mit meiner Mutter in Weidenhausen auf einem Spielplatz war, mir einen Stock angelte, und mit diesem das Schloss, welches man von dort gut sehen konnte, auf den Spielplatzboden ritzte. Alle dort anwesenden Kinder standen da um mich herum.

      Mein Vater spielte am Wochenende viel mit mir, wir bauten aus den Legosteinchen meines Cousins Wolfgang kleine Häuschen. Er brachte mir das Dame-Spiel bei und ließ mich anfänglich wohl auch des Öfteren gewinnen. Oder wir hörten zusammen Radio: Musik und Kinderstunde-Hörspiele. Aus der Zeitung HÖRZU zeigte er mir immer die Seite, auf der zwei identische Gemälde nebeneinander abgebildet waren: Das eine war das Original, in das andere waren kleine Fehler eingebaut worden, die man heraussuchen musste. Da hatte dann einer nur ein halbes Ohr, oder bei einem Baum fehlte ein Ästchen oder eine Person hatte anders farbige Schuhe als im Original. Die Aufgabe bestand darin, die Fehler zu finden und anzukreuzen. Er konnte auch gut Mundharmonika spielen. Und er baute mir eine Puppenstube, ein Häuschen mit mehreren Zimmerchen, für die ich die passenden kleinen Möbel und Püppchen vom ihm gekauft bekam.

      Zu der Zeit begann ich immer öfter zu nerven: ich wollte lesen lernen, damit ich mein Märchenbuch selber lesen könne, sagte ich. Aber man wiegelte ab. Ich sei noch viel zu jung, dazu hätte ich noch mehrere Jahre Zeit. Wenn man mir das jetzt schon beibrächte, dann würde ich später in der Schule nicht aufpassen, argumentierte man.

      Auf dem Dachboden in der Untergasse hatte mein Vater ein kleines, vom Wäscheboden abgetrenntes und als Fotolabor eingerichtetes Kämmerchen, in dem er immer seine selbst geknipsten Fotos entwickelte. Ich durfte oft dabei sein und zusehen, wie aus den Negativen richtige Bilder wurden. Er war ein leidenschaftlicher Hobbyfotograf und kaufte für seine nach Amerika ausgewanderte Familie einmal eine teure Leica-Kamera, mit der er, bevor sie nach Amerika geschickt wurde, noch ein paar Probeaufnahmen von unserer deutschen Familie machte. Der Qualitätsunterschied zu seinen Fotos war enorm, er hatte den Film auch zum Entwickeln ins Geschäft bringen müssen. In Papas Fotokämmerchen habe ich zum ersten Mal auch Wolfgangs Teddybären sitzen gesehen, bevor ich ihn dann bekam.

      Ebenfalls auf dieser Etage unter dem Dach wohnte Frau Brase. Sie ging im Frühjahr, wenn die ersten Gräser und Kräuter auf den Wiesen zu sprießen begannen, immer hinaus, um die essbaren zu sammeln. Wenn sie danach zurückkam, wurden die kleinen grünen Blättchen am einzigen Waschbecken im Flur sorgfältig gewaschen und sortiert. Ich war immer dabei, und bekam ab und zu auch mal einen kleinen Sauerampfer zum Probieren von ihr. Wahrscheinlich machte sie Grüne Soße, ein typisch hessisches Frühlingsessen, daraus.

      Mein Vater arbeitete in der Woche bei den Amerikanern, der EES (European Exchange Service), die zu dieser Zeit noch im Norden Marburgs, später jedoch nördlich von Gießen ansässig war. Ab dann musste er täglich erst zum Bahnhof laufen und dann mit dem Zug nach Gießen fahren. Irgendwann fand sich aber auch ein Kollege, mit Namen Herr Fehlberg, der ihn in seinem Auto zur Arbeit nach Gießen mitnahm.

      Bei uns zuhause wurde zwischen Mama, Oma und Uroma Pommersches Platt gesprochen. Es war ein Dialekt, der dem Ostfriesischen ähnlich, auch heute noch über die ganze Ost- und Nordseeküste mit nur minimalen Abweichungen, je nach geographischer Verortung, verbreitet ist. Ich verstand ihn, durfte aber selbst nur Hochdeutsch reden. Damit ich später in der Schule nicht durcheinanderkommen würde, hieß es.

      An Weihnachten holten wir die andere Oma (Pfingst) aus der Wohnung über uns zu uns. Sie litt noch sehr am Wegzug der Familie, und war froh, an diesem Tag nicht alleine bleiben zu müssen. Es gab immer einen schönen Weihnachtsbaum, und Mama verkleidete sich als Knecht-Ruprecht, Gehilfe des Weihnachtsmannes, und brachte kleine Geschenke.

      Mitglieder der Familie Mankel unter uns kamen auch manchmal zu Besuch. Der Mann war Restaurator und verschönerte zu der Zeit die alten Möbel und Wände des Barockschlosses in Weilburg. Als ich dies hörte, wollte ich, wenn ich dann erwachsen wäre, unbedingt auch Restauratorin werden.

      Meine Eltern mieteten im Afföller, im Norden von Marburg, einen Schrebergarten, zu welchem sie an den Wochenenden immer an der Lahn entlang, mit mir noch im Sportwagen; denn soweit konnte ich noch nicht laufen, hinwanderten. Dort wurden frisches Gemüse und Kartoffeln gezogen und es brauchte lediglich nur noch Brot, Milch und Fleisch dazu gekauft werden, um unseren Lebensmittelvorrat komplett zu haben. Vor der Schüssel unter der Pumpe im Garten hatte ich Angst. Man hatte mal versucht, meine Füße dort zu waschen, und der Boden der Schüssel erschien mir da so unheimlich schwarz. Aber die angrenzende Hecke mit Himbeeren mochte ich sehr, auch wenn ich nach dem ersten Mal Himbeeren-Essen davon einen ziemlichen Ausschlag bekam. Danach konnte ich sie aber gut vertragen.

      An einem Samstagnachmittag im Sommer wanderte mein pommerscher Familienteil mit mir im Kinderwagen wieder zum Schrebergarten. Meine Mutter hatte vorher noch in einem Lebensmittelgeschäft eine große Tüte mit Pfirsichen gekauft, die wir im Garten dann essen wollten. Ich war krank gewesen, und noch gar nicht wieder gut drauf. Mein Vater hatte seinen Fotoapparat mit und wollte ein Bild von mir, auf dem Rasen sitzend, machen. Ich weiß noch, ich konnte noch nicht wieder richtig alleine sitzen, und meine Mutter musste mich von der Seite stützen. Auf dem an dieser Stelle entstandenen Bild, welches noch Jahre lang vergrößert bei uns an der Wand hing, ist, wenn man genau hinsieht, an der Seite ein kleines Stückchen ihrer Hand sichtbar. Ich weiß noch heute wie es war, als sie mich für das Foto aufrichtete. Heute steht das Bild in einem silbernen Rahmen bei mir im Wohnzimmer auf dem Klavier.

      Ich sitze im Schrebergarten auf dem Rasen

      Danach aßen wir die Pfirsiche, und mein Vater machte ein kleines Beet, in welches wir die Pfirsichkerne steckten. Daraus sind später viele Pfirsichbäumchen gewachsen, die wir auch auf unser späteres Grundstück in der Großseelheimer Straße mitgenommen haben. Von deren Enkelgeneration steht heute noch ein Pfirsichbaum in meinem Garten.

      In der Afföller Straße gab es einen Abdecker mit Namen Röll, der alte Pferde und andere Tiere, die der Metzger nicht nahm, schlachtete. Sie hatten einen kleinen Jungen in meinem Alter, und wir trafen uns des Öfteren, wenn wir zu unserm Schrebergarten gingen, im Schülerpark, der auf dem Weg lag. Dieser war damals noch doppelt so groß, da die Universität noch nichts an Gelände davon für sich beansprucht hatte. Dieser kleine Junge sollte der Stiefbruder von einem Mann werden, der mich später ein sehr langes Stück meines Lebens freundschaftlich begleiten würde.

      Von Rölls bekamen wir mal Pferdefleisch. Ich fand es dann auf einem Stuhl in einer Ecke neben der Küchentür. Es waren riesengroße Fleischstücke und man hatte sie in meine runde Badeschüssel gepackt. Die Fleischstücke waren unheimlich groß und blutig, und als sie als Rouladen zubereitet auf dem Tisch standen, haben sie mir gar nicht geschmeckt. Ich mochte sie nicht essen, sie schmeckten so komisch süßlich.

      Ab und zu besuchten wir die Familie Hesse, auch Flüchtlinge aus dem Osten. Diese waren in einem Studentenverbindungshaus, am Berg des Wehrdaer Weges, untergebracht worden, und der Mann hatte dort Hausmeistertätigkeiten übernommen. Das Verbindungshaus war eine tolle Villa mit einer großen Empfangshalle mit offenem Kamin im Eingangsbereich, in der wir uns dann immer aufhielten. Sie hatten auch einen Wachhund, es war ein Schäferhund mit Namen Hasso, welcher draußen im Hof sein Hüttchen hatte. Hasso war ganz verrückt nach mir, es muss wohl irgendwie am Duft meiner Windeln gelegen haben; denn er lief ständig hinter mir her und ließ sich von mir kraulen. Er war zu der Zeit größer als ich, aber ich hatte keine Angst vor großen Tieren und freundete mich schnell mit ihm an.

      Oft verfolgte er uns,