Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sabine von der Wellen
Издательство: Bookwire
Серия: Die Sucht
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750223608
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mit tief brummenden Motoren los und ich seufze auf. Wie soll ich meine Gefühlswelt in den Griff bekommen, wenn Erik mich jeden Tag auf die eine oder andere Weise belagert? Und dann dieser peinliche Auftritt! Der schafft es noch, dass ich mich nicht mal mehr in der Schule blicken lassen kann.

      Wir fahren quer durch die Stadt. Bei den Ampeln kommt Daniels BMW oftmals auf unsere Höhe oder er überholt uns bei einem Kavalierstart und setzt sich vor uns. Es ist ein beständiges Spiel der beiden Autos und ihrer Fahrer. Ich kann mich nicht dagegen wehren, dass meine Laune sich bessert, als mir die ausgelassene Stimmung von Erik immer bewusster wird. Er ist wie ein Kind, das sein Lieblingsspiel spielen darf und wenn ich Daniel und Ellen sehe, die strahlend und verrückte Grimassen schneidend ihren Teil dazu beitragen, sobald wir auf eine Höhe kommen, so kann ich mich dem nicht entziehen.

      Erik grinst mich immer wieder an, während gute Musik läuft und um uns herum das Auto bei jedem Anfahren seine unbändige Kraft zeigt.

      Als wir auf der anderen Seite der Stadt in den Stadtteil Voxtrup einfahren, sehe ich Erik verständnislos an. „Wo fahren wir hin?“, frage ich ihn, weil mir dieser Teil der Stadt überhaupt nicht geläufig ist.

      „Wir? Wir machen eine kleine Spritztour. Mein Racheakt ist noch nicht zu Ende. Lehn dich noch nicht zurück.“ Er grinst mich frech an.

      Ich beschwere mich: „Hey, dass an der Schule war schon schlimm genug, dass es für die nächsten Jahre im Voraus reicht.“

      Erik lacht auf. „So lange willst du es mit mir aushalten?“

      „Will?“, antworte ich ihm aufgebracht: „Als wenn ich bei irgendwas eine Wahl habe.“

      „Stimmt, die hast du auch schon verspielt“, sagt er gut gelaunt und zwinkert mir mit funkelnden Augen zu.

      Daniel und Ellen ziehen an uns vorbei, als wir Voxtrup verlassen und eine breite Straße hinabfahren. Der BMW setzt sich erneut vor uns.

      Ellen winkt und ich winke zurück.

      „Was hast du vor?“, frage ich Erik und schaue dem BMW hinterher.

      „Ich sagte doch, wir machen eine kleine Spritztour.“

      „Und das soll eine Strafe sein?“, frage ich ungläubig.

      „Wir sprechen uns in ein paar Minuten noch mal wieder“, raunt Erik und ich überlege angestrengt, was er machen könnte, was mir dann wirklich wie eine Strafe erscheint. Das hier ist einfach nur Spaß pur.

      Wir fahren durch einen kleinen Ort, der sich auf seinem Eingangsschild als Bissendorf präsentiert und in dem der Mustang sofort Aufsehen erregt.

      Das ist nichts, was ich wirklich mag und ich krame meine Schultasche vom Rücksitz und wühle in einer Seitentasche meine Sonnenbrille hervor, die ich nicht oft aufsetze.

      „Versteckst du dich?“ Erik grinst spitzbübisch. „Du magst es überhaupt nicht, wenn du die Aufmerksamkeit auf dich ziehst und doch bist du wie ein Magnet, dass alle Energie an sich zieht.“

      Ich sehe ihn verständnislos an und er erklärt nach einem Blick aus ernsten Augen: „Ist dir noch nicht aufgefallen, dass du immer die Aufmerksamkeit auf dich ziehst, wenn du irgendwo erscheinst? Wenn du in eine Disco gehst, sind immer welche da, die sich sofort von dir angezogen fühlen und wenn du durch die Stadt gehst, sind immer welche da, die dich ganz unverhohlen anstarren. Ich wette mit dir, es gibt viele Menschen, die gerne mit dir befreundet wären und viele Männer, die gerne mit dir zusammen wären.“

      „Quatsch! Ich ziehe nicht mehr Aufmerksamkeit auf mich als alle anderen Menschen. Aber ich mag es wirklich nicht besonders, wenn ich bei irgendwas im Mittelpunkt stehe“, gebe ich zu, von seinen Worten seltsam berührt.

      „Das weiß ich seit vorletztem Sonntag“, sagt Erik ernst. „Ich habe es fast körperlich gespürt, wie unangenehm dir das ganze theatralische Gehabe mit dieser Fußballmannschaft war und als dein Typ dich vor allen abschleckte.“

      Ich fühle mich gezwungen ihm die Situation zu erklären. „Das war das zweite Spiel, zu dem ich mitgegangen bin und die halten mich für ihren Glücksbringer, weil sie noch nie so gut gespielt haben. Vor allem Marcel war noch nie so gut“, sage ich gerade mal so laut, dass die Musik es nicht ganz verschluckt und Erik dreht sie leiser. Er runzelt die Stirn und zieht in einem Kreisel in die nächste Seitenstraße ein, obwohl ich den BMW weiterfahren sehe. Ich will ihn darauf aufmerksam machen, aber an seinem Blick sehe ich, dass ihm das auch bewusst ist.

      „Sein Glücksbringer …“, raunt er mehr zu sich selbst.

      Mir wird die erdrückende Stimmung bewusst, die das Gespräch auslöst und ich lege meine Hand in seinen Nacken und schiebe sie in seinen Haaransatz. „Lass uns nicht davon sprechen. Sag mir lieber, warum wir woanders herfahren, als Daniel und Ellen.“

      Erik nickt und legt den Kopf etwas schief und drückt seine Wange an meinen Arm. Dabei gibt er Gas, obwohl wir durch ein paar nicht ganz seichte Kurven ziehen.

      „Du hast recht. Das ist geplant. Und du solltest besser deine Hand von meinem Körper nehmen, wenn du das, was jetzt kommt, überleben willst“, sagt er und ich ziehe meine Hand erschrocken zurück, auf die nächste Kurve starrend, die sich vor uns auftut.

      Erik dreht die Musik lauter, als gerade ein Lied mit deutschem Text beginnt. Ich kenne die Gruppe von der letzten Klassenfahrt, wo dieses Lied mehrmals im Bus lief. SDP ist eine Berliner Duogruppe und der Text nimmt mich vom ersten Wort an gefangen. Von der Art her könnte das Erik sein und der Text könnte nicht besser auf mich und Erik zutreffen, wenn Erik in der Lage wäre, so zu fühlen wie der Sänger. Schon der Anfang irritiert mich. „Reißen wir uns gegenseitig raus oder reiten wir uns rein, hältst du mich lang genug aus oder bin ich bald wieder allein?“

      Der Sänger schildert seine Liebe, wie sie von Erik zu mir sein könnte … und wie ich es mir tief in meinem Inneren von ihm wünsche. Das spüre ich in diesem Augenblick erschreckend heftig und bin verwirrt.

      Der zweite Sänger singt davon, dass sein Kumpel niemals so ein Liebeslied singen wollte und er den Proleten vermisst, den sein Kumpel sonst verkörperte. Und als der erste Sänger für sein Mädel singt: „Du weißt, dass ich immer da bin, dir gehört mein Gentleman Charme, hängt dich an meinen Oberarm, versteck dich hinter mir, mach dein Herz auf, bevor ich dir etwas tue reiße ich mir meins raus“ …, schlucke ich schwer. Dann folgen weitere Liebeserklärungen in einer Gangstermanier, die mich hier und heute echt umhauen.

      Ich werfe Erik einen schnellen Blick zu, der den schweren Wagen durch eine enge Straße mit tiefen Abgründen und Kurven einen Berg hinaufziehen lässt, dass es mir fast einen Herzimpfakt beschert. Aber nur fast, denn das Lied hält mich viel zu sehr in seinem Bann.

      Es ist eine traumhaft schöne Landschaft und links von uns erscheint ein kleiner Ort, an dem wir vorbeirauschen, der Hauptstraße immer weiter folgend.

      Mir müssten bei der mörderischen Fahrt alle meine Nerven brennen, aber ich lausche nur gebannt auf das Lied und die Gefühle, die es auslöst.

      Eriks Laune steigt offensichtlich mit jeder Kurve und dem tiefen Brummen des starken Motors. Er grinst mich an und ich versuche die Coole zu spielen. Das gelingt mir nur, weil das Lied endlich zu Ende ist.

      „Keine Angst?“, fragt er.

      „Nein, ich vertraue dir vollkommen“, raune ich und spiele die Gelassene, aber mich erfüllt eine seichte Sehnsucht, dass er auch mal für mich so empfinden könnte, wie der Sänger für das Mädchen, für das er das Lied sang.

      „Wow, du vertraust mir also auf einmal?“

      Wie er das sagt, lässt mich ihn ansehen. Sein Gesicht ist ernst und seine braunen Augen blitzen auf.

      „Ja, tue ich“, sage ich ehrlich. In diesem Augenblick tue ich das wirklich.

      Wir kommen oben auf dem Berg an, auf dem ein Wendeplatz die verschiedenen Fahrmöglichkeiten freigibt. Erik lässt den Mustang an die Seite gleiten und den Motor ausgehen.

      Ich werfe ihm einen beunruhigten Blick zu. Was hat er vor? Hätte ich