Chicago Affair. Niko Arendt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Niko Arendt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742754493
Скачать книгу
Ihm entfuhr ein überraschter Seufzer, bei dem er den Mund öffnete. Schamlos nutzte Bourdain seine Schwäche aus. Er wurde fordernder, ließ seine Zunge kühn in Seans Mundhöhle gleiten. Blut rauschte heiß in Seans Ohren und sein Kopf wurde schwerelos, wie ein Heliumballon. Die Luft wurde ihm zu knapp und er machte leise Geräusche, während Bourdain ihn mit sinnlicher Beharrlichkeit bis zur Besinnungslosigkeit geküsst hätte, würde er sie nicht abrupt voneinander trennen.

      „Macht das einen Unterschied?“, fragte Bourdain ernst.

      Was war die Frage? Sean konnte sich nicht mehr erinnern, worüber sie geredet hatten, bevor Bourdain sich an ihn gepresst hatte. Scharf sog er die Luft ein. Sie blieb ihm im Hals stecken und ließ ihn röcheln, sodass er sich peinlich berührt räusperte.

      „War das Antwort genug?“, fragte Bourdain erneut.

      Nein. Nicht wirklich. Er war keine Unze schlauer, als vorher. Wenn nicht sogar verwirrter. Bourdain bückte sich und zog ein dunkelbraunes Paar eleganter Herrenschuhe unter der Bank hervor, die er direkt zu Seans Füßen stellte.

      „Anziehen.“

      Mechanisch tat dieser, wie ihm gesagt wurde, dabei hielt er sich an Bourdains Schultern fest, der niederkniete. Er kam sich schrecklich albern vor. Schlimmer, als ein Kind. Die waren wenigstens tapsig und unbeholfen. Er war ein erwachsener Mann, dem nach einem Kuss fast die Beine versagten. Echt erbärmlich. Und jetzt ließ er sich auch noch von seinem Chef die Schuhe anziehen. Tiefer konnte er einfach nicht mehr sinken.

      „Ich hätte nicht gedacht, dass du sobald vor mir kriechen würdest“, sagte Sean heiter, um das mulmige Gefühl in seinem Magen abzutöten. Humor hatte ihm schon immer das Leben erleichtert.

      „Gewöhn dich nicht daran. Es zeigt nur, dass ich dir nicht einmal das Schuhebinden zutraue.“ Bourdain erwiderte seine Heiterkeit nicht. Er schien in Gedanken versunken zu sein. Ein wenig abwesend. Plötzlich öffnete sich die Tür. Keiner der beiden hatte bemerkt, dass es bereits zum dritten Mal geklopft hatte.

      „Lasst Euch nicht stören“, flötete Rosaline fröhlich und hängte die Anzüge, die sie mitgebracht hatte an die Garderobe.

      „Er hat mir nur-“, versuchte Sean ihr zu erklären, warum Bourdain vor ihm auf den Knien herumrutschte und sich dessen Kopf in gefährlichen Regionen bewegte. Eigentlich hatte dieser aufstehen wollen. Allerdings hatte Sean vor Schreck, als sich die Tür geöffnet hatte, nach dessen Haarschopf gegriffen. Und nun sah ihre Position selbst für den Dümmsten nach dem Offensichtlichsten aus.

      „Sean, du reißt mir noch die Haare aus“, zischte Bourdain mit schmerzverzogenem, ärgerlichem Gesicht.

      „Bitte seid bloß nicht allzu laut. Es sind noch andere Kunden im Geschäft“, sagte Rosaline noch, dann ging sie zu Seans großer Erleichterung wieder.

      „Warum hast du nichts gesagt?“

      „Warum sollte ich?“, fragte Bourdain trocken.

      „Du hast wohl kein Problem damit, dass sie denkt, du gibst mir einen verdammten Blowjob in der Kabine?“

      „Stell dich nicht an. Das machen doch alle“, sagte Holden mit einer wegwerfenden Geste, was Sean ziemlich aufgesetzt vorkam.

      „Das ist widerlich.“

      Bourdain zuckte mit den Achseln.

      „Ich wäre ja aufgestanden, hättest du mich nicht wie ein Gör an den Haaren gepackt.“ Er versuchte sich die ruinierte Frisur zu richten.

      „Was ist mit Rosaline?“, fragte Sean. „Macht dir das etwa nichts aus?“

      „Ich kenne sie schon ewig.“

      „Dann ist sie das schon von dir gewöhnt?“

      Resigniert blickte Sean in den Spiegel. Seine Lippen waren gerötet, das Haar am Hinterkopf verwurstelt. Um sich zu beschäftigen, zog er das Jackett über und wollte sich gerade die Krawatte binden, als er das kleine Preisschild bemerkte.

      „Oh, mein Gott, Jesus, Josef und Maria“, rief Sean aus.

      „Was ist denn jetzt schon wieder?“

      Sean drückte Bourdain die Krawatte in die Hand. „Hast du gesehen, wie teuer dieses Ding ist?“ Er begann sich aus dem Jackett zu pellen. „Das ist viel zu teuer.“

      „Beruhig dich. Ich zahle.“ Holden massierte sich die Schläfen.

      Sean blickte ihn an, als wäre dieser völlig übergeschnappt. Und dann durfte er das stündlich abarbeiten. Das war es ihm nicht wert. Er hätte sich beim Eintreten in das Etablissement denken können, dass er sich nicht einmal die Schnürsenkel dort hätte leisten können.

      „Ich will dir nichts schuldig sein.“

      „Das bist du schon“, antwortete Bourdain mit einer Schärfe, die Sean nicht erwartet hatte.

      „Ich habe heute eine Verabredung im Montreal Casino. Ich möchte nicht, dass du dort als Straßenfeger auftauchst.“

      „Warum nimmst du mich überhaupt mit?“

      „Ich brauche eine präsentable Begleitung. Und du bist verzweifelt und frisst mir aus der Hand, reicht das?“

      „Aber - Im ernst? Du hast kein Privatleben und ich soll mit dir Theater spielen?“

      „Das habe ich nicht gesagt. Es ist besser für dich, wenn du nicht alles im Voraus erfährst.“

      „Das klingt ziemlich verdächtig.“

      Sean runzelte die Stirn. Er konnte sich denken, was für eine Art Verabredung das werden würde, aber er traute Bourdain eine solche Abgebrühtheit einfach nicht zu. Andererseits hatte er auch nicht erwartet, dass dieser ihn zu seinem Leibeigenen machte, was er gerade tat. Wie eine Puppe wurde er ausstaffiert, um dann den Schweinen zum Fraß vorgeworfen zu werden.

      Wenn Holden ihn weiter demütigte, musste er kündigen. Vielleicht musste er sich auch vor anderen Männern entkleiden und das hier war nur eine Übung. Dann würde er aber wirklich kündigen. Eher nicht. Verdammt. Er hatte keine Erfahrung im Strippen.

      „Willst du ihn gleich hier entsorgen lassen?“

      Unvermittelt riss Bourdain Sean aus seinen katastrophalen Gedanken. Der Brünette stand neben dessen zerknitterten, alten Anzug und begutachtete sich das Material.

      „Nein. Es war ein Geschenk.“ Jegliche Heiterkeit, mit der Sean sich verzweifelt hatte bei Laune halten können, war nun vollständig aus dem Raum gewichen.

      „Doch nicht von Amanda?“

      „Nein.“

      Sean räusperte sich. Eine unangenehme Stille beherrschte sie. Keiner sagte etwas. Bourdain schien sich fehl am Platz zu fühlen. „Dann lasse ich ihn in die Reinigung bringen“, sagte er leise und warf sich die Kleidungsstücke über den Arm. Er wirkte zerrissen, während Sean seine Trauer zu verbergen versuchte. Immerhin war es schon lange her.

      Nach einer scheinbaren Ewigkeit setzte Bourdain sich in Bewegung und reichte ihm die Krawatte, die er noch immer in den Händen hielt.

      Überrascht zog Sean die Augenbrauen hoch, als er sich erneut zu ihm beugte. Ihr zweiter Kuss war kurz, aber nicht weniger intensiv. Die Luft schien plötzlich um einige Grad kälter.

      „Ich bin sicher, die anderen Anzüge werden auch passen“, kommentierte Holden Rosalines Auswahl.

      „Enttäusch mich bitte nicht, Grandy. Bewahre Haltung und mach, was ich dir sage.“

      Die unsichtbare Wand, die Bourdain von einer Sekunde auf die nächste vor sich aufbauen konnte, war ernüchternd.

      „Jedes Zuspätkommen werde ich dir vom Gehalt abziehen. Meine Empfehlung ist heute Abend pünktlich zu erscheinen.“

      War das derselbe Mann? Sowie er jetzt mit ihm redete, ging es einfach nur ums Geschäft.

      Sean wurde bleich und erneut versagten ihm die Beine. Ein beklemmendes