Gefährliche Liebschaften. Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750203433
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dadurch zu verlieren, daß man so tut als mache man sich nichts aus ihr, und nennen Sie diese Strenge nicht Ungerechtigkeit. Wer da glaubt, daß man auf dieses kostbare Gut, auf das man alles Anrecht hat, verzichten kann, der ist in Wirklichkeit sehr nahe daran, Unrechtes zu tun, da er sich durch dieses mächtige Band nicht mehr gehalten fühlt. So würde man es ansehen, wenn Sie eine intime Verbindung mit Herrn von Valmont zeigten, so unschuldig diese auch immer sein möchte.

      Die Wärme, mit der Sie ihn verteidigen, erschreckt mich und ich beeile mich, den Einwänden, die ich voraussehe, zuvorzukommen. Sie werden mir Frau von Merteuil nennen, der man diese Liaison verziehen hat; Sie werden mich fragen, weshalb ich ihn bei mir empfange; Sie werden sagen, daß er, weit davon entfernt, von anständigen Leuten abgewiesen zu werden, er in dem was man die gute Gesellschaft nennt empfangen, ja sogar gesucht ist. Ich kann, glaube ich, auf alles das erwidern.

      Was Frau von Merteuil betrifft, die wirklich eine durchaus achtenswerte Frau ist, so hat sie vielleicht keinen andern Fehler als zu viel Vertrauen in ihre eigene Kraft. Sie ist ein geschickter Lenker, der sich darin gefällt, einen Wagen zwischen Felsen und Abgrund zu lenken, und den der Erfolg allein rechtfertigt: es ist recht und billig, sie zu loben, aber töricht, ihr zu folgen, und sie selbst gibt das zu und klagt sich dessen an. Je mehr sie gesehen hat, desto strenger wurden ihre Grundsätze, und ich glaube Ihnen versichern zu können, daß sie wie ich denken würde.

      Was mich betrifft, werde ich mich nicht mehr rechtfertigen als die andern. Gewiß empfange ich Herrn von Valmont, und er wird überall empfangen, das ist nur eine der tausend Inkonsequenzen, welche die Gesellschaft regieren: Sie wissen so gut wie ich, daß man sein Leben damit verbringt, sie zu bemerken, sich darüber zu beklagen und sich ihnen zu unterwerfen. Herr von Valmont mit seinem guten Namen, seinem großen Vermögen, seinen vielen liebenswürdigen Eigenschaften hat bald erkannt, daß es, um die Herrschaft in der Gesellschaft zu behaupten, genüge, mit gleicher Geschicklichkeit das ernste Lob wie den Spott der Lächerlichkeit zu handhaben. Keiner besitzt wie er dieses zweifache Talent: er bezaubert mit dem einen und macht sich mit dem anderen gefürchtet. Man achtet ihn nicht, aber man schmeichelt ihm. Das ist seine Existenz inmitten einer Welt, die mehr vorsichtig als mutig es vorzieht, ihn behutsam zu umgehen als zu bekämpfen.

      Aber weder Frau von Merteuil noch irgendeine andere Frau dürfte es wagen, sich auf dem Lande mit einem solchen Mann, fast im Tête-à-Tête einzuschließen. Es war der Vernünftigsten, der Bescheidensten unter allen vorbehalten geblieben, dieses Beispiel der Inkonsequenz zu geben – verzeihen Sie mir dieses Wort, es entspringt der Freundschaft.

      Meine schöne Freundin, Ihre Ehrenhaftigkeit selbst betrügt Sie durch die Sicherheit, die sie Ihnen einflößt. Bedenken Sie, wen Sie zum Richter haben werden: auf der einen Seite frivole Leute, die an keine Tugend glauben, weil sie davon bei sich kein Beispiel finden, auf der andern aber böse Menschen, die so tun werden, als ob sie nicht an Ihre Tugend glaubten, um Sie dafür zu strafen, Tugend gehabt zu haben. Bedenken Sie, daß Sie in diesem Augenblick etwas tun, was selbst manche Männer zu tun nicht wagen würden. Es gibt tatsächlich unter den jungen Leuten, für die Herr von Valmont nur zu sehr zum Muster wurde, einige ganz Vorsichtige, die es befürchten, zu eng mit ihm befreundet zu scheinen – und Sie, Sie fürchten das nicht! Kommen Sie zurück, kommen Sie zurück, ich beschwöre Sie ... Genügen meine Gründe nicht, Sie zu überzeugen, so geben Sie meiner Freundschaft Gehör; sie läßt mich meine dringende Bitte erneuern, sie muß mich rechtfertigen. Sie werden meine Freundschaft streng finden und ich wünschte, die Strenge wäre überflüssig. Aber ich will lieber, daß Sie sich über meine zu große Fürsorge als über Vernachlässigung zu beklagen haben mögen.

       Paris, den 24. August 17..

      33

      Dreiunddreißigster Brief

      Die Marquise von Merteuil an den Vicomte von Valmont

      Seitdem Sie sich vor dem Erfolg fürchten, mein lieber Vicomte, seitdem Ihr Plan darin besteht, Waffen gegen sich selbst zu schmieden und Sie weniger zu siegen als zu kämpfen wünschen, habe ich Ihnen nichts mehr zu sagen. Ihr Manöver ist ein Meisterwerk kluger Vorsicht – anders wäre es eins der Dummheit, ich meine, wenn man den gegenteiligen Standpunkt einnimmt – und um Ihnen die Wahrheit zu sagen, ich fürchte, Sie machen sich Illusionen.

      Was ich Ihnen vorwerfe, ist nicht, daß Sie den rechten Moment nicht ausgenutzt haben, denn einmal sehe ich nicht ganz deutlich, ob er da war, und dann weiß ich ganz gut, daß eine einmal verfehlte Gelegenheit wiederkommt, während man einen übereilten Schritt niemals gutmachen kann.

      Aber die wahre gute Schule war es, daß Sie sich zum Schreiben entschlossen haben. Ich kann mir denken, daß Sie jetzt nicht wissen, wohin Sie das führen wird. Glauben Sie vielleicht, dieser Frau zu beweisen, daß sie sich ergeben muß? Mir scheint, daß das nur eine Gefühlswahrheit ist, die nicht bewiesen werden kann, und um mit ihr etwas auszurichten, muß man rühren und nicht nur räsonieren. Aber was nützt es Ihnen, mit Briefen zu rühren und weich zu machen, wenn Sie nicht dabei sind, um von dieser Wirkung zu profitieren? Wenn Ihre schönen Sätze die verliebte Ekstase wirklich hervorbringen sollten, glauben Sie, daß diese Ekstase so lange anhalten wird, um der Überlegung nicht Zeit zu geben und das Geständnis zu verhindern? Denken Sie doch an die Zeit, die es braucht, einen Brief zu schreiben, ihn zuzustellen und bedenken Sie, ob eine Frau mit Prinzipien, Ihre Nonne, so lange das wollen kann, was sie nie zu wollen sich bemüht! Mit Kindern geht das, die wenn sie schreiben: »ich liebe Sie« nicht wissen, daß sie sagen: »ich gebe mich hin«. Aber die wohlbedachte Tugend der Frau von Tourvel scheint mir Wert und Sinn der Worte genau zu kennen. So schlägt sie Sie trotz des Vorteils, den Sie im Gespräche über sie gewannen, schlägt sie Sie doch mit ihrem Briefe. Und dann – wissen Sie, was dann geschieht? Durch Reden allein will man sich nicht überwältigen lassen. Wenn man mit Gewalt nach guten Gründen sucht, findet man sie auch und spielt sie aus; und hält daran fest, nicht weil sie so gut sind, sondern um sich nicht zu widersprechen.

      Noch etwas! Eine Beobachtung haben Sie merkwürdigerweise nicht gemacht: in der Liebe gibt es nichts, das schwieriger wäre, als Unempfundenes zu schreiben. Nicht daß man sich nicht der richtigen Worte bedient, aber man ordnet sie nicht in der rechten Weise, oder man ordnet sie eben, und das genügt. Lesen Sie doch Ihren Brief noch einmal: es ist ein Arrangement darin, das sich bei jedem Satz verrät. Ich will hoffen, daß Ihre keusche Dame nicht geübt genug ist, das zu bemerken, aber darauf kommt es gar nicht an: der Effekt bleibt derselbe und deshalb nicht weniger verfehlt. Das ist der Fehler in den Romanen: der Autor schlägt sich krumm und klein, um sich warm zu machen, und der Leser bleibt kalt. »Héloise« ist die einzige Ausnahme, und trotz allem Talent des Autors hat mich diese Beobachtung immer glauben lassen, daß das Buch aus dem Leben ist. Schreiben und Sprechen ist nicht dasselbe. Die Gewohnheit, an der Modulation seiner Stimme zu arbeiten, gibt ihr den Gefühlston; und dazu kommt noch die Leichtigkeit der Tränen; und der Ausdruck des Verlangens mischt sich in den Augen leicht und wirksam mit jenen der Zärtlichkeit; und dann macht das ungeordnete Reden leicht den guten Eindruck des Betäubt- und Verwirrtseins – was die wahre Eloquenz der Liebe ist. Schließlich und endlich hindert die Gegenwart der geliebten Person die Überlegung und läßt uns danach verlangen, besiegt zu werden.

      Glauben Sie mir, Vicomte: man wird von Ihnen verlangen, daß Sie nicht mehr schreiben. Nützen Sie das, um Ihren Fehler wieder gut zu machen, und warten Sie auf eine Gelegenheit zu sprechen. Wissen Sie, daß diese Frau mehr Kraft hat, als ich ihr zutraute? Sie verteidigt sich geschickt. Und ohne die verdächtige Länge ihres Briefes und ohne diesen Vorwand der Dankbarkeit – um Ihnen zu schreiben – hätte sie sich gar nicht verraten.

      Was mich noch veranlassen könnte, Sie über Ihren Sieg zu beruhigen, ist, daß sie zu viel Kraft auf einmal aufwendet: sie wird sich in der Verteidigung des Wortes ausgeben, so daß ihr für die Verteidigung der Sache selbst nichts mehr bleibt.

      Ich schicke Ihnen Ihre beiden Briefe zurück, die wohl, wenn Sie klug sind, die letzten bleiben werden bis zum kritischen Moment. Wenn es nicht so spät wäre, erzählte ich Ihnen noch von der kleinen Volanges, die prächtige Fortschritte macht und mit der ich sehr zufrieden bin. Ich glaube, ich werde vor Ihnen fertig sein und Sie sollten sich dessen schämen. Adieu für