SESSIONS. Esther Donkor. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Esther Donkor
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738095258
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soll ich die mir jetzt glätten? Boah! Und in Amerika ist die Hölle los. In Manhattan wurden mehrere der höchsten Hochhäuser (ich glaube World Trade Center heißen die) und in Washington das Pentagon durch Terroranschläge zerstört. Tausende von Toten. Es wird so ein palästinischer Führer des Attentats beschuldigt. Osama Bin Laden, oder so. Schrecklich! Da wurden Flugzeuge entführt und mitsamt der Passagiere gegen die Wolkenkratzer gejagt. Alles neben dem Empire State Building. Auf jedem einzelnen Kanal im TV wird darüber berichtet. Nicht mal King of Queens läuft. Einfach furchtbar! Ist das der Anfang vom dritten Weltkrieg? Stell dir vor, ich habe meine Zukunftspläne umsonst gemacht! Ich wollte doch eine Band gründen und berühmt werden. Und im Medienbereich arbeiten. Und mit dem süßen Alex knutschen. Stell dir mal vor, jetzt käme Krieg! Man ist nirgends mehr sicher auf dieser Welt. Es könnte auch Deutschland treffen! Es gibt genug Kranke auf der Welt! Unglaublich. Ich habe Angst.

      Zwölfter September 2001. Heute fand ein Gedenkgottesdienst im Dom statt, um für die Toten in Amerika zu trauern. Wer wollte, konnte sich für ein paar Stunden in der Schule abmelden und hinfahren. Kevin, Alex, Jenny und ich fuhren hin. Kein Bock auf Mathe. Es war sehr traurig und bewegend im Dom. Viele weinten und Leute waren dabei, die ihre Angehörigen verloren haben. Auf dem Hinweg hat es geregnet und es war windig auf der Domplatte. Ich hatte meinen rosa Schirm mit. Irgendwann kam dann plötzlich der Alex neben mich unter meinen Schirm. Cool und bisschen romantisch, ganz nah mit dem süßen Alex unterm Regenschirm. Ich war ihm zwar schon näher auf der Abschlussfahrt 2000, wo ich seinen sexy Body fühlen durfte, den Sixpack, oder als wir so taten, als wären wir zusammen, um an den Lehrern vorbeizuschleichen, um noch mehr Alk zu kaufen. Aber da waren wir besoffen und heute nüchtern. Das war schön. Nach dem Gottesdienst sind wir noch durch die Stadt und dann nach Mülheim, Keupstraße. Die Jungs haben sich jeder ein halbes Fladenbrot mit Döner geholt. Mein Gott, passt bei denen viel rein. Zu Deutsch waren wir wieder in der Schule. Boah, mein Gips ist voll unprofessionell gemacht! Der Finger wackelt. Morgen beschwere ich mich bei diesem behinderten Arzt. Es laufen immer noch Sondersendungen zu diesem Terrorthema und in der Schule wird im Unterricht darüber diskutiert. Aber gut, Hauptsache kein Physik. Auf Osama Bin Laden ist 580 Millionen Dollar Kopfgeld ausgesetzt. Ich frage mich, wie unsere Zukunft wohl aussieht. Ich muss das Leben so viel genießen, wie es nur geht.

      DIE EINE VOM MORGEN

      Heute Morgen war dieser dunkle Nebel wieder da und wollte sich nicht verziehen. Sie schrieb ne Mail an die Arbeit, bin krank, und blieb im Bett liegen.

      Richtig miese Depriphase. Sie hat sich selbst fertig gemacht. Wegen dem Stress und der Angst und dem Weltschmerz. Wegen all dem abgefuckten Elend und weil sie bald dreißig wird. Und auch wegen der Sehnsucht, so. Allgemein, so.

      Aber irgendwann isse doch aufgestanden. Bisschen Sport gemacht mit YouTube, geduscht, Kaffee mit Milch. Und dann saß sie am offenen Fenster in der Sonne, den ganzen Vormittag lang. Saß einfach nur da mit Kippen und nem Gläschen vom Weißen als Schorle zum Frühstück. Fette Selbstgönnung und der Tag ist überstanden. Bäm!

      Jetzt steht sie hier mitten in der Menge und ihr geht’s wieder ganz gut. Manische Phase? Egal, scheiß drauf! Party! Einer reicht ihr nen Stummel. Die letzten drei Züge. Das Zeug ballert. Er zappelt, fragt nach nem Schluck von ihrem Bier und entschuldigt sich. Bin voll auf MDMA.

      Diese neue Kollegin ist dabei. Ledig, Single, keine Kinder. Auf der Suche nach nem Mann, hat schon in München, Hamburg, und Berlin gewohnt und da gesucht und gesucht und keinen gefunden. Ich will halt gejagt werden, sagt die Kollegin.

      Die wenigsten Männer jagen heute noch, denkt die Eine vom Morgen, aber sie traut sich nicht, es der Kollegin zu sagen, weil die beiden sich noch nicht lange genug kennen.

      Auf der Bühne freestylt so ein Rothaariger darüber, wie hart doch das Leben ist, wie man irgendwie immer struggeln muss und die Eine vom Morgen denkt, ja, isso.

      Und dann reimt der Typ so Lines:

       Mein Tag begann heut Morgen um sieben, aber ich bin nicht liegen geblieben, yeah!

      Und das trifft die Eine vom Morgen voll ins Herz, so. Weil sie ist ja heute Morgen auch aufgestanden, obwohl sie liegenbleiben wollte. Aber sie hat weitergemacht, yeah!

      Später sitzt ihr Kumpel mit nem Mädel zusammen, voll intensives Gespräch. Augenkontakt, dies-das. Als er merkt, dass die Eine vom Morgen das mitkriegt, versucht er sich zu erklären, das ist jetzt nicht der Flirtmodus.

      Vielleicht hat er ein schlechtes Gewissen, weil er ja ne Freundin hat. Mir doch egal, denkt die Eine vom Morgen. Das Leben und die Liebe sind kompliziert genug.

      Musst dich nicht rechtfertigen, Alter. Und dann fängt er an zu heulen. Wegen unserer Gesellschaft und seiner Freundin. Die würde sofort nach Brüssel ziehen für ihren Job und hat sich sogar in Bayern beworben. Die würde sofort wegziehen, alles hinter sich lassen, um mindestens vierzig Stunden jede Woche im Hamsterrad von nem Großunternehmen zu strampeln.

      Und der Kumpel heult. Richtig mit Tränen, so. Der will das einfach nicht.

      Ich will einfach nicht weg aus der Stadt, sagt er.

      Weil du es nicht kannst, Alter, ruft die Eine vom Morgen dazwischen.

      MENTOR HASE

       You know I smoked a lot of grass

       Oh lord I popped a lot of pills

       But I never touched nothin’

       that my spirit could kill 1

      Erzähl mir nicht, ich soll aufhören zu rauchen, wenn du dir Abend für Abend dein Bierchen gönnst. Den Rotwein, die Weißweinschorle und wenn Besuch kommt, den guten russischen Wodka. Erzähl mir nichts! Nichts vom Zeitalter des Wassermanns und schon gar nicht, dass es vorbei ist. Mit uns.

      Setz dich lieber auf deine vier Buchstaben und hör mir - verdammt nochmal - zu.

      Morgens komm ich nicht aus dem Bett und abends nicht hinein. Will schlafen, wenn ich wach sein muss und denken, wenn ich schlafen soll. Müde bin ich, so wahnsinnig müde.

      Meinten die Maya nicht, Zwanzig-Zwölf geht die Welt unter? Aber wir sitzen immer noch hier. Nichts hat sich geändert. Und nichts glänzt so schön neu.

      Du sagst, du fühlst dich anders. Und ich fühle mich auch anders. Als ob das alles keinen Sinn mehr macht. Aber der Hase ist da. Auf den kann ich mich verlassen. Der zeigt mir nämlich, dass es da noch etwas anderes gibt. Mehr als den stinkenden Dreck der hedonistischen Tretmühle, in der wir beide festklemmen.

      Aber Hasen schlagen Haken, und so zeigt er mir nicht, was es ist, dieses Mehr. Er lockt mich in seinen Irrgarten. Immer wieder, immer tiefer hinein.

      Und trotzdem, der Hase gibt mir Halt. Und du ja auch. Also erzähl mir nichts!

      Ich hab’s ja versucht. Wirklich. Jeden verdammten Tag. Mantras: Ich bin ein Fels in der Brandung. Ich akzeptiere mich, so wie ich bin. Ich akzeptiere die anderen, so wie sie sind. Ich nehme das Leben hin, wie es ist. Klar und wach. Aber im Grunde will ich nur schlafen. Schlafen und vergessen. Müder Körper. Steife Glieder.

      Der Winter war lang und diese abgefuckte Grippe. Der Horror. Da ging gar nix, da habe ich echt abgebaut. War aber auch erholsam, muss ich schon sagen. Habe viel geschlafen. Habe das einfach mal zugelassen, das Ausruhen. Ging ja auch nicht anders. Und Schlaf reinigt. Schlaf befreit.

      Aber selbst in dieser Phase der Regeneration, als es mir nur ein Fünkchen besser ging, musste ich Tee-Rezepte googeln. Hase, Pfefferminz und Kokosöl, weil Fett den Hasen freilässt.

      Ans Rauchen war nicht zu denken, nein. Meine Lunge war ja total gefickt. Voll der Husten, alles verschleimt. Aber ich war schon so lange nüchtern, nüchtern und krank. Das führt hier früher oder später einfach