Der Idiot. Fjodor Dostojewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Fjodor Dostojewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754188651
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gelegen. Die Meldung von seiner Ankunft rief einige Verwunderung und ein eigentümliches Lächeln hervor, namentlich als die Gäste an Nastasja Filippownas erstauntem Gesicht merkten, daß es ihr überhaupt nicht in den Sinn gekommen war, ihn einzuladen. Aber nach diesem ersten Erstaunen bekundete Nastasja Filippowna auf einmal eine solche Freude, daß die Mehrzahl der Anwesenden sich sogleich anschickte, den unerwarteten Gast mit Lachen und Heiterkeit zu empfangen.

      »Er tut das allerdings aus Naivität«, bemerkte Iwan Fjodorowitsch Jepantschin, »und es ist jedenfalls nicht ungefährlich, solche Neigungen zu ermutigen; aber im gegenwärtigen Augenblick ist es wirklich nicht übel, daß er auf den Einfall gekommen ist, hier zu erscheinen, wenn auch in so origineller Manier. Er wird vielleicht zu unserer Erheiterung beitragen, soweit ich wenigstens über ihn urteilen kann.«

      »Das muß er um so mehr, da er sich eingedrängt hat!« fügte Ferdyschtschenko rasch hinzu.

      »Wie soll das damit zusammenhängen?« fragte der General trocken, der Ferdyschtschenko nicht leiden konnte.

      »Er muß eben Eintrittsgeld bezahlen«, erwiderte dieser erläuternd.

      »Nun, Fürst Myschkin ist denn doch kein Ferdyschtschenko«, konnte sich der General nicht enthalten zu entgegnen. Er konnte sich immer noch nicht darein finden, daß er sich mit Ferdyschtschenko in ein und derselben Gesellschaft befinden und mit ihm auf gleichem Fuß verkehren sollte.

      »Ei, ei, General, vergreifen Sie sich nicht an Ferdyschtschenko«, antwortete dieser schmunzelnd. »Ich habe hier meine besonderen Privilegien.«

      »Was für Privilegien?«

      »Ich hatte das vorige Mal die Ehre, es der Gesellschaft ausführlich auseinanderzusetzen, und will es jetzt für Euer Exzellenz noch einmal wiederholen. Wollen Euer Exzellenz folgendes erwägen: alle Menschen sind geistreich; nur ich besitze diese Eigenschaft nicht. Zum Ausgleich habe ich mir die Erlaubnis erwirkt, die Wahrheit sagen zu dürfen, da allen bekannt ist, daß die Wahrheit nur Leute sagen, denen es an Geist mangelt. Außerdem bin ich ein sehr rachsüchtiger Mensch, und zwar wieder eben deswegen, weil ich nicht geistreich bin. Ich ertrage demütig jede Beleidigung, aber nur so lange, bis es meinem Beleidiger einmal schiefgeht; sowie das eintritt, erinnere ich mich sofort an die Beleidigung und räche mich irgendwie; ich schlage aus, wie Iwan Petrowitsch Ptizyn einmal von mir sagte, der natürlich für seine Person nie gegen jemand ausschlägt. Kennen Euer Exzellenz die Krylowsche Fabel ›Der Löwe und der Esel‹? Na, die paßt auf uns beide, auf Sie und mich; die ist auf uns zugeschnitten.«

      »Sie sind wohl wieder einmal ins Faseln gekommen, Ferdyschtschenko!« fuhr der General auf.

      »Aber was haben Sie denn, Exzellenz?« erwiderte Ferdyschtschenko, der darauf gerechnet hatte, ein Wortgefecht herbeizuführen und weiter zu salbadern. »Beunruhigen Sie sich nicht, Exzellenz; ich kenne meinen Platz: wenn ich sagte, daß Sie und ich der Löwe und der Esel aus der Krylowschen Fabel seien, so übernehme ich natürlich die Rolle des Esels und Euer Exzellenz die des Löwen, wie es ja auch in der Krylowschen Fabel heißt:

      ›Der mächt'ge Leu, der einst die Wälder

      Erschreckte, war nun altersschwach.‹

      Ich aber, Exzellenz, bin der Esel.«

      »Mit letzterem bin ich einverstanden«, platzte der General heraus.

      Alles, was Ferdyschtschenko da sagte, war ja plump, absichtlich plump; aber es war nun einmal üblich geworden, daß man Ferdyschtschenko die Rolle eines Clowns spielen ließ.

      »Nur deshalb verstattet man mir ja hier den Zutritt und duldet mich«, hatte Ferdyschtschenko einmal erklärt, »damit ich in diesem Genre rede. In der Tat, könnte man sonst einen Menschen von meiner Art empfangen? Ich begreife ja das alles. Na, kann man etwa mich, den armseligen Ferdyschtschenko, neben einen so feinen Gentleman wie Afanasi Iwanowitsch setzen? Wenn man es doch tut, so gibt es dafür nur eine Erklärung: man tut es eben deshalb, weil es undenkbar ist.«

      Aber wenn er auch gewöhnlich plump war, so war er doch auch oft bissig und manchmal sogar in hohem Grade, und das war es, woran Nastasja Filippowna Gefallen zu finden schien. Wer bei ihr zu verkehren wünschte, dem blieb nichts anderes übrig, als diesen Ferdyschtschenko zu ertragen. Er hatte vielleicht die volle Wahrheit erraten, als er die Vermutung ausgesprochen hatte, daß sie ihn deswegen empfange, weil er gleich bei seiner ersten Anwesenheit durch sein Wesen auf Tozki einen unerträglichen Eindruck gemacht hatte. Ganja seinerseits mußte sich von ihm eine endlose Reihe von Martern gefallen lassen, und in dieser Hinsicht wußte sich Ferdyschtschenko seiner Gönnerin sehr nützlich zu machen.

      »Zuerst werde ich vom Fürsten verlangen, daß er uns ein modernes Lied vorsingt«, bemerkte Ferdyschtschenko und paßte auf, was Nastasja Filippowna dazu sagen werde.

      »Ich glaube nicht, daß er das tun wird, Ferdyschtschenko, und möchte Sie bitten, nicht zu sehr ins Zeug zu gehen.«

      »Ah, ah! Nun, wenn er unter Ihrem besonderen Schutz steht, dann werde auch ich mich erweichen lassen ...«

      Aber Nastasja Filippowna stand, ohne auf ihn zu hören, auf und ging selbst dem Fürsten entgegen.

      »Ich habe bedauert«, sagte sie, vor ihn hintretend, »daß ich vorhin in der Eile vergessen habe, Sie einzuladen, und ich freue mich sehr, daß Sie mir jetzt selbst die Gelegenheit geben, Ihr entschlossenes Verhalten zu loben und Ihnen dafür zu danken.«

      Während sie das sagte, blickte sie den Fürsten forschend an, bemüht, über den Grund seines Kommens Klarheit zu erlangen.

      Der Fürst hätte auf ihre freundlichen Worte vielleicht etwas erwidert; aber er war dermaßen von ihrer Erscheinung überrascht und geblendet, daß er kein Wort herausbringen konnte. Nastasja Filippowna bemerkte dies mit Vergnügen. Sie war an diesem Abend in großer Toilette und machte einen außerordentlich starken Eindruck. Sie ergriff ihn bei der Hand und führte ihn zu den Gästen. Unmittelbar vor dem Eingang in den Salon blieb der Fürst plötzlich stehen und flüsterte ihr in großer Erregung hastig zu:

      »An Ihnen ist alles vollkommen ... sogar Ihre Magerkeit und Blässe ... man möchte Sie sich gar nicht anders vorstellen ... Ich hatte ein so starkes Verlangen, zu Ihnen zu gehen ... ich ... verzeihen Sie mir ...«

      »Bitten Sie nicht um Verzeihung!« erwiderte Nastasja Filippowna lachend, »dadurch wird Ihre ganze Sonderbarkeit und Originalität zerstört. Und es wird doch mit Recht über Sie gesagt, daß Sie ein sonderbarer Mensch seien. Also Sie halten mich für vollkommen, ja?«

      »Ja.«

      »Sie sind zwar sonst ein Meister im Erraten; aber hier haben Sie sich doch geirrt. Ich werde Sie noch heute daran erinnern.«

      Sie stellte den Fürsten den Gästen vor, von denen er der größeren Hälfte bereits bekannt war. Tozki sagte ihm sogleich eine Liebenswürdigkeit. Alle schienen etwas lebendiger zu werden; alle begannen auf einmal zu reden und zu lachen. Nastasja Filippowna wies dem Fürsten einen Platz an ihrer Seite an.

      »Aber was ist denn eigentlich an dem Erscheinen des Fürsten so Verwunderliches?« überschrie Ferdyschtschenko alle. »Die Sache ist doch klar; die Sache spricht für sich selbst!«

      »Die Sache ist nur zu klar und spricht nur zu sehr für sich selbst!« sagte auf einmal Ganja, der bisher geschwiegen hatte. »Ich habe den Fürsten heute fast ununterbrochen beobachtet, von dem Augenblick an, als er in Iwan Fjodorowitschs Wohnung zum erstenmal Nastasja Filippownas Bild auf dem Tisch liegen sah. Ich erinnere mich sehr genau, daß mir gleich dabei ein Gedanke an das kam, was mir jetzt zur vollen Überzeugung geworden ist und was mir, beiläufig gesagt, der Fürst selbst gestanden hat!«

      Ganja hatte das alles sehr ernst, ohne die geringste Spur von Scherzhaftigkeit, ja mit finsterer Miene gesagt, was einen ziemlich seltsamen Eindruck machte.

      »Ich habe Ihnen keine Geständnisse gemacht«, antwortete der Fürst errötend; »ich habe nur eine Frage beantwortet, die Sie an mich richteten.«

      »Bravo, bravo!« rief Ferdyschtschenko. »Das ist wenigstens aufrichtig gesprochen, aufrichtig und zugleich schlau!«

      Alle