Magda räusperte sich. „Gut, dann essen wir jetzt endlich unsere Zuckerweck und trinken den Kaffee aus, damit wir an die Arbeit kommen, zack, zack!“ Alle lachten und als Magda die leeren Teller sah, wusste sie auch, warum. „Na, ein Glück, dass ich mir ein Stückchen auf meinen Teller gelegt habe, sonst hätte ich glatt nichts mehr erwischt“, meinte sie gespielt streng und machte sich über ihren Zuckerweck her. Was hatte ihr das Geplänkel mit ihren Kollegen gefehlt, als sie so lange krank war! Kurz darauf gingen alle an die Arbeit. Eddie und Anne in ihrem Spusi-Labor-Zimmer, Susi fuhr in die Rechtsmedizin, Freddy bearbeitete die Fotos und Ben und Magda begannen mit ihrem Bericht und planten ihr weiteres Vorgehen. „Die Witwe muss unbedingt einbestellt werden“, ließ Magda ihre Gedanken laut werden. „Das finde ich auch. Ich ruf sie gleich an!“ Ben zog das Telefon, das in der Mitte zwischen ihren Schreibtischen stand, zu sich herüber. „Ich glaube immer noch, dass es meist Frauen sind, die mit Gift morden“, murmelte er dabei. „Besonders die, die sich nicht gern die Hände schmutzig machen, die so etepetete sind, wie eben diese Frau Lang.“ Magda grinste. „Bei mir ist da weniger Gefahr. Ein bisschen Blut zum Beispiel, stört mich gar-nie-nicht.“ Ben lachte und rief: „Wer´s glaubt!“ Er wusste genau, dass seine Chefin ein herzensguter Mensch war und keiner Menschenseele etwas zuleide tun konnte. Er räusperte sich, wählte die Nummer der Witwe und lauschte dem Klingelton. „Guten Tag“, sagte er kurz darauf höflich. „Hier ist Ben Lieb, vom Polizeirevier Höchst. Wir möchten sie gerne zu einer kurzen Befragung vorladen, für morgen früh, um neun Uhr!“ Erschrocken hielt er den Hörer ein Stück vom Ohr weg. Magda hörte die keifende Stimme der Dame bis zu sich herüber und schüttelte missbilligend den Kopf.
„Nein, selbstverständlich sind sie nicht verdächtig, es ist eine reine Routinebefragung“, rechtfertigte sich Ben mit seiner sanften Beruhigungsstimme. „Würden sie bitte auch den aktuellen Medikamentenplan ihres Mannes mitbringen? Das wäre sehr lieb und hilft uns sicher weiter – danke Frau Lang!“ Aufatmend legte er auf. „Puh!“ Magda sah ihn mitfühlend an. Diese Seite ihres Berufes war nicht so schön, aber ohne, manchmal peinliche, Befragungen ging es nun einmal nicht. Irgendwo mussten sie anfangen und das war leider meist bei der Familie. Apropos Familie - „Hat Herr Lang eigentlich gar keine anderen Verwandten mehr?“ Sie hob den Kopf und betrachtete Ben, dessen rotes Gesicht jetzt wieder langsam erblasste und seine normale Farbe annahm. „Soweit ich weiß, nicht, aber ich werde gleich noch einmal recherchieren und auf der Gemeinde Lützelbach anrufen.“ „Tu das, mein Lieber“, antwortete Magda und ließ ihre Gedanken zum baldigen Feierabend abschweifen.
S E C H S
Der Meister, wie er sich selbst seit kurzem betitelte, betrat sein geheimes Reich. Er nannte es so, weil niemand, außer ihm, Kenntnis davon hatte. Die altmodische Neonröhre an der Decke blinkte widerwillig, bevor sie den Raum in helles, kaltes Licht tauchte.
Er trat vor die einzige freie Wand, die von oben bis unten mit Bildern und Zetteln bedeckt war. Gedankenverloren betrachtete er die Männer und Frauen, deren Gesichter und Namen sich unauslöschlich in sein Gedächtnis eingebrannt hatten.
Die oberen fünf waren mit schwarzem Filzstift durchgestrichen. In der Mitte hing das größte Bild. Sanft streichelte er darüber und eine Träne rollte ihm über die Wange. Das große dunkle Kreuz das er hinter den Namen gemalt hatte, schmerzte ihn jedes Mal aufs Neue, wenn er es ansah. „Das hast du nicht verdient!“, schluchzte er leise und trat einen Schritt zurück, bis er mit dem Rücken an den Tisch stieß, der hinter ihm stand. Er zog den Stuhl darunter heraus und setzte sich, das Foto dabei nicht aus den Augen lassend. Dann schloss er kurz die Augen, die er langsam über die alte Einbauküche gleiten ließ, ohne sie wirklich zu sehen. Zu tief war der Schmerz über seinen Verlust, den er erlitten hatte – immer noch, nach mehr als zehn Jahren. Aber er würde alle bestrafen, die seiner Meinung nach, schuldig waren. Langsam kam er wieder in die Gegenwart zurück und stand auf. Er öffnete eine Hängeschranktür und ließ den Blick über die aufgereihten Dosen und Gläser gleiten. Seine inzwischen doch recht beachtliche Sammlung, würde sicher eine Weile reichen. Falls nicht, könnte er jederzeit sein Labor wieder zum Leben erwecken. Alles, was er dazu brauchte, hatte er in einer abgeschlossenen Kiste im Keller aufbewahrt. Beinahe zärtlich betrachtete er die Etiketten mit dem Totenkopfzeichen darauf. Er schloss die Schranktür und öffnete dafür eine unter der Arbeitsplatte. Darin standen zehn identische Thermosflaschen, aufgereiht, wie die Zinnsoldaten. Wie gut, dass seine Opfer so vertrauensselig waren und sich sogar noch freuten, wenn er ihnen die Thermosflasche mit dem heißen Teegebräu und der geheimen Zutat überreichte, damit sie sich aufwärmen konnten, wie er ihnen sagte. Sie waren immer sehr dankbar dafür gewesen. Er lachte hämisch. Selbst schuld, aber typisch für sie! Dann nahm er ein Gießkännchen aus dem Spülbecken, das er beim letzten Mal mit Wasser gefüllt hatte und ging zum Fenster, wo einige Pflanzen eifrig blühten. Liebevoll versorgte er sie mit Wasser und lachte leise. Dann verließ er die alte Küche und schloss sorgfältig die Tür.
S I E B E N
Magda stieg müde aus ihrem alten Meriva, den sie in der offenen Garage geparkt hatte und hob das Fränzchen heraus. Abends wollte ihr Herbert vorbeikommen. Sie hatten ausgemacht, dass sie heute zum ersten Mal nach ihrer schweren Verletzung, zum Tanzkurs gehen wollten – aber nur, falls sie nicht zu erschöpft dafür sei, hatte sich Herbert ausbedungen. Dieser liebe Schatz. Wie froh sie war, dass er sich so liebevoll um sie sorgte. So einen lieben Mann gibt es nicht nochmal, dachte sie lächelnd.
Sie