V I E R
Magda fuhr schnell wieder zurück zu Eddie, wo sie ein Stück mit Fränzchen den Hang hinauflief. Eifrig schnüffelnd, verrichtete der endlich seine Geschäfte und Magda betrachtete derweil sinnend die Umgebung. Eine Apfelbaumpflanzung mit kleinen Bäumchen fiel ihr ins Auge und sie bewunderte die Größe, oder vielmehr, der Mangel daran. Genau meine Pflückhöhe, dachte sie dabei lächelnd. Unter einem Unterstand links davon standen einige landwirtschaftliche Gerätschaften – unter anderem ein umgebauter Rasenmäher, mit dem man herumfahren und möglicherweise auch anders geartete Arbeiten, außer Rasenmähen, erledigen konnte. Oder einfach nur herumfahren? Das würde mir auch gefallen, schoss es ihr durch den Kopf. Fränzchen knurrte plötzlich leise und Magda kam mit einem Ruck in die Wirklichkeit zurück. Sie betrachtete interessiert, wie er das Nackenfell hochstellte. „Das hab ich ja noch nie gesehen, Fränzchen!“ Sie bückte sich und fuhr ihm über den Kamm. Doch der Hund sah starr zum Waldrand hin, wo Magda einen Moment lang dachte, etwas aufblitzen gesehen zu haben. Sie kniff die Augen zusammen, holte ihr Handy heraus und fotografierte den Waldrand einige Male sorgfältig. Vielleicht konnte man auf einer Vergrößerung mehr erkennen. „Was machst du denn da schon wieder - Waldbilder?“ Sie zuckte heftig zusammen, sah Ben neben sich stehen, der sie freundlich anlächelte und bemerkte, dass Fränzchen begeistert wedelte und keinerlei Interesse am Wald mehr zeigte.
„Hallo Ben, bevor du da warst, hat der Hund wild geknurrt, die Nackenhaare aufgestellt und dabei zum Waldrand hingeschaut. Da ich nichts erkennen konnte, außer einem kurzen Aufblitzen, habe ich vorsichtshalber ein paar Fotos davon gemacht!“ Ben nickte stirnrunzelnd. „Wäre ja nicht das erste Mal, dass uns ein Mörder bei der Arbeit beobachtet.“ „Oder ein sensationsgeiler Spanner!“, gab Magda düster zurück.
Ben nahm ihr das Handy aus der Hand und vergrößerte das Foto. „Hier könnte tatsächlich einer stehen, schau mal!“ Magda beugte sich über das Smartphone und kniff die Augen dabei zusammen. „Es hat keinen Sinn. Ich muss es im Büro anschauen, wenn ich meine Lesebrille aufhabe.“ „Stimmt, du bist ja jetzt schon im Lesebrillenalter.“ Ben grinste frech und wurde schlagartig ernst. „War es Mord?“ Magda nickte zögernd. „Ich denke schon. Eddie hat mich gleich weggeschickt, du weißt ja, wie er ist. Ich solle keine Spuren zertrampeln. Als ob ich das schon jemals getan hätte.“ Ben lachte leise. „Du doch nicht.“ „Genau!“ Magda stupste ihn leicht in die Seite. „Doch so wie der Mann da lag, als hätte er einen Herzanfall erlitten, daneben jedoch Erbrochenes, weckte es anscheinend Eddies Verdacht und er hat gleich die Kavallerie angefordert.“ „Gut so!“, meinte Ben kurz. „Lieber einmal zu viel, als zu wenig!“ Magda nickte düster. „Hast du auch wieder recht.“ „Wie gut, dass wir unsere Susi haben. In anderen Revieren wird gerade an den Gerichtsmedizinern gespart.“ Ben musste lachen. „Na, bei uns herrschte in den letzten Jahren kein Mangel an Morden und so war sie wirklich gut ausgelastet und konnte schlecht wegrationalisiert werden, wegen mangelnder Arbeit.“ „Wohl wahr“, flachste nun auch Magda. „Wenn ich auch für die Odenwälder Bevölkerung, speziell des Mümlingtales, hoffe, dass die Morderei nicht weiter so ausartet. Ab und zu ein Mördchen würde mir schon reichen. Nur so viel, dass wir nicht die Übung verlieren.“ Ben schüttelte den Kopf, in sich hineinlachend. Wenn das jemand hören würde, der seine Chefin nicht kannte, würde er wahrscheinlich denken, dass sie sich an Morden regelrecht erfreute, dabei war Magda nur auf Gerechtigkeit aus. Es störte sie so vieles, aber ganz besonders, dass Tötungsdelikte oft weniger hart bestraft wurden, als Raub. Für sie war jedes Menschen- (und Tier-) leben wichtig – wichtiger als jedes materielle Gut, sei es Geld, Schmuck oder was auch immer.
„Anne hat sich gleich auf die Arbeit gestürzt und wahrscheinlich bereits ihr obligatorisches Taschentuch gefunden“, versuchte er Magda aus ihren Gedanken zu reißen, was ihm auch gelang, wie er erleichtert erkannte, denn ein zartes Lächeln verschönte ihr Gesicht. „Wollen wir mal nach den beiden schauen?“ „Gerne“, sagte Ben und nahm ihren Arm, als sie ins Rutschen kam.
Magda ging mit Fränzchen auf der rechten Seite und schaute sich interessiert nach allen Seiten um. „Schaust du mehr links und ich guck rechts, dass uns nichts entgeht?“ Ben nickte. „Mach ich!“ „Da!“ Triumphierend bückte sich Magda und hob ein Taschentuch mit behandschuhter Hand vom Wegrand auf. „Du machst Anne Konkurrenz. Sie wird nicht erfreut sein!“ Ben hielt lächelnd einen Plastikbeutel auf. „Vielleicht hat es ja gar nichts mit unserem Fall zu tun“, meinte Magda unsicher und ging vorsichtig weiter. Kurz darauf waren sie bei Anne und Eddie angekommen, die inzwischen Verstärkung von Susi und Freddy bekommen hatten. Susi war eben dabei, die Leiche mit Hilfe von Eddie umzudrehen, während Freddy eifrig fotografierte und Anne, unter dem Toten mit der Pinzette vorsichtig ein Taschentuch aufnahm, das sie, mit triumphierendem Lächeln, in einem Plastikbeutelchen versenkte. „Sie hat auch ein Taschentuch gefunden“, raunte Ben Magda ins Ohr und diese nickte lächelnd mit den Worten: „Dann ist sie glücklich. Ich gönne es ihr von Herzen!“ „Das hab ich gehört“, zischte Anne leise und lächelte Magda und Ben zufrieden an, während Susi und Eddie die Leiche wieder vorsichtig ablegten.
Magda hob ihren Beutel hoch und schwenkte ihn vor Anne hin und her. „Hier hast du etwas zum Vergleichen, vielleicht findest du identische DNA!“ „Möglicherweise!“, meinte Anne kurz und stand stöhnend auf. „War es Gift?“, wandte sich Magda an Susi. Die zuckte die Achseln und sah auf. „Wahrscheinlich schon. Ich tippe auf Pflanzengift und dabei käme am ehesten Helleborus niger infrage, weil die Christrose die einzige Pflanze ist, die jetzt noch blüht und Erbrechen dabei typisch ist.“ Sie deutete auf das Erbrochene neben der Leiche. „Wieso? Muss sie denn blühen?“ Magda sah sie verständnislos an. „Blühen nicht unbedingt, aber im Winter wachsen bei uns kaum Pflanzen draußen.“ „Also meinst du, es wäre eine Pflanze gewesen?“ Susi deutete auf das Erbrochene neben dem Toten. „Das Erbrochene hat mich darauf gebracht. Es ist typisch für Vergiftungen mit Hellebrin, das sich hauptsächlich in der Wurzel der Christrose, einem typischen Winterblüher, befindet. Die Nieswurz gehört zu den Hahnenfußgewächsen und alle Pflanzenteile sind giftig. Und es wäre für den Mörder am einfachsten zu beschaffen um diese Jahreszeit.“ Sie räusperte sich nachdenklich und sah Magda an. „Es ist bisher nur ein Verdacht. Genau kann ich es erst nach der Obduktion sagen, wie immer – weißt du ja.“ Magda nickte und schüttelte sich, wobei sie zu Eddie sah. „Pass bloß auf, dass dich deine Süße nicht vergiftet. Das nötige Wissen dafür hat sie ganz sicher.
Eddie nickte düster und Susi lachte leise. „Gift ist aus der Mode, denn es ist fast immer nachweisbar.“ „Echt?“ Magda war erstaunt. „Deswegen würde es mich wundern, wenn es hier verwendet worden wäre. Aber alles spricht merkwürdigerweise dafür!“ Susi zuckte die Achseln. „Wirklich seltsam, finde ich.“
Magda nickte nachdenklich. „Also kannst du es nachweisen?“ Susi antwortete bestätigend: „Das kann ich sehr wahrscheinlich, weil ich Proben von dem Erbrochenen genommen habe und bei der Obduktion werde ich auch noch Blut entnehmen. Zudem war noch ein kleiner Rest Tee in der Flasche. Das alles zusammen sollte reichen, für einen sicheren Nachweis der Giftart. Das Gift der Christrose ist übrigens sehr vielseitig.
Es enthält kardiotoxische Bufadienolide, aber auch Saponine, Ecdysone und Protoanemonin. Alles zusammen ein durchaus gefährlicher Cocktail, falls es das wirklich gewesen ist. Dennoch hätte er nicht unbedingt sofort tödlich wirken müssen.“ „Was heißt das?“, wollte Magda verunsichert