Die Gäste fuhren fort zu staunen, zu flüstern und einander anzusehen; aber es war ganz klar, daß dies alles vorher überlegt und vorher arrangiert worden war und daß Nastasja Filippowna, obgleich sie wirklich den Verstand verloren haben mochte, sich jetzt von ihrem Vorhaben nicht werde abbringen lassen. Alle waren außerordentlich gespannt. Überdies hatte niemand etwas Sonderliches zu fürchten. Damen waren nur zwei anwesend: Darja Alexejewna, die gewandte Dame, die schon mancherlei in der Welt durchgemacht hatte und nicht leicht in Verlegenheit zu bringen war, und die schöne, aber schweigsame Unbekannte. Aber die schweigsame Unbekannte konnte kaum etwas verstehen, sie war eine zugereiste Deutsche und konnte nicht Russisch; außerdem war sie, wie es schien, ebenso dumm, wie sie schön war. Sie war erst vor kurzem angekommen; aber es war schon üblich geworden, sie zu gewissen Abendgesellschaften einzuladen, bei denen sie dann in reichster Toilette und wie zu einer Ausstellung frisiert erschien und wie ein entzückendes Bild zur Verschönerung des Abends ihren Platz erhielt, gerade wie manche Leute sich für ihre Gesellschaften auf einen einzigen Abend von ihren Bekannten ein Gemälde, eine Vase, eine Statue oder einen Ofenschirm leihen. Was die Männer anlangte, so war Ptizyn mit Rogoschin befreundet; Ferdyschtschenko fühlte sich wie ein Fisch im Wasser; Ganja konnte immer noch nicht recht zu sich kommen, indes empfand er dunkel ein unüberwindliches, glühendes Verlangen, bis zum Ende an seinem Schandpfahl auszuhalten; der alte Lehrer, der von den Vorgängen nur wenig verstand, weinte beinah und zitterte buchstäblich vor Furcht, da er an den andern ringsumher und an Nastasja Filippowna, die er wie eine Enkelin vergötterte, eine so ungewöhnliche Aufregung wahrnahm, aber er wäre eher gestorben, als daß er sie in einem solchen Augenblick verlassen hätte. Was Afanasi Iwanowitsch betrifft, so durfte er sich allerdings bei solchen Affären nicht kompromittieren; aber er war an der Angelegenheit zu sehr interessiert, obwohl sie eine so sinnlose Wendung genommen hatte; auch hatte Nastasja Filippowna ein paar ihn betreffende derartige Bemerkungen fallenlassen, daß er unmöglich weggehen konnte, bevor die Sache vollständig aufgeklärt war.
Er entschied sich dafür, bis zu Ende sitzenzubleiben, nunmehr gänzlich zu schweigen und nur den Beobachter zu spielen, ein Verhalten, das auch seine Würde sicherlich verlangte. Nur für General Jepantschin, der schon soeben durch die so ungenierte, lächerliche Rückgabe seines Geschenkes gekränkt worden war, bestand die Möglichkeit, daß er durch alle diese seltsamen Exzentrizitäten oder auch durch Rogoschins Erscheinen noch weiter beleidigt werde; auch hatte ein Mann wie er ohnehin schon eine zu weitgehende Herablassung gezeigt, indem er sich entschlossen hatte, sich neben einen Ptizyn und einen Ferdyschtschenko zu setzen; aber die Wirkung der Leidenschaft mußte doch endlich aufgehoben und überwogen werden durch das Gefühl der Pflicht, durch das Bewußtsein seines Ranges und seiner gesellschaftlichen Stellung sowie überhaupt durch die Selbstachtung, so daß ein Rogoschin mit seiner Gesellschaft jedenfalls in Gegenwart Seiner Exzellenz ein Ding der Unmöglichkeit war.
»Ach, General«, unterbrach ihn Nastasja Filippowna sogleich, als er sich mit einer Bemerkung dieses Inhalts an sie wandte, »das hatte ich im Augenblick vergessen! Aber seien Sie überzeugt, daß ich Ihre Bedenken vorhergesehen hatte. Wenn es Ihnen so peinlich ist, so bestehe ich nicht darauf, daß Sie hierbleiben, und will Sie nicht zurückhalten, obwohl gerade Sie jetzt bei mir zu sehen mir höchst erwünscht sein würde. Jedenfalls danke ich Ihnen sehr für Ihre Bekanntschaft und für die schmeichelhafte Aufmerksamkeit, die Sie mir erwiesen haben; aber wenn Sie fürchten ...«
»Erlauben Sie, Nastasja Filippowna«, rief der General in einem Anfall von ritterlichem Edelmut, »zu wem reden Sie so? Schon allein aus Ergebenheit werde ich jetzt bei Ihnen bleiben, und wenn irgendwelche Gefahr bestehen sollte ... Außerdem muß ich bekennen, daß ich außerordentlich neugierig bin. Ich wollte nur darauf aufmerksam machen, daß diese Menschen möglicherweise die Teppiche verderben und etwas zerbrechen werden ... Meiner Ansicht nach sollten Sie sie überhaupt nicht hereinlassen, Nastasja Filippowna!«
»Da ist Rogoschin selbst!« rief Ferdyschtschenko.
»Wie denken Sie darüber, Afanasi Iwanowitsch?« flüsterte diesem der General schnell zu. »Ob sie nicht den Verstand verloren hat? Das heißt, nicht figürlich gesagt, sondern im eigentlichen medizinischen Sinne, wie?«
»Ich habe Ihnen schon früher gesagt, daß sie von jeher dazu neigte«, flüsterte Afanasi Iwanowitsch schlau zurück. »Und dazu nun noch das Fieber ...«
Rogoschins Gefolge wies fast denselben Bestand auf wie am Tage; hinzugekommen waren nur ein heruntergekommener alter Mann, der seinerzeit Redakteur eines bissigen Skandalblättchens gewesen war und von dem man sich das Geschichtchen erzählte, er habe seine in Gold gefaßten falschen Zähne versetzt und vertrunken, sowie ein verabschiedeter Leutnant, nach seinem Handwerk und seiner Bestimmung ein entschiedener Rivale und Konkurrent des schon am Tage anwesenden Herrn mit den Fäusten; es kannte ihn niemand von Rogoschins übrigen Leuten; er war auf der Sonnenseite des Newski-Prospekts aufgelesen worden, wo er die Passanten anhielt und im Marlinskischen Stile um eine Unterstützung bat, mit der schlauen Bemerkung, er selbst habe seinerzeit jedem Bittsteller fünfzehn Rubel gegeben. Die beiden Konkurrenten nahmen von vornherein eine feindliche Stellung gegeneinander ein. Der schon eher dagewesene Herr mit den Fäusten hielt sich durch die Aufnahme des »Bittstellers« in die Gesellschaft geradezu für beleidigt, und da er von Natur schweigsam war, so brummte er nur manchmal wie ein Bär und blickte mit tiefster Verachtung auf die Schmeicheleien und Scherze, mit denen sich der »Bittsteller«, welcher sich als eine weltmännische, diplomatische Persönlichkeit erwies, an ihn heranmachte. Seinem Äußern nach ließ der Leutnant erwarten, daß er »bei der Arbeit« mehr durch Geschicklichkeit und Gewandtheit als durch Kraft wirken werde; auch war er von kleinerer Statur als der Herr mit den Fäusten. Taktvoll, ohne in einen offenen Streit einzutreten, aber sehr ruhmredig, hatte er schon mehrmals auf die Vorzüge des englischen Boxens hingedeutet und sich als einen entschiedenen Anhänger westeuropäischen Wesens zu erkennen gegeben. Der Herr mit den Fäusten hatte bei dem Wort »Boxen« nur geringschätzig und beleidigend gelächelt und seinerseits, ohne seinen Rivalen eines offenen Streites zu würdigen, manchmal schweigend und anscheinend unbewußt ein durchaus nationales Naturprodukt gezeigt oder, richtiger gesagt, zur Schau vorgeschoben: eine gewaltige, sehnige, knorrige, mit einer Art von rötlichem Flaum bewachsene Faust, und es war allen klargeworden, daß wenn dieses echt nationale Naturprodukt ohne Fehlschlag auf ein Lebewesen niederfiel, von diesem tatsächlich nur ein nasser Fleck übrigblieb.
Im vollen Wortsinn »fertig« war auch diesmal, ebenso wie am Tage, keiner von ihnen; dies war ein Erfolg der persönlichen Bemühungen Rogoschins, dem den ganzen Tag über sein Besuch bei Nastasja Filippowna als Ziel vor Augen geschwebt hatte. Er selbst war wieder fast ganz nüchtern geworden; aber dafür war er beinahe betäubt von all den Eindrücken, die ihm dieser seltsame, mit keinem seiner früheren Lebenstage vergleichbare Tag gebracht hatte. Nur eine Absicht hatte er jede Minute, jede Sekunde im Auge gehabt, im Gedächtnis behalten, im Herzen gehegt, und um diese eine Absicht auszuführen, hatte er die ganze Zeit von fünf Uhr nachmittags bis elf Uhr abends in größter Aufregung und Unruhe damit verbracht, mit Leuten wie Biskup und Kinder zu verhandeln, die gleichfalls fast den Verstand verloren hatten und in seinem Interesse wie die Besessenen umherrannten. Aber die hunderttausend Rubel bar, die er Nastasja Filippowna, durch ihr Benehmen gereizt, angeboten hatte, waren doch zusammengebracht worden, allerdings zu Prozenten, von denen sogar Biskup selbst schamhafterweise mit Kinder nicht laut, sondern nur flüsternd sprach.
Rogoschin schritt wie am Tag so auch jetzt an der Spitze aller einher; die übrigen gingen hinter ihm, zwar im vollen Bewußtsein ihrer Vorzüge, aber doch einigermaßen ängstlich. Hauptsächlich fürchteten sie sich, Gott weiß weshalb, vor Nastasja Filippowna. Manche von ihnen dachten sogar, man werde sie alle unverzüglich die Treppe hinunterwerfen. Zu denen, die solche Befürchtungen hegten, gehörte unter andern der Stutzer und Herzensbezwinger Saloschew. Die andern aber, und ganz besonders der Herr mit den Fäusten, hegten, wenn sie es auch nicht laut aussprachen, doch in ihrem Herzen eine tiefe Verachtung, ja einen Haß gegen Nastasja Filippowna und gingen zu ihr, als ob sie gegen eine zu belagernde Stadt vorrückten. Aber die