Alles dies schwebte auch mir ganze anderthalb Stunden lang, nachdem Kolja weggegangen war, bruchstückweise vor, vielleicht tatsächlich im Fieberwahn, manchmal aber auch in klarer Gestalt. Kann einem denn das in klarer Gestalt vorschweben, was überhaupt keine Gestalt hat? Aber es schien mir zeit weilig, als sähe ich diese grenzenlose Macht, dieses taube, dunkle, stumme Wesen in einer seltsamen, unglaublichen Form vor mir. Ich erinnere mich, daß es mir vorkam, als leite mich jemand, der eine Kerze hielt, an der Hand und zeige mir eine riesige, widerliche Tarantel und versichere mir, das sei eben jenes dunkle, taube, allmächtige Wesen, und lache über meine Empörung. In meinem Zimmer wird vor dem Heiligenbild immer für die Nacht das Lämpchen angezündet, das zwar nur ein schwaches, trübes Licht gibt, indes kann man doch alles erkennen und dicht bei ihm sogar lesen. Ich glaube, es war schon Mitternacht vorüber; ich war völlig wach und lag mit offenen Augen da; plötzlich wurde die Tür meines Zimmers geöffnet, und Rogoschin trat herein.
Er trat herein, machte die Tür wieder zu, sah mich schweigend an und ging leise in die Ecke zu dem Stuhl, der dicht unter dem Heiligenlämpchen steht. Ich war sehr erstaunt und blickte erwartungsvoll hin; Rogoschin stützte sich mit dem Ellbogen auf ein Tischchen und begann, mich schweigend anzuschauen. So vergingen zwei bis drei Minuten, und ich erinnere mich, daß sein Stillschweigen mich sehr verletzte und ärgerte. Warum wollte er denn nicht reden? Daß er so spät kam, schien mir allerdings sonderbar; aber ich erinnere mich, daß ich gerade darüber eigentlich nicht erstaunt war. Im Gegenteil: ich hatte ihm zwar am Morgen meinen Gedanken nicht deutlich ausgesprochen; aber ich wußte, daß er ihn verstanden hatte; und dieser Gedanke war von der Art, daß Rogoschin aus Anlaß desselben allerdings herkommen konnte, um nochmals darüber zu reden, selbst zu so später Stunde. Ich meinte auch, daß er deswegen gekommen sei. Wir hatten uns am Vormittag in einigermaßen feindseliger Stimmung getrennt, und ich erinnere mich sogar, daß er mich ein paarmal sehr spöttisch angesehen hatte. Und nun las ich in seinem Blick diesen selben Spott, und der war eben das, was mich beleidigte. Daran, daß dies wirklich Rogoschin selbst war und nicht eine Erscheinung, ein Fieberwahn, daran zweifelte ich anfangs nicht im geringsten. Ein solcher Gedanke kam mir überhaupt gar nicht in den Kopf.
Unterdessen saß er noch immer und schaute mich mit demselben Lächeln an. Ich drehte mich zornig im Bett herum, stützte mich ebenfalls mit dem Ellbogen auf das Kopfkissen und beschloß absichtlich, auch meinerseits zu schweigen, und wenn wir noch so lange so dasitzen sollten. Aus irgendeinem Grund wollte ich durchaus, daß er zuerst anfangen sollte zu reden. Ich glaube, so vergingen etwa zwanzig Minuten. Plötzlich kam mir der Gedanke: wie, wenn das nicht Rogoschin ist, sondern eine Erscheinung?
Weder in meiner Krankheit noch sonst je in der vorhergehenden Zeit hatte ich eine Erscheinung gesehen; aber ich hatte immer, schon seit meiner Knabenzeit, gemeint, und das meinte ich auch jetzt, das heißt noch vor kurzem, wenn ich auch nur ein einziges Mal eine Erscheinung sähe, so würde ich auf der Stelle sterben; und zwar meinte ich das, obwohl ich an keine Erscheinungen glaube. Aber als mir der Gedanke kam, daß dies nicht Rogoschin, sondern nur eine Erscheinung sei, so erschrak ich, wie ich mich erinnere, gar nicht darüber. Noch mehr: ich wurde darüber sogar zornig. Sonderbar war auch das, daß die Beantwortung der Frage, ob das eine Erscheinung sei oder Rogoschin selbst, mich eigentlich gar nicht so beschäftigte und beunruhigte, wie das in der Natur der Sache zu liegen schien; ich glaube, daß ich damals an etwas ganz anderes dachte. Es interessierte mich zum Beispiel weit mehr, warum Rogoschin, der vorhin in Schlafrock und Pantoffeln gewesen war, jetzt einen Frack, eine weiße Weste und eine weiße Krawatte trug. Es tauchte in meinem Kopf auch der Gedanke auf: wenn das eine Erscheinung war und ich mich nicht vor ihr fürchtete, warum sollte ich dann nicht aufstehen und zu ihr hingehen und mich selbst vergewissern? Vielleicht wagte ich es übrigens auch nicht und fürchtete mich doch. Aber sowie ich auf den Gedanken gekommen war, daß ich mich fürchtete, war es mir, als ob man mir mit einem Stück Eis über den ganzen Körper führe; ich fühlte eine Kälte im Rücken, und die Knie zitterten mir. Gerade in diesem Augenblick ließ Rogoschin, wie wenn er erraten hätte, daß ich mich fürchtete, den Arm, mit dem er sich aufgestützt hatte, sinken, richtete sich gerade und öffnete den Mund, wie wenn er loslachen wollte; dabei sah er mich starr an. Mich ergriff eine solche Wut, daß ich mich wirklich auf ihn stürzen wollte; aber da ich mir fest vorgenommen hatte, daß ich nicht zuerst anfangen wollte zu reden, so blieb ich im Bett, um so mehr, da ich immer noch nicht im klaren darüber war, ob es Rogoschin selbst sei oder nicht.
Ich erinnere mich nicht genau, wie lange das dauerte; auch habe ich keine sichere Erinnerung daran, ob ich manchmal auf einige Minuten das Bewußtsein verlor oder nicht. Endlich jedoch stand Rogoschin auf, musterte mich ebenso langsam und aufmerksam wie vorher, als er hereinkam, lächelte aber nicht mehr und ging leise, beinah auf den Zehen, zur Tür, öffnete sie und ging hinaus. Ich stand nicht vom Bett auf; ich erinnere mich nicht, wie lange ich noch mit offenen Augen dalag und nachdachte; Gott weiß, worüber ich nachdachte; ebensowenig erinnere ich mich, wie mir das Bewußtsein schwand und ich einschlief. Am andern Morgen erwachte ich, als nach neun Uhr an meine Tür geklopft wurde. Ich hatte ein für allemal die Anordnung getroffen, wenn ich nicht selbst bis neun Uhr die Tür öffnete und nach Tee riefe, so solle