Ich weiß bis heute nicht, welchen Teil meiner Erzählung sie geglaubt haben: Das mit dem Fallschirm, das mit dem lutherischen Pastor, der zufällig vorbeikam und Opa beerdigt hat, oder das mit seinen letzten Worten. »Hat er noch etwas gesagt?« – »Ja, doch, ich hielt ihn in den Armen, etwa so, und er schaute mich glücklich lächelnd an.« – »Und was hat er gesagt?« Mir fiel nichts Besseres ein als: »O Junge, wir sind dem Bertil noch einen Hahn schuldig, entrichte ihm den, und versäum es ja nicht.« – »Ja, so war er, treu und gewissenhaft bis zum Ende«, sagte Mabel und alle nickten, obwohl sie ihn erst wenige Wochen zuvor persönlich kennengelernt hatten.
Es wurde dann doch noch ein lustiger Samstagabend. Ich erzählte natürlich noch die Geschichte von der Grenze und der Zirkustruppe, »det er opfundet«, warf Onkel Jasper aufgebracht ein.
»Nein, so wahr ich hier sitze, es ist nichts erfunden«, entgegnete ich und war so angestachelt, dass ich beinahe die Sache mit den blutigen Händen zum Besten gegeben hätte. Noch bevor mir Taleesha ihren Ellbogen in die Rippen rammen konnte, setzte die Musik ein, jemand hatte Fidel und Banjo geholt und es wurde gesungen.
Morten kam rübergeschlendert, reckte vor mir die Brust raus und sagte: »Lass sie doch mal tanzen, Negerweiber können doch so gut tanzen, das wär’ doch ’n Spaß.«
»Frag sie doch selber!«, gab ich zurück.
Morten schaute nur aus den Augenwinkeln zu Taleesha hinüber, beugte sich zu mir herunter und flüsterte laut genug: »Und wie ist sie so?« Zum Glück legte jemand von hinten Morten die Hand auf die Schulter, »machst du mit?«, fragte er ihn, und Morten nickte und drehte ab.
»Nein, nein, kommt nicht in Frage«, sagte Margret später, »du schläfst nicht in dieser Kiste da.« Sie meinte den Wohnwagen, den ihr Neffe Jake aus Bevington uns bei unserem ersten Halt auf dem Weg in den Süden verkauft hatte. »Du schläfst im Haus, und die« – sie zeigte auf Taleesha –, »Brenda, Liebes, warum bringst du sie nicht zu der Hütte, wo die Erntehelfer immer schlafen« – und im gleichen Atemzug an mich gewandt: »Sie ist doch reinlich, oder?«
Ich hatte die Nase voll, aber Taleesha beruhigte mich: »Lass nur, ist schon gut, ich kenne das.«
»Ich war immer gut zu meinen Negern«, sagte Margret, die mitbekommen hatte, dass ich sauer war, »und Neil und Kirk durften immer mit ihnen spielen. Frag Yetty!« Sie zeigte auf eine alte Frau, die abseits unter einem Ahornbaum saß und an einer Flasche Cola nuckelte. Sie war die einzige schwarze Einwohnerin des Ortes und mit ihren einhundertundzwei Jahren hätte sie eine Menge Geschichten auf Lager haben können. »Wenn sie noch richtig im Kopf wäre, könnte sie dir erzählen, wie gut wir immer für alle gesorgt haben. Das ist nicht der Süden, wir sind hier in Iowa, und Großvater hat für die Union seinen linken Arm gegeben.«
Woher kommt das, dass man manchmal einfach das Falsche sagt oder tut, gar nicht böse gemeint, einfach so, ohne nachzudenken, und alles ist verdorben, und man mag sich nicht mehr im Spiegel ansehen und noch Jahre später quält einen die Scham, wann immer man an diesen Augenblick denkt. Und manchmal sagt und tut man genau das Richtige, das einzige, was angemessen ist, ehrlich, aufrichtig, und so sagte ich: »Nein, Taleesha bleibt bei mir.«
Taleesha schlief im Wohnwagen und ich auf der Rückbank des Pick-ups, so weit wollte ich dann doch nicht gehen, dass ich mit einem Negermädchen im selben Bett liege, sozusagen vor aller Augen. Auch in Iowa – ups! – brennen zuweilen Hütten.
Sonntag, Kirchgang. Das war wie zuhause in meiner Kindheit: leiernde Choräle (von einem Lied haben wir vierzehn Strophen gesungen!), gemurmelte Gebete, eine endlose Predigt (ich nahm sie als Buße für all meine Sünden der letzten Tage), Fürbitte für den Präsidenten, die Verworfenen dieser Welt und Peter Peterson, der sich vergangene Woche ein Bein und einige Rippen gebrochen hatte, als er seinen Zuchteber bändigen wollte. Auf den geistlichen Segen folgte der Segen der dänisch-amerikanischen Küche: riesige Hackbraten, in deren Innerem sich Hühnerleber, Käsewürfel, Lauchringe und ganze gekochte Eier verbargen, gegrillte Schweinebäuche, geräucherter Speck, Hühnerschenkel, luftgetrocknete Hartwürste, buttertriefende Maiskolben, Berge von Kartoffelsalat (deren Herstellung und Zutaten ein unerschöpfliches Gesprächsthema während des Essens waren, wie wahrscheinlich schon seit hundert Jahren), verschiedene Weißkrautsalate, mit Käse überbackener Blumenkohlauflauf, schließlich mehrere Lagkage, zwischen deren Schichten sich die Beerenernte des gesamten Countys drängte (was man aber erst erkennen konnte, wenn man sich durch die Schlagsahne gearbeitet hatte), dazu Hefezöpfe, gefüllt mit Pflaumenmus. Ständig kam eine der Frauen vorbei, um eines ihrer Werke anzupreisen und zur Überprüfung der Werthaltigkeit ihrer Worte auch gleich auf den Teller zu häufen. Nach den Wochen schmaler Kost befürchtete ich das Schlimmste für meine Verdauungsorgane, doch halt!: dafür gab es ja den Akvavit!
Wir müssen morgen früh los, entschuldigte ich uns am frühen Abend, und wir umarmten uns und sagten »Ses snart!« und »See you!« und »Tak for gæstfriheden!« und »Danke für alles!«, und dann zogen wir uns in den Wohnwagen zurück. Lass uns gleich abhauen! schlug ich vor, doch Taleesha sagte etwas von Höflichkeit und Müdigkeit und Dunkelheit, und so legte ich mich im Pick-up schlafen und so war es auch gut.
Der Abschied war versöhnlich, wir bekamen noch einen Kaffee, und Großtante Margret belud den Pick-up eigenhändig mit Bergen von Plastikbehältern, bis zum Rand gefüllt mit Schinken und Würsten, mit Kartoffelsalat und Roter Grütze, damit wir nicht schon am ersten Tag unserer Weiterreise verhungerten. »Hilsen mit hjem«, bat mich Margret, und ich versprach, beim nächsten Besuch eine Tüte mit Heimaterde mitzubringen.
Im Auge des Tornados
Taleesha wollte unbedingt nach Des Moines, weil ihr Onkel vor mehreren Jahren mit seiner Familie dorthin gegangen war. »Er wollte einfach nur weg aus dem Süden. Ich habe zuhause über meinem Bett immer noch die erste Ansichtskarte angepinnt, die er uns geschrieben hat. ›Hier ist es wunderbar, kommt auch, es gibt Arbeit für alle.‹ Auf der Vorderseite war das Iowa State Capitol abgebildet, das hat eine Kuppel aus echtem Gold.« Deswegen wollte sie, dass wir dort anhielten, sie wollte das Kapitol mit der goldenen Kuppel sehen, das war für sie so etwas wie das Versprechen an alle, goldene Zukunft und so.
»Magst du deinen Onkel besuchen?«, fragte ich, »weißt du, wo er wohnt?«
»Ja, doch, weiß ich.«
»Dann lass uns hinfahren, oder?«
Taleesha gab zunächst keine Antwort, dann sagte sie: »Glendale Graveyard«.
»Der Friedhof? Was ist passiert?« Ich war geschockt.
»Keine Ahnung, irgendeinem Cop zu lange in die Augen geschaut oder die Hand nicht aus der Hosentasche genommen oder die Hand zu schnell aus der Hosentasche genommen, wie gesagt: keine Ahnung.« Wir schwiegen eine Dreiviertel Meile lang. Dann sagte sie: »Mein Cousin liegt auch dort.«
»Und deine Tante? Und die anderen?«
»Keine Ahnung, nie mehr was gehört.«
Aber die goldene Kuppel, die wollte sie doch sehen, also parkten wir da, wo der Des Moines River und der Raccoon River zusammenfließen, und spazierten hoch zum Kapitol, das am Ende nichts anderes ist als ein riesiger Kasten mit einer furchteinflößenden hohen Treppe und riesigen Säulen und einer im Verhältnis viel zu kleinen Kuppel, und ja: sie ist vergoldet. Wir ließen uns unsere Enttäuschung nicht anmerken, tranken auf dem Rückweg zum Auto eine Cola und