Als nun der Tag anbrach, steckte der Junge seine fünfzig Taler in die Tasche, ging hinaus auf die große Landstraße und sprach immer vor sich hin: „Wenn mir's nur gruselte! wenn mir's nur gruselte!“ Da kam ein Mann heran, der hörte das Gespräch, das der Junge mit sich selber führte, und als sie ein Stück weiter waren, dass man den Galgen sehen konnte, sagte der Mann zu ihm: „Siehst du, dort ist der Baum, wo sieben mit des Seilers Tochter Hochzeit gehalten haben und jetzt das Fliegen lernen; setz dich darunter und warte, bis die Nacht kommt, so wirst du schon das Gruseln lernen.“ „Wenn weiter nichts dazu gehört,“ antwortete der Junge, „das ist leicht getan; lerne ich aber so geschwind das Gruseln, so sollst du meine fünfzig Taler haben; komm nur morgen früh wieder zu mir.“ Da ging der Junge zu dem Galgen, setzte sich darunter und wartete, bis der Abend kam. Und weil ihn fror, machte er sich ein Feuer an; aber um Mitternacht ging der Wind so kalt, dass er trotz des Feuers nicht warm werden wollte. Und als der Wind die Gehenkten gegeneinander stieß, dass sie sich hin und her bewegten, so dachte er, „du frierst unten bei dem Feuer, was mögen die da oben erst frieren und zappeln.“ Und weil er mitleidig war, legte er die Leiter an, stieg hinauf, knüpfte einen nach dem anderen los, und holte sie alle sieben herab. Darauf schürte er das Feuer, blies es an und setzte sie ringsherum, dass sie sich wärmen sollten. Aber sie saßen da und regten sich nicht, und das Feuer ergriff ihre Kleider. Da sprach er: „Nehmt euch in acht, sonst häng' ich euch wieder hinauf.“ Die Toten aber hörten nicht, schwiegen und ließen ihre Lumpen fortbrennen. Da ward er bös und sprach: „Wenn ihr nicht acht geben wollt, so kann ich euch nicht helfen, ich will nicht mit euch verbrennen,“ und hing sie nach der Reihe wieder hinauf. Nun setzte er sich zu seinem Feuer und schlief ein, und am anderen Morgen, da kam der Mann zu ihm, wollte die fünfzig Taler haben und sprach: „Nun, weißt du was gruseln ist?“ „Nein“, antwortete er, „woher sollte ich's wissen? Die da droben haben das Maul nicht aufgetan und waren so dumm, dass sie die paar alten Lappen, die sie am Leib haben, brennen ließen.“ Da sah der Mann, dass er die fünfzig Taler heute nicht davontragen würde, ging fort und sprach: „So einer ist mir noch nicht vorgekommen.“
Der Junge ging auch seines Weges und fing wieder an vor sich hin zu reden: „Ach, wenn mir's nur gruselte; ach, wenn mir's nur gruselte!“ Das hörte ein Fuhrmann, der hinter ihm herschritt, und fragte: „Wer bist du?“ „Ich weiß nicht,“ antwortete der Junge. Der Fuhrmann fragte weiter: „Wo bist du her?“ „Ich weiß nicht.“ „Wer ist dein Vater?“ „Das darf ich nicht sagen.“ „Was brummst du beständig in den Bart hinein?“ „Ei“. antwortete der Junge, „ich wollte, dass mir's gruselte, aber niemand kann mir's lehren.“ „Lass dein dummes Geschwätz“, sprach der Fuhrmann, „komm, geh' mit mir, ich will sehen, dass ich dich unterbringe.“ Der Junge ging mit dem Fuhrmann, und abends gelangten sie zu einem Wirtshaus, wo sie übernachten wollten. Da sprach er beim Eintritt in die Stube wieder ganz laut: „Wenn mir's nur gruselte: wenn mir's nur gruselte!“ Der Wirt, der das hörte, lachte und sprach: „Wenn dich danach lüstet, dazu sollte hier wohl Gelegenheit sein.“ „Ach schweig still“, sprach die Wirtsfrau, „so mancher Vorwitzige hat schon sein Leben eingebüßt, es wäre Jammer und Schade um die schönen Augen, wenn die das Tageslicht nicht wieder sehen sollten.“ Der Junge aber sagte: „Wenn's noch so schwer wäre, ich will's einmal lernen, deshalb bin ich ja ausgezogen.“ Er ließ dem Wirt auch keine Ruhe, bis dieser erzählte, nicht weit davon stände ein verwünschtes Schloss, wo einer wohl lernen könnte was gruseln wäre, wenn er nur drei Nächte darin wachen wollte. Der König hätte dem, der's wagen wollte, seine Tochter zur Frau versprochen, und die wäre die schönste Jungfrau, welche die Sonne beschien; in dem Schloss steckten auch große Schätze, von bösen Geistern bewacht, die würden dann frei und könnten einen Armen reich genug machen. Schon viele wären wohl hinein, aber noch keiner wieder herausgekommen. Da ging der Junge am anderen Morgen vor den König und sprach: „Wenn's erlaubt wäre, so wollte ich wohl drei Nächte in dem verwünschten Schloss wachen.“ Der König sah ihn an, und weil er ihm gefiel, sprach er: „Du darfst dir noch dreierlei ausbitten, aber es müssen leblose Dinge sein, und das darfst du mit ins Schloss nehmen.“ Da antwortete er: „So bitt' ich um ein Feuer, eine Drehbank und eine Schnitzbank mit dem Messer.“
Der König ließ ihm das alles bei Tage in das Schloss, tragen. Als es Nacht werden wollte, ging der Junge hinauf, machte sich in einer Kammer ein helles Feuer an, stellte die Schnitzbank mit dem Messer daneben und setzte sich auf die Drehbank. „Ach, wenn mir's nur gruselte!“ sprach er, „aber hier werde ich's auch nicht lernen.“ Gegen Mitternacht wollte er sich sein Feuer einmal aufschüren: wie er so hineinblies, da schrie's plötzlich aus einer Ecke: „Au, miau! was uns friert!“ „Ihr Narren,“ rief er, „was schreit ihr? Wenn euch friert, kommt, setzt euch ans Feuer und wärmt euch.“ Und wie er das gesagt hatte, kamen zwei große schwarze Katzen in einem gewaltigen Sprung herbei, setzten sich ihm zu beiden Seiten, und sahen ihn mit ihren feurigen Augen ganz wild an. Über ein Weilchen, als sie sich gewärmt hatten, sprachen sie: „Kamerad, wollen wir eins in der Karte spielen?“ „Warum nicht?“ antwortete er, „aber zeigt einmal eure Pfoten her.“ Da streckten sie die Krallen aus. „Ei“, sagte er, „was habt ihr lange Nägel: wartet, die muss ich euch erst abschneiden!“ Damit packte er sie beim Kragen, hob sie auf die Schnitzbank und schraubte ihnen die Pfoten fest. „Euch habe ich auf die Finger, gesehen“ sprach er, „da vergeht mir die Lust zum Kartenspiel,“ schlug sie tot und warf sie hinaus ins Wasser. Als er aber die zwei zur Ruhe gebracht hatte und sich wieder zu seinem Feuer setzen wollte, da kamen aus allen Ecken und Enden, schwarze Katzen und schwarze Hunde an glühenden Ketten, immer mehr und mehr, dass er sich nicht mehr bergen konnte; die schrien gräulich, traten ihm auf sein Feuer, zerrten es auseinander und wollten es ausmachen. Das sah er ein Weilchen ruhig mit an, als es ihm aber zu arg ward, fasste er sein Schnitzmesser und rief: „Fort mit dir, du Gesindel,“ und haute auf sie los. Ein Teil sprang weg, die anderen schlug er tot und warf sie hinaus in den Teich. Als er wieder, gekommen war, blies er aus den Funken sein Feuer frisch an und wärmte sich. Und als er so saß, wollten ihm die Augen nicht länger offen bleiben und er bekam Lust zu schlafen. Da blickte er um sich und sah in der Ecke ein großes Bett: „Das ist mir eben recht,“ sprach er und legte sich hinein. Als er aber die Augen zu tun wollte, so fing das Bett von selbst an zu fahren und fuhr im ganzen Schloss herum. „Recht so,“ sprach er, „nur besser zu.“ Da rollte das Bett fort, als wären sechs Pferde vorgespannt, über Schwellen und Treppen auf und ab; auf einmal hopp hopp! warf es um, das unterste zu oberst, dass es wie ein Berg auf ihm lag. Aber er schleuderte Decken und Kissen in die Höhe, stieg heraus und sagte: „Nun mag fahren wer Lust hat“, legte sich an sein Feuer und schlief, bis es Tag war. Am Morgen kam der König, und als er ihn da auf der Erde liegen sah, meinte er, die Gespenster hätten ihn umgebracht, und er wäre tot. Da sprach er: „Es ist doch schade um den schönen Menschen.“ Das hörte der Junge, richtete sich auf und sprach: „So weit ist's noch nicht!“ Da verwunderte sich der König, freute sich aber, und fragte wie es ihm gegangen wäre. „Recht gut“, antwortete er, „eine Nacht wäre herum, die zwei anderen werden auch herumgehen.“ Als er zum Wirt kam, da machte der große Augen. „Ich dachte nicht“, sprach er, „dass ich dich wieder lebendig sehen würde; hast du nun gelernt, was Gruseln ist?“ „Nein,“ sagte er, „es ist alles vergeblich; wenn mir's nur einer sagen könnte!“
Die zweite Nacht ging er abermals hinaus ins alte Schloss, setzte sich zum Feuer und fing sein altes Lied wieder an: „Wenn mir's nur gruselte!“ Wie Mitternacht herankam, ließ sich ein Lärm und Gepolter hören, erst sachte, dann immer stärker, dann war's ein bisschen still, endlich kam mit lautem Geschrei ein halber Mensch den Schornstein herab und fiel vor ihm hin. „Heda!“ rief er, „noch ein halber gehört dazu, das ist zu wenig.“ Da ging der Lärm von frischem an, es tobte und heulte, und fiel die ändere Hälfte auch herab. „Wart'“, sprach er, „ich will dir erst das Feuer ein wenig anblasen.“ Wie er das getan hatte und sich wieder umsah, da waren die beiden Stücke zusammengefahren und saß da ein gräulicher Mann auf seinem Platz. „So haben wir nicht gewettet,“ sprach der Junge, „die Bank ist mein.“ Der Mann wollte ihn wegdrängen, aber der Junge ließ sich's nicht gefallen, schob ihn mit Gewalt weg und setzte sich wieder auf seinen