Teich-Gelüste. Charles Cubon. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Charles Cubon
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844272833
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ansah.

      »Hast du noch etwas Schlimmes entdeckt?«, fragte sie zögerlich.

      »Ja!«, antwortete er. »Aber nur für Harro. Wenn ich einem Staatsanwalt diesen Vertrag gebe und eine Anzeige mache, ist er für die nächsten Jahre hinter Gittern.« Überglücklich stürzte sie sich auf ihn, umarmte ihn und küsste ihm die Wagen.

      »Danke, danke! Ich kann es kaum glauben.«

      »Hier kannst du auf keinen Fall bleiben. Ich mag dich sehr, pack’ einfach alle deine Sachen zusammen und lass uns hier verschwinden, bevor mir von dem Geruch in diesem Raum speiübel wird.« Mit unsicherer Miene kniete sie vor seinem Sessel, schmiegte sich bei ihm an und hauchte mit sanftem Ton ihrer erotischen Stimme: »Magst du mich küssen?«

      Liebevoll beugte er sich herab und küsste sie zärtlich. Mit geschlossenen Augen umklammerte sie ihn und erwiderte leidenschaftlich seinen Kuss. Beseelt vor Glück, spürte er dass Zarte, Weiche ihrer warmem Lippen. Er empfand ein völlig neues Gefühl. Wie von einem duftigen Zauber ergriffen strich er ihr beschützend übers Haar. Sie genoss diese Zärtlichkeit und legte ihren Kopf in seinen Arm, als wenn sie sich nach einem starken Beschützer sehnte.

      In seinem Inneren entbrannte etwas ganz anderes. Sein Herz klopfte wie eine Maschine. Er empfand Liebe – die erste zärtliche Liebe seines Lebens zu einer wildfremden Frau. Eine Liebe, die er durch den frühen Tod seiner Mutter vermisst, vielleicht auch verdrängt hatte. Und die ihm durch seinen Vater und seinem Großvater nicht zuteil wurde. In einer rauen Männergesellschaft wuchs er auf. Sie fanden kaum Zeit, sich um ihn zu kümmern. So wie es eine liebende Mutter kann und ihrem Kind die ganze Liebe ihres Herzens schenkt.

      Nachdenklich betrachtete er sie. Tessa hatte diese weichen Gesichtszüge, die er von den alten Fotos seiner zärtlichen Mutter kannte, die ihren Ehrenplatz auf dem Sideboard des Esszimmers seiner Eltern hatten. Er hatte ihr während des Essens gegenüber gesessen und anfänglich jeden Tag geheult, wie ein Kind es nur kann, welches einen solch herben Verlust erleidet. Mit wehmütigem Blick hatte er sich noch von ihr verabschiedet, als er zur Marine ging. Sie hatte ihn aus ihrem silbernen Rahmen heraus angeblickt und ihm alles Glück der Welt gewünscht. Lange Zeit behielt er ihr Bild noch vor seinen Augen. Ihr zärtlicher und sanfter Blick, das leichte Lächeln um ihren Mund. Alles erinnerte ihn an Tessa, die er noch fest in seinen Armen hielt und die wie ein kleines Kind unentwegt weinte. Herzerleichternd entwichen ihr die Tränen. Sie lag in seinen Armen und konnte sich kaum beruhigen.

      »Komm, meine liebe Tessa, es ist gut. Alles ist vorbei, ein für alle Mal. Wir packen deine Sachen und verschwinden hier auf dem schnellsten Weg. Sei nicht traurig, es kommen jetzt schönere Zeiten. Meine Wohnung ist eh zu groß für einen Menschen, dafür aber gemütlich eingerichtet. Da kannst du wohnen, so lange du magst.« Sie sah ihn ungläubig an und fragte: »Das Untier, was geschieht jetzt mit ihm?« Erni überlegte und entgegnete: »Das verschieben wir auf morgen, ich muss darüber erst mal in aller Ruhe nachdenken.« Zärtlich umschlungen erhoben sie sich, um einzupacken und diesen schrecklichen Ort für alle Zeiten zu verlassen.

      Schweigsam fuhren sie Richtung Innenstadt. Tessa hatte ihren Kopf auf seine Schultern gelegt, kuschelte sich an und schlief ein. Als er zu Hause den Wagen parkte, wachte sie auf. Mit verschlafenen Augen stieg sie aus und torkelte auf ihn zu. Wortlos schnappte er sich das Gepäck. Behutsam nahm er sie in den Arm und sie gingen hinauf zu seiner Wohnung. Erni öffnete die Wohnungstür seines Lofts und bat sie hinein. Fassungslos strahlte sie ihn an und fragte mit ungläubigem Blick.

      »Hier wohnst du ganz alleine? In diesem riesigen Raum. Und es macht dir nichts aus, jeden Tag eine Frau hier zu haben, die dir auf die Neven geht?«

      »Ich hoffe nicht, dass das passieren wird«, meinte er zuversichtlich. Lässig ging er zum Kühlschrank, zog eine Flasche Champagner heraus und sagte: »Die hat mein Boss spendiert, falls ich mal eine Dame zu Gast habe. Neben dir im Schrank sind die Gläser. Bitte reich mal zwei rüber.«

      Sie nahm die Gläser und setzte sich auf die großzügige gemütliche Wohnlandschaft. Übermütig öffnete Erni den Verschluss und ließ den Korken so heftig knallen, dass er an die Decke schoss, dort abprallte und in der Sammlung seiner Marinekreuzer landete, die auf den Regalen der Wand ausgestellt waren. Dort traf er eins der Modelle am Bug.

      »Volltreffer!« rief er vergnügt. Schnell hielt sie eins der Gläser unter die Schampusfontäne und lachte übermütig. Kopfschüttelnd meinte sie: »Das ist ja gerade noch mal gut gegangen, mein wundervoller Scharfschütze.«

      »Siehst du, wir sind eben schon ein gut eingespieltes Team«, antwortete er und strahlte, wobei sein Glas überschäumte und der teuere Saft auf den Teppich tropfte.

      »Na, ja«, flüsterte sie: »Ein bisschen müssen wir das wohl noch üben, es klappt doch noch nicht alles so richtig.«

      »Kein Wunder, bei der aufregenden Vorstellung heute Abend, davon bin ich fast noch besoffen, obwohl ich bei dir nur ein Bier herunter bekommen habe.« Zärtlich schmiegte sie sich bei ihm an. »Bitte, lass’ uns das alles vergessen. Es ist so wunderschön bei dir. Ich bin froh, dass diese teuflische Schweinerei vorüber ist und dass es dich gibt.«

      »Wo hat dieses Ekelpaket dich bloß aufgegabelt?«, rätselte er. Und überhaupt: »Wie kann eine so süße Maus an solch einen gehässigen und geisteskranken Schurken geraten?«

      »Er hat mich gekauft!«

      »Gekauft? Wo gibt’s so was?« Ungläubig starrte er sie an und betrachtet ihre unsichere Mine. Dann fragte er zögerlich: »Etwa aus einem Puff?«

      »Nein, aus einem Club!«, antwortete sie verschämten Blickes dabei kullerten einige Tränen aus ihren dunklen Augen. »Welcher Club verkauft so hübsche Frauen?«, wunderte er sich.

      »Meine Mutter war Tänzerin. Sie wollte, dass ich mit ihr als blutjunge Partnerin auf der Bühne des Clubs arbeite! Alles war ganz harmlos. Sie hatte sich eine neue skurrile Nummer ausgedacht und mit mir einstudiert. Die Show erhielt das Motto: Immer wenn der Lachs ruft. Der Auftritt einer schwarzen Katze«, verriet sie ihm nachdenklich.

      »Das lief eine Zeit lang unheimlich gut, bis Harro kam, mich entdeckte und dem Barbesitzer abschwatzte. Nach dem Tod meiner Mutter hatte ich 100.000.Mark Schulden von ihr geerbt und der Besitzer der Nachtclubs verlangte, dass ich sie zurückzahle. Meine Mutter arbeitete bei ihm als Tänzerin im Club. Auf der sündigsten Meile der Welt. Es war der heißeste Club auf St. Pauli. Sie war die Attraktion und der Skandal der Großen Freiheit. »Venus der Nacht«, hieß ihr gesamtes Programm. Sie war äußerst fantasievoll veranlagt, choreografierte ihre Auftritte selbst und studierte alle acht Wochen eine neue Nummer ein. Sie machte die Männer mit ihren ausgefallenen Auftritten verrückt. Sie war der Höhepunkt der Erotik, ein Luder der Selbstinszenierung. Sie spritzte Kokain, trank zu viel Alkohol, rauchte die stärksten Zigarillos und feierte Sexorgien, die lange Zeit Stadtgespräch waren. Für die einen war sie Symbol der Freiheit, für die anderen die größte Provokation. Die lebendige Sünde aus Fleisch und Blut. Der Inbegriff der Verworfenheit. Sie liebte Männer wie Frauen gleichermaßen und genoss alles im Übermaß.«

      Tessa nahm ihr Glas, tank eine Schluck und sprach: »Ich werde es nie vergessen, bei unserem ersten gemeinsamen Auftritt, ein Tag nach meinem 16. Geburtstag, sackte sie in sich zusammen. Es war ein Ende, welches nicht einstudiert worden war und ich wunderte mich darüber. Mitten auf der Bühne lag sie zu meinen Füßen, als schwarzer Hund in glänzenden Lederklamotten mit einem kleinen Stummelschwanz. Der rauschende Applaus unseres ersten Auftritts und die Lustschreie des Publikums nahmen ihr den Atem und hauchten ihr Lebenslicht aus. Die schwarze Katze lag auf dem roten Ledersofa, sie sprang erschrocken herab und streichelte ihre Wangen, doch meine Mutter starrte nur leblos ins Publikum. Die kleine Katze schaute ungläubig in die lüsternen Gesichter der Zuschauer mit ihren verlebten Fratzen. Erbost fauchte sie das lasterhafte Volk an.

      Es dauerte eine Ewigkeit bis endlich der schwere Samtvorhang fiel. In dem Katzenkostüm steckte heulend ihre Tochter, ihre kleine süße Tessa. Seit dem Tag spielte ich die Nummer, mit einer anderen Partnerin – noch lange Zeit in diesem Club. Danach nur noch als private Vorstellung, bis zum heutigen Abend. Dem Tag meiner Befreiung. Als die Nummer nicht mehr zog, war Harro zufälligerweise