„Sex ist wirklich nicht unser Problem“, bekräftigte Karsten die Aussage seiner Frau.
Wieder musste ich mich setzten, als ich das hörte. Sex ist nicht ihr Problem, fasste ich für mich zusammen, aber was wollen sie von mir? Ich kenne gute Therapeuten und Therapeutinnen, die ich in solchen Situationen gerne weiterempfehle, wenn ich merke, dass ich über das Sexleben nicht an das Problem des Paares kam. Nicht alles findet seinen Ausdruck in der Unzufriedenheit mit dem Sex.
„Wenn ihr kein Problem mit Sex habt, kann ich euch gerne einen anderen Therapeuten empfehlen.“ Erleichtert stand ich auf, um das Adressbuch vom Schreibtisch zu holen, denn ich hatte den inneren Wunsch, dieses Telefonat schnellstmöglich zu beenden. Je länger ich mit ihnen telefonierte, desto rätselhafter wurde mir ihre Harmonie.
„Nein, auf keinen Fall.“ Ihre Stimmen klangen wütend, sie schienen beide, unbedingt mit mir zusammenzuarbeiten zu wollen.
„Ihr Konzept hat uns gefallen“, sagte Beate. „Wir finden es toll, dass sie sich ein ganzes Wochenende Zeit nehmen und mit ihren Paaren zusammenleben.“
„Ja“, sagte ich, „es ist mir wichtig, dass man Vertrauen aufbaut. Bei einer wöchentlichen Sitzung baut man Vertrauen in jeder Sitzung von neuem auf.“ Das war der wesentliche Kern meines Konzeptes, das ich nun seit einigen Jahren erfolgreich anwendete.
Ich arbeitete in einer Gemeinschaftspraxis, die ich mitgegründet hatte. Wir waren erfolgreich, aber ich wurde wie so häufig – wenn ich lange das Gleiche gemacht hatte – unausgeglichen und suchte nach einem anderen Ansatz. Die Idee war schnell da und so verkaufte ich meinen Anteil an der Gemeinschaftspraxis und ließ mir davon ein Ferienhaus bauen. Denn dieses sollte der Grundstock meines neuen Ansatzes sein, hier würde ich mich mit Paaren zu Therapiewochenenden treffen. Ich startete am Freitag und nahm mir das ganze Wochenende Zeit. Ich lebte mit meinen Klienten in diesen Tagen zusammen. Es hatte den Vorteil, dass man sich durch alltägliche Dinge näher kommt. Es entsteht so eine Vertrautheit, die ich in den wöchentlichen Meetings so intensiv nie erlebt hatte.
An diesem Wochenende kann ich das Paar einfach beobachten, wie sie sich in ganz alltäglichen Situationen verhalten und sie in diesen Situationen gleich ansprechen. Wenn wir zum Beispiel zusammen kochen, erfahre ich mehr über sie, als wenn wir nur in einer Sesselgruppe zusammensitzen. Meine Paare verhalten sich in solchen Situationen wie in ihrem gewohnten Alltag. Ich sehe, wer wann was sagt, wie sie aufeinander reagieren in den unterschiedlichsten Situationen. Wie stimmen sie sich ab? Das geschieht alles nur nebenbei, aber es bringt wichtige Erkenntnisse. All das spiegelt sich im Sex des Paares wider. Wir reden dann über alles und sie fühlen sich im Ferienhaus ungezwungener als in meinem alten Praxisraum. So habe ich viele persönliche Dinge erfahren, die ich in einer klassischen Sitzung nur sehr mühsam erfragen musste.
Bei solchen alltäglichen Handlungen wird mir manchmal viel schneller klar, wer das Sagen in der Partnerschaft hat oder wo unausgesprochenen Probleme liegen. Gleichzeitig ist es, für eine Sex-Paartherapeutin wichtig zu sehen, ob sie zärtlich zueinander sind, auch wenn sie sich nur kurz berühren. Durch die gemeinsam verbrachte Zeit bekomme ich einen tiefen Einblick vom Leben des Paares. Als ich das erkannt habe, war ich froh, dass ich diesen Schritt gemacht habe. Gerade beim Thema Sex ist mein Ferienhaus sehr hilfreich.
Ich freute mich, dass ich mein Vorgehen nicht lange erklären musste. Karsten und Beate hatten wohl meine Homepage genau gelesen.
„Wissen Sie“, meinte Karsten, „wir würden dies gerne ausprobieren. Die Methode hat uns zugesagt. Und wenn es nicht klappt, dann können sie uns ja immer noch einen anderen Therapeuten empfehlen.“ Ich wollte gerade zu einer Gegenfrage ansetzen, da hörte ich das „Bitte, bitte!“ von Beate. Ich war überrascht und leicht amüsiert, so etwas Plumpes und Überrumpelndes hatte ich noch nie erlebt. Das war auch der Grund, dass ich mit einem „Warum also nicht?“, antwortete. Sofort fragte ich mich, wie ich das sagen konnte.
„Wie sieht es mit dem übernächsten Wochenende aus?“, fragte er. Sie hatten also auch in meinen Onlinekalender geschaut.
Es folgte noch ein lang gezogenes Bitte von Beate. Ihr Wunsch nach einem gemeinsamen Wochenende mit mir war so offensichtlich.
„Übernächstes Wochenende geht!“ Während ich das sagte, blätterte ich in meinem Gedächtnis noch nach Ausreden, aber es fielen mir keine ein. Ich hatte zugesagt, obwohl ich mich damit nicht wohlfühlte.
„Eine Sache muss ich euch noch sagen. Das steht nicht so auf der Webseite.“
„Ja!“ Ihre Begeisterung wurde für mich inzwischen beängstigend.
„Ihr bekommt in den nächsten Tagen noch einen Brief von mir. Ich will, dass ihr euch gut vorbereitet.“
„Natürlich!“, jubelte sie. So viel Begeisterung hatte ich bei einem Paar noch nie erlebt.
„Und wenn wir Fragen zu deinem Brief haben, dürfen wir dich anrufen.“
„Es ist kein Test, wo ihr die Fragen richtig beantworten müsst.“
„Aber es soll doch richtig sein, nicht dass du von uns ein falsches Bild bekommst“, sagte Beate. Ich bekam Angst, dass ich am Wochenende und vorher jede Minute solche Gespräche wie jetzt führen würde.
„Nein. Es geht nicht um richtig, sondern ihr sollt eine Idee bekommen, was euch erwartet. Euch mental drauf einstellen.“
„Okay“, sagten beide.
„Also danke für euren Anruf“, verabschiedete ich mich.
Ich legte auf und fragte mich, wie wohl unser Wochenende werden würde. Das Telefonat musste ich erst mal einordnen. Ich machte mir sofort Notizen.
Am nächsten Tag setzte ich mich hin und ging sie durch. Ehrlich gesagt, wusste ich nicht mehr als am Ende des Gespräches. Ich setzte mich hin und schrieb ihnen einen Brief über Befürchtungen und Eindrücke. Als ich ihn durchlas, warf ich ihn weg und fing wieder von vorne an. Ich war ratlos, das musste ich mir nun eingestehen.
Denk an dein Konzept, sagte ich mir und bat sie nun schriftlich, dass sie sich über das Abendessen Gedanken machen sollten. Ich war zu dem Entschluss gekommen, dass es nichts Tiefgründiges sein sollte. Wir würden gemeinsam kochen und ich bekam so die Möglichkeit, sie langsam kennenzulernen. Dies hatte ich schon vielen Paaren als Aufgabe gegeben und es zeigte eigentlich immer eine positive Wirkung – also wieso nicht auch bei Karsten und Beate?
Da war ich mir nun sicher, ich brauchte erst mal Zeit, um mich auf beide einzulassen. Wenn sie das Abendessen zubereiten würden, bekomme ich die Chance, beide in ihrer Art zu beobachten und kennenzulernen. Ich fand, dass es eine gute Idee war. Beide würden aber mehr erwarten, als nur die Aufforderung ein Abendbrot vorzubereiten.
„Überlegt euch, was ihr wollt. Es soll nicht nur ein Essen sein, sondern dieses Essen soll ein Spiegelbild eurer sexuellen Situationen sein.“ Ich lehnte mich zurück, las den Text durch und umschrieb ihre Aufgabe. Sowohl beim Essen als auch Sex geht es um Vorlieben, wie man sich auf sie freut und auf sie einlässt. Essen zu kochen und und sich auf Sex einzulassen, haben mehr gemeinsam, als die meisten denken. Sie sollten beides verbinden. Das ist nicht schwer, aber wird es ihnen beiden leichtfallen? Mit diesen Aufgaben könnten sie sich abarbeiten, dachte ich, ob sie sich viel dazu überlegen würden und es ausführlich vorbereiten würden, wusste ich nicht, war aber gespannt.
Freitagnachmittag
Als das Wochenende mit Karsten und Beate kam, war ich schon mittags Im Ferienhaus und wartete auf beide. Es lag weit außerhalb jedes Dorfes. Das war mir wichtig, denn ich wollte ungestört arbeiten. Ein wohlhabendes älteres Ehepaar hatte es sich als Ruhesitz bauen lassen. Das Haus war damals als ein großzügiger Bungalow entworfen worden, wie er damals modern war. Die Kinder, die Erben konnte mit Haus nichts anfangen, es lag zu weit weg von allem. Als ich es zum ersten Mal sah, hatte ich mich sofort dieses Ferienhaus mit dem großen Grundstück verliebt. Sie wollten nicht viel dafür, ich hätte auch mehr bezahlt. Mein Eindruck war, dass sie es einfach loswerden wollten, was ich bis heute nicht verstand. Zu gerne komme ich hierher. Ich breitete