Na, das war die erste Überraschung. Meine Anwältin flüstert mir noch zu, es wär ne Referendarin, also eine, die frisch von der Uni ist, und dann hechelt sie rasend schnell den Text runter, alles ist ihr furchtbar peinlich, das Lampenfieber lässt die Stimme wackeln, und ich merk plötzlich: Die lispelt ja, und zwar so schlimm, dass die Zungenspitze bei jedem S-Laut richtig rausgeschossen kommt.
Als sie fertig ist, sagt der Richter, und endlich kommt er damit über – ich wusste das und werd schon ganz ungeduldig -, ich könnt ne Aussage machen, aber auch die Klappe halten. Sinngemäß. Ich sag also, ich will mich äußern, und lege los. Erzähl ihm, wie das so war, wie ich im Bett liege, und plötzlich gehen die Schmerzensschreie da oben los. Ich habs vorgemacht, ja, echt, ich hab dem Richter was vorgebrüllt, als hätt mir einer kochendes Wasser in die Unterhose gegossen, damit er sich vorstellen kann, was da abging. Er musste sich auf die Lippen beißen, aber als ich ihm schilderte, wie der 6-Jährige geweint hat - bei der 13-Jährigen war ich mir auf einmal nicht mehr so sicher, so ist das bei Gericht -, also wie der Kleine nach Mami geschrieen hat und mit seinen kleinen Fäusten an die Tür gebollert hat, wobei ich bis heute nicht weiß, ob das seine Kinderzimmertür war oder die vom Schlafzimmer, eine muss jedenfalls abgeschlossen gewesen sein, da wurde er wieder ernst. Das hat mir gefallen. Er stellte ein paar Fragen, ganz sachlich, z.B., wie oft, wie lange, und ob ich auf die Uhr geguckt hätte usw.
Dann der Auftritt meiner Ex-Bekannten. Der war leider gar nicht schön. Die Schlange bestritt nämlich, mich zu der Anzeige angestiftet zu haben. Beleidigte Unschuld. Anzeige? Warum sollte ich denn so was ins Spiel bringen? So schlimm war´s doch nun auch wieder nicht. So in der Art. Und als meine Anwältin fragte, woher denn bei einem Museumswärter Begriffe herkommen sollten wie Verletzung der Fürsorgepflicht, wenn nicht von ihr, kam nur ein schnippisches Woher soll ich das wissen? Meine Anwältin versuchte noch rauszukriegen, ob wir uns im Streit getrennt hatten, und hier kam immerhin ans Licht, dass sie rachig war, weil wir nicht im Bett gelandet waren. Alles in allem aber: Punkt für die Gegenseite.
Dann ließ der Richter die Gepiercte reinkommen und erzählen. Ob sie Angst um Mama gehabt habe und so. Tja, und dann kam die zweite Überraschung. Sie drückte sich gewählt aus, man merkte, dass sie auf´m Gymnasium war, so richtig höhere Tochter, grüne Haare hin, grüne Haare her. Auch inhaltlich war´s nicht das, was alle erwartet hatten. Sie sagte nämlich, ich hab´s nicht vergessen:
"Der Vorgang, der bei meiner Mutter derartige Stöhnlaute ausgelöst hat, die hier als Schmerzensschreien fehlinterpretiert worden sind" – sie sagte wirklich fehlinterpretiert – "ist mir aus eigenem Erleben durchaus bekannt, und der Hakan sagt, dass das bei mir ganz ähnlich klingt."
Aus dem Zuschauerraum war ein Schnaufen zu hören, das in einen Schrei überging, und der stammte natürlich vom Vater des Früchtchens. "Deine Mutter und ich", brüllte er, "haben dir immer gesagt, du sollst dich nicht mit Kanaken einlassen, und jetzt ... schämst du dich nicht? Wo wohnt der Typ? Der kriegt von mir was auf die Fresse. Wie alt ist ..."
Der Rest ging unter, weil der Richter mit der Faust auf den Tisch haute und ihn mit einem röhrenden Ruhe im Gerichtssaal! übertönte. Dann, wieder mit normaler Stimme:
"Herr Raabe, wir kennen uns ja noch aus der Zeit, in der ich Familierichter war, und ich erinnere mich recht genau an die Umstände, die zur Trennung von ihrer damaligen Ehefrau geführt haben. Sie hatten, mit Verlaub, damals die Chance, Ihre Ehe fortzuführen. Hätten Sie diese Chance wahrgenommen, hätten Sie auch Einfluss nehmen können auf die Partnerwahl Ihrer Tochter. Jetzt ist es ein bisschen spät, und ich könnte hier auch nur dann korrigierend eingreifen, wenn der Partner Ihrer Tochter erwachsen wäre."
Es herrschte eine Art verschämtes Schweigen, dann sagte die Tochter in die Stille hinein:
"Mann äy, Papa, mach hier nicht den Lauten, der Hakan ist 16, und außerdem kommt er nicht aus der Türkei, sondern aus Schweden, da gibt´s den Vornamen auch. Mit einem kleinen Kreis über dem ersten a. Brauchst also keine Angst zu haben, dass ich demnächst mipm Kopftuch rumlaufe."
"Vielleicht solltest du das wirklich", schnauzte der Vater, "dann sieht man wenigstens deine grünen Haare nicht."
"Schluss jetzt!" rief der Richter, "setzen Sie das bitte außerhalb des Gerichtssaals fort, wenn wir mit der Vernehmung der jungen Dame fertig sind. Noch ein Zwischenruf, und ich lass Sie raussetzen. Dann können Sie vor der Tür Erziehungsdebatten mit Ihrer geschiedenen Frau führen."
Und das Komische war: Der Richter wirkte überhaupt nicht erregt. Wurde nur laut, um sich Gehör zu verschaffen. Und war schlagfertig, hast du ja gehört.
Die Kleine wurde dann noch gefragt, ob ihr 6-jähriger Bruder geweint hätte, als die Mutter im sich im Liebestaumel befand; die Zeugin bejahte. Der Richter gab das Wort an die Referendarin von der Staatsanwaltschaft weiter. Diese schüttelte den Kopf und sagte:
"Nein, dath ith alles tthu unappetitlich."
"Eijeijei", bemerkte der Richter, "wenn diese Haltung anhält, hoffe ich, dass Sie Ihr Berufsziel außerhalb des Strafrechts verorten. Frau Verteidigerin, Sie haben das Wort. Es ist für mich tröstlich zu wissen, dass der Kampf ums Recht für Sie einen höheren Stellenwert hat als Näschenrümpfen."
Nach diesem Spruch ahnte ich, dass ich auf der Siegerstraße war. Meine Anwältin kriegte noch raus, dass die ältere Schwester den kleinen Bruder immer nach einer Weile getröstet hatte, wenn sie nicht gerade selbst Besuch von ihrem Freund hatte, ferner, dass sie aber auch dann darauf geachtet hatte, den Kleinen keiner Doppelbeschallung von Mutter und Schwester auszusetzen.
Die Mutter betrat den Saal. Der Richter kam gar nicht dazu, eine Frage zu stellen, weil sie gleich loslegte, und zwar so:
"Um das gleich mal klarzustellen, ich lasse mir von niemandem vorschreiben, wie ich mich beim Ficken zu verhalten habe, und für meine Kinder kann ich schon selbst sorgen. Die sind gut geraten, seit mein Ex nicht mehr dazwischenfunkt, und ..."
"Sie sind hier nicht angeklagt", unterbrach sie der Richter, "und brauchen deshalb keine Verteidigungsrede zu halten. Antworten Sie am besten einfach auf Fragen. Sonst erzählen Sie uns hier in Ihrer sagen wir mal volkstümlichen Ausdrucksweise womöglich noch was über Ihr Erfolge bei der Sexualerziehung ihrer Tochter."
Er wandte sich ab und rief:
"Frau Staatsanwältin!"
Weißt du, was das bedeutet, Liliane? Der Richter wollte sie nur kurz auf den Pott setzen und spaßeshalber – das hat mir meine Verteidigerin nachher klargemacht – ein Kreuzverhör in Gang setzen, natürlich auch, um die blöde Referendarin aus der Reserve zu locken oder sie zu blamieren.
Die erhob sich überflüssigerweise und fragte mit starrem Blick auf die Anklageschrift, und wurde dabei auch noch rot:
"Frau Ttheugin, trifft es tthu, dass Sie bei der Authübung deth Geschlechtthsverkehrth untthumutbar hohe akuthtische Emiththionen ..."
In diesem Moment wurde sie von meiner Anwältin unterbrochen, die zu meiner Überraschung geradezu fröhlich in den Saal rief:
"Frau Staatsanwältin, entspannen Sie sich. Fragen Sie doch einfach, ob sie beim Vögeln zu laut gezwitschert hat!"
"Beim Vögeln zu laut gezwitschert", schrie der Richter begeistert,