Lux vernahm ein Rascheln in seiner Zeitung. Er sah seine Finger zittern und ließ die Zeitung sinken. Als sein Herzklopfen nachgelassen hatte, war der Cappuccino kalt. Er legte einen Schein auf den Tisch, wartete nicht auf das Wechselgeld, stand auf, rief per Handy sein Büro an und sagte alle Termine ab. Als er auf den Parkplatz kam, beschleunigten sich seine Schritte.
Akustische Emissionen
Ich bin lieber gleich zu ner Frau gegangen.
Ein Mann als Anwalt – nee, das hätte bei der Geschichte, die ich dir jetzt erzähle, gleich zu den üblichen Männersprüchen geführt, mindestens zu kleinen Anspielungen. Solchen Kumpaneischnacks und chauvinistischen Äußerungen. Kennste eine, kennste alle. In der Preislage halt. Du kennst das ja wahrscheinlich auch. Man braucht Männern nur eine Weile zuzuhören.
Und wenn ich den Typ, zu dem ich sonst immer gehe, wenn ich rechtliche Probleme habe, also wenn ich den beauftragt hätte und wenn der keine Sprüche in dieser Art gemacht hätte, dann hätt ich das Gefühl gehabt, dass er die nur mühsam unterdrückt oder Mühe hat, nicht loszuprusten, verstehst du, und da kann ich auch nicht drauf. Ich bin zwar auch ´n Mann, aber du weißt ja, ich mag so was nicht. Vor allem dann nicht, wenn die Geschichte nicht zum lachen ist, d.h. für mich nicht, denn, wie soll ich sagen, immer wenn es um Sex geht, finden alle irgendwas zum lachen, außer sie sind selbst betroffen, und das war ich hier, obwohl nur indirekt, aber der Reihe nach.
Ich mach also n Termin mit der Anwältin, die mir ne Freundin vom Töpferkurs empfohlen hat. Mir war ganz schön mulmig. Aber egal. Sie bittet mich rein, und ich sag ihr, Frau Doktor, ich hab hier ne Anklageschrift.
"Sie meinen wahrscheinlich eine Klageschrift", sagt sie spitzfindig, "zeigen Sie bitte mal her."
"Nein", sag ich, "erst muss ich ihnen die Vorgeschichte erzählen."
Sie lehnt sich zurück, verdreht unmerklich die Augen und sagt: Dann legen Sie man los.
Ich also: "Frau Rechtsanwältin, Sie wissen vielleicht, es gibt Frauen, die beim Sex einen unheimlichen Lärm machen."
"Das ist mir durchaus geläufig", antwortet sie so irgendwie geziert, und ich wusste nicht genau, meint sie andere Weiber oder spricht sie von sich. Da war´s mir schon richtig peinlich, und ich mein, da hätt sie drauf Rücksicht nehmen müssen, dass mir das alles nicht leicht fiel, in die Geschichte rein zu kommen. Ich hab dann aber doch gesagt: "Nicht nur das, also es klingt manchmal wie Schmerzensgebrüll, man denkt unwillkürlich, es geht ihnen verdammt schlecht, sie werden geschlagen, gequält und gefoltert, dabei ist wahrscheinlich das Gegenteil der Fall, haben Sie so was schon mal, ich mein, kennen Sie das?"
Und sie: "Keine Sorge, ich nehme Ihnen das ab."
Und ich sag, weil ich n bisschen durcheinander war: "Ich hab das Gefühl, Sie glauben mir das nicht, soll ich mal vormachen?"
Da war sie plötzlich erschrocken und sagt:
"Bloß nicht, nebenan sitzt meine Sekretärin, das ist hier ziemlich hellhörig, was soll die denn denken, was hier los ist? Und außerdem, ich versteh bis jetzt nicht ganz, warum Sie mir erzählen, was für Laute die Leute beim Sex ausstoßen. Wenn es um Mietminderung geht, sag ich ihnen gleich, das ist in aller Regel hinnehmbar, der Vermieter hat darauf nur bedingt Einfluss, und schließlich ist das ja auch normalerweise in einer viertel Stunde wieder vorbei."
Und ich konnt mich nicht beherrschen und werd laut: "Viertelstunde? Ne geschlagene Stunde geht das so! Und ihre Kinder wachen auf und weinen und denken, da bringt einer ihre Mama um."
"Aber das ist nicht strafbar, sagt sie, deshalb wundert´s mich, dass Sie da eine Klageschrift oder Anklageschrift mitbringen, wie Sie sagen, ich weiß ja auch gar nicht, gegen wen die sich richtet, also seien Sie doch so nett, mir den Text endlich mal zu zeigen."
"Sie sollten mich nicht unterbrechen", sag ich, jawoll, hab ich ihr gesagt, ich mein, ich hatte vorne den Beratungshilfeschein abgegeben, da kann sie schon mal zuhören.
Ich sag: "Ich komm ja gar nicht dazu, Ihnen die Geschichte zu erzählen, Also, über mir da wohnt meine Nachbarin, das ist so eine üppige, leicht vulgär aussehende Brünette. Und wie die ihren neuen Freund kennengelernt hat, geht das Theater los, ich mein, wir hatten uns vorher ein bisschen angefreundet, deshalb konnt ich sie nach den ersten Malen noch fragen, warum das so lange dauert, und sie lacht und sagt, der Kerl zieht sich ne Linie Kokain auf sein Ding und dann kann der endlos."
"Merk ich mir", sagt die Anwältin und wirkt zum ersten Mal so richtig bei der Sache. "Erzählen Sie weiter."
Na ja, und dann erzähl ich ihr das von meiner Bekannten, die mir die Geschichte eingebrockt hat. Ich kannte da eine Zeitlang eine Frau, mit der hab ich mich manchmal getroffen, also jetzt übrigens nicht mehr. Wir waren uns näher gekommen, weil ich immer ihren Dackel gestreichelt hab, wenn sie mir entgegenkam, und da hat sie gedacht, dass ich Tiere gerne mag und dass einer, der ihren Dackel tätschelt, auch scharf drauf ist, sie zu streicheln, dabei war das n Missverständnis, ich hab ihre Töle nur gekrault, weil ich Angst hatte, dass sie mich sonst beißt. Aber das erzähl ich jetzt nur dir. Na jedenfalls kam sie dann manchmal rüber, und wir haben uns Tiersendungen angekuckt, Gnu- und Zebrawanderungen in der Serengeti und so´n Zeug. Und eines Abend ging der Terror oben wieder los ...
Also jetzt fang bitte du nicht auch noch an, mich zu unterbrechen. Warum ich immer noch Junggeselle bin, das wollen immer alle wissen. Und wenn ich mal jemanden kennen gelernt habe, warum das dann immer so schnell wieder vorbei ist. Alle finden das wahnsinnig interessant. Alle machen sich n Kopf, ob ich die Richtige noch nicht gefunden habe. Ob ich mir nichts aus Frauen mache. Ob ich schwul bin. Oder ne runzlige Freundin habe, die ich keinem vorführen möchte. Oder auf kleine Mädchen steh. Oder kleine Jungs. Oder von mir aus auf Tiere. Dabei fragt sich keiner, ob ich Sex überhaupt interessant finde. Nein. Nein, ehrlich! Ich kann dem Sex mit Lebewesen nichts abgewinnen. Liliane, du bist meine Schwester, und ich sag dir jetzt mal was, weil du der einzige Mensch bist, dem ich vertraue und bei dem ich sicher bin, dass er es nicht gleich raustrompetet: Ich finde Sex grässlich, egal mit wem, auch mit mir selbst. Dieses Geschwitze und Geschlotze und Gesauge und Genuckel und Geschleime in allen möglichen verstunkenen, glitschigen Löchern, Höhlen und Öffnungen – bäh, nee, geh mir, ich muss das nicht haben. Dazu kommt noch: Alles ist so widerlich lebendig, so irgendwie organisch, nichts steht mal still, alles ist so unberechenbar, so kompliziert, verstehst du, was ich meine?
Es ist nicht so, dass ich ohne Leidenschaft bin. Ich liebe zum Beispiel meine Kettensäge. Ehrlich. Offen gestanden: Wenn ich das Kettenöl rieche und die kleinen blitzenden gekehlten Messerchen sehe, habe ich einen stehen, erst recht, wenn sie loslegt. Dieses geile Gebrüll! Dieser geile Geruchsmix aus verbranntem Benzin mit Motoröl. Die Späne, die sich mit dem Kettenöl in den Ritzen zwischen Gehäuse und Schwert vermischen. Ich sag dir, das gibt eine Paste, gegen die ist Schokolade mit Orangenstückchen gar nichts. Aber das bleibt alles folgenlos. Man nennt das Objektophilie; hab ich vor Jahren beim Googeln erfahren. Ich kenn sonst keinen, dem es so geht. Macht nix. Jetzt hältst du mich natürlich für komplett pervers. Macht auch nichts. Vergiss nicht: Ich tu keinem weh. Kein Liebeskummer, keine unerwünschte Schwangerschaft, keine Geschlechtskrankheit, kein Übergriff, kein sexueller Missbrauch, nichts von all dem ganzen Elend geht von mir aus. Ich bin so harmlos, dass man mir den Friedensnobelpreis verleihen sollte, echt.
Aber zurück zum Thema: Die Ex-Bekannte, hab ich noch gar nicht gesagt, ist bei der Polizei. Im Fernsehen waren gerade die Gnus, Kaffernbüffel und Löwen zugange, die brüllten natürlich ordentlich, so dass wir erst dachten, der Krawall käm aus der Glotze. Aber dann hörten wir die Kinder greinen, und sie kuckt nach oben und sagt:
"Da musst du was machen, das ist