»Sehen Sie doch einmal ganz genau in dieses Zimmer. Meine Frau liegt dort im Bett. Sie ist so gut wie tot! Tot, verstehen sie?! Nur diese verdammten Maschinen halten sie noch am Leben, mehr nicht. Und Sie glauben allen Ernstes, dass ich keine anderen Sorgen habe, als mich damit auseinanderzusetzen, ob Sie hier einen Ausbildungskurs veranstalten? Wollen Sie mich eigentlich völlig verarschen?«
»Misses Stewart-Sanchez, ich kann … .« Weiter kommt die schwarzhaarige Frau nicht. Mit verschränkten Armen dreht sich Sam von den Frauen weg und blickt zu ihrer Frau in das Zimmer. Sie wird sich nicht weiter auf dieses Theater einlassen. Sie hat ganz andere Sorgen. Sollte das Gesetz ihr und Neve tatsächlich helfen wollen, müssen sie schon bessere Geschütze auffahren, als diese lächerliche Lehrstunde. Und woher wissen die eigentlich über Neves Zustand Bescheid? Wieso gibt es einen Fall gut Neve? Was hat San verpasst?
»Misses Stewart-Sanchez. Da Ihre Frau indirekt eine Kollegin von mir war, werde ich nicht eher Ruhe geben, bis ich die verantwortliche Person gefunden und gestellt habe. Aber vorerst werden meine Partnerin und ich im Hintergrund weiterarbeiten. Sollte Ihnen also etwas einfallen was uns behilflich sein könnte, würde es mich freuen, wenn Sie mich kontaktieren.« Bestätigend zu ihren Worten, hält die Frau Sam eine Visitenkarte hin. Gekonnt ignoriert Sam diese. Sie schaut noch immer in das Zimmer und fragt sich, wann endlich ein passendes Spenderherz eintrifft.
Weil Sam diese lächerliche Visitenkarte nicht annimmt, steckt die schwarzhaarige Frau diese in den schmalen Rahmen des Fensters. Genau auf Augenhöhe. Sam bräuchte also nur ihre Augen zu bewegen und sie würde das gute Stück sofort sehen.
»Wir wünschen Ihnen noch einen schönen Tag und viel Kraft«, verabschieden sich die beiden ungebetenen Damen. Das Geräusch der auftretenden Schuhe bestätigt ihren Rückzug. Missmutig und noch immer skeptisch blickt Sam den beiden hinterher.
Kaum dass sie die Tür erreichen, geht diese auch schon auf. Beide Frauen treten zur Seite, als Precious mit aller Kraft die Tür aufdrückt. Sofort wird ihr diese aus der Hand genommen, weil sie von dieser Havering offengehalten wird.
»Danke«, lächelt Precious zu ihr hoch, die ihr lediglich freundlich zunickt. Dann nehmen deren Augen auf, wie Matt einen Kinderbuggy in die Intensivstation schiebt. Er gönnt den beiden fremden Frauen einen flüchtigen Blick, geht seinen Weg danach aber weiter.
»Hey«, begrüßt Sam Precious freudig und drückt sie an sich. Kaum dass Matt bei ihr auftaucht, beugt sie sich zu dem Kinderbuggy, fummelt dort etwas herum und hebt Jean heraus.
»Gibt es was Neues?«, fragt Matt, als Sam ihre Tochter auf den Arm nimmt und ins Zimmer zurückblickt.
»Nein, nichts«, antwortet sie mürrisch, während ihre andere Hand über Precious' Kopf streicht.
»Und wer waren diese beiden Frauen?«, bohrt Matt weiter. Sam blickt zu der verschlossenen Tür zurück. Durch die kleine Glasscheibe kann sie sehen, dass die beiden Damen stehengeblieben sind und sich unterhalten. Nach einigem hin und her, küsst die blonde Frau der Schwarzhaarigen mit einem Mal auf die Stirn. Sam beobachtet diesen Augenblick ganz genau. Sie nimmt jede Bewegung regelrecht fokussiert auf. Der Anblick bringt sie für einen kurzen Moment etwas durcheinander. Es war kein Kuss auf die Stirn der jemanden Zuversicht und Kraft gibt. Nein, es war ein Kuss der Zärtlichkeit und Liebe in sich trug.
»Aha«, platzt es ihr mit einem Mal heraus.
»Hä?« Verwirrt schaut Matt sie an. Er folgt Sams Blick, kann aber leider nichts mehr von dem Moment erhaschen, der seinen treuen Hund so komisch stimmte.
»Was ist los?« Sam blickt zu ihm zurück und macht lediglich eine weisende Kopfbewegung zu der Visitenkarte ans Fenster. Neugierig zupft Matt das kleine Stück Pappe ab und liest es sich durch.
»Was wollten die von dir?« Sam haucht ihrer Tochter einen Kuss auf die Wange und blickt zu Neve in das Zimmer.
»Sie sind wegen ihr hier. Sie wollen aufklären wer ihr das angetan hat.«
»Und weshalb wirkst du dann so angepisst?« Matt hat den Gemütszustand seines treusten Hundes nicht verpasst.
»Weil diese tolle Blondine lediglich ein Detective ist, die Schwarzhaarige sie aber als ihre Partnerin vorgestellt hat. Sie hätte sie zu diesem Fall mitgenommen, weil das Blondchen bald zum BAU wechselt. Allerdings glaube ich, dass das Wort Partnerin eher darauf bezogen war, dass sich die beiden ihre Lust gegenseitig vom Körper lecken. Sowas brauche ich im Augenblick keineswegs. Wenn sie etwas tun wollen, dann sollten sie damit anfangen, sich vernünftig vorzustellen und nicht solche halbherzigen Sachen.«
***
Ein merkwürdiges piepen reißt Sam aus dem Tiefschlaf. Sie braucht ein paar Sekunden bis ihr Gehirn einigermaßen arbeitet und sie ihren Körper zu einer Bewegung befehlen kann. Zuerst öffnet sie die Augen und sieht Precious schlafend neben sich. Ihr Herz beruhigt sich bei diesem Anblick, dennoch piept es weiter durch das Schlafzimmer. Es piept? Wieso piept es? Etwa der Rauchmelder? Benommen blickt Sam zur Zimmerdecke hinauf. Nein, das Ding ist es nicht. Aber was piept hier dann?
Vom Schlaf irgendwie erschöpft dreht sich Sam zur anderen Seite. Kaum kommt sie zum erliegen, reißt sie die Augen auf. Es piept? Geschockt sitzt sie sofort aufrecht. Hektisch greift sie nach dem Pager vom Krankenhaus. Mit der anderen Hand schaltet sie das kleine Nachtlicht ein. Blinzelnd und mit schmerzenden Augen blickt sie auf das kleine Display. Nichts. Das Teil ist stumm und zeigt ihr keine Neuigkeiten an. Sams Herz klopft allerdings noch immer bis zum Hals. Auch das piepen geht weiter.
Verwirrt legt sie den Pager auf das Nachschränkchen zurück, bis ihr Blick auf ihr Handy fällt. Es blinkt, vibriert und piept. Seit wann piept das Ding? Wann hat sie einen neuen Klingelton eingestellt?
Perplex greift Sam nach dem Handy und muss ihren Augen befehlen Jessicas Namen auf dem Display richtig zu lesen.
»Ja?«, meldet sie sich flüsternd. Ein kurzer Blick zu Precious folgt.
»Ich bin es.« Jessica klingt so verschlafen wie Sam sich fühlt.
»Das Krankenhaus rief eben an.« Im Bruchteil einer Sekunde ist Sam schlagartig hellwach. Ihr Herz beginnt zu rasen, ihr wird unerträglich heiß. Blitzschnell blickt sie zu Precious zurück. Angst erfüllt sie. Mit wackeligen Beinen steht sie auf und schleicht aus dem Schlafzimmer. Das eingeschaltete Licht brennt in ihren Augen.
»Jessica, was … ?«
»Neve hatte einen Krampfanfall. Durch den Beatmungsschlauch zog sie sich eine Lungenentzündung zu.« Eine ohrenbetäubende Pause kehrt in das Gespräch ein. Sam ist nicht fähig richtig zu atmen oder zu denken. Alles dreht sich … .
»Sam, du weißt was das bei Neves Zustand bedeuten könnte … .« Kraftlos lehnt sich Sam gegen die Wand. Ihr fällt das Atmen unfassbar schwer. Es fühlt sich an, als wenn jemand auf ihrem Brustkorb sitzen würde. Alles ist so beengt und erdrückend.
Sam glaubt sich zu verhören, aber sie ist sich nach ein paar Sekunden sicher. Laura weint im Hintergrund. Bis zum heutigen Tag hat sie ihre beste Freundin wegen Neve nicht weinen gesehen. Immer war sie unfassbar stark und hat Sam gehalten. Diese Nachricht scheint sie jetzt aber völlig mitgenommen zu haben.
»Jessica, bitte … .« Sam kann nicht glauben, dass sie diese Worte wirklich aussprechen kann wenn es sein muss. Es scheint jetzt aber eine Situation eingetreten zu sein, bei der sie einen klaren Kopf bewahren muss.
»Ich werde sie nicht leiden lassen, Sam. Das verspreche ich dir.« Jessica muss sich das weinen schwer verbieten, kann es aber nicht verhindern, dass sie kurz schnieft. Lauras Weinen im Hintergrund wird lauter und stärker.
»Kümmere dich um Laura«, flüstert Sam und legt gleich darauf auf. Sie kann sich nicht vorstellen was es Jessica an Kraft kosten muss all diese Last zu tragen. Eventuell eine Entscheidung treffen zu müssen, die sie zerstören könnte. Gleichzeitig muss sie sich aber auch noch um ihre eigene Familie kümmern und nebenbei ihre Freunde stützen. Was hat Neve ihr da nur angetan? Nein, was hat Sam ihrer Freundin nur angetan?
Wankend