Natürlich merke ich auch, wie er mich mustert, obwohl er dies nicht aufdringlich tut, sondern gentlemanlike nebenbei. Ich scheine ihm zu gefallen, er gibt sich Mühe und schafft eine angenehme Atmosphäre, wo ich viel über mich erzähle. Zu viel. Tatsächlich erzähle ich sogar über mein letztes Intermezzo und meinen Rausschmiß bei Gunter & Kiesling zuvor. Ich hätte nie gedacht, daß er die Firma kennt, wer kennt schon einen Großhändler für Gartenbaufachbetriebe? Vielleicht tut er aber auch nur so, irgendwie bin ich mir bei ihm nicht sicher. Auch scheinen seine Bemerkungen manchmal, wenn auch nicht doppeldeutig im platten Sinne, so doch irgendwie ambivalent zu sein. Manchmal erscheint mir der Herr Lukas merkwürdig. Zum Beispiel erzählt er mir, er heiße mit Vornamen in Wahrheit Anton, nenne sich aber immer Antonio und auch alle seine Briefköpfe lauten so. Und sogar in seinem Paß steht Antonio. Aber wenn es in seinem Paß so steht, dann heißt er doch Antonio. Nein, das ist quasi sein Künstlername. Antonio klingt italienisch und er habe ein Faible für Italien. Und Pässe können auch auf Künstlernamen ausgestellt werden. Das habe ich nicht gewußt.
Aber warum erzählt er mir das? Ich finde es eher peinlich. Mein Name klingt ja auch ein wenig schräg, wenn man von nördlich des Weißwurstäquators kommt, aber warum sollte ich mich anders nennen. Ich bin eben die Sabine Greubel. Nun ja, jeder hat so seine Marotten.
Nun unterbrach uns die Haushälterin. Tat sie noch öfter. Und ich bekam auch mit, warum: wir saßen mehr als zweieinhalb Stunden zusammen und zwei Bewerberinnen, die wie ich einen Termin hatten, wurden einfach wieder weggeschickt. Das hätte der mit mir mal wagen sollen! Unverschämtheit! Da war mein malträtiertes Sitzfleisch nichts dagegen.
Ich schien also spürbar in die engere Wahl zu kommen. Er gab mir zum Abschied einen Arbeitsvertrag in die Hand, allerdings mit der deutlichen Warnung, dies sei keinesfalls als Vorentscheidung zu verstehen, schließlich habe er selbst den Vertrag noch nicht unterschrieben. Ich solle mich nur mit dem Inhalt schon mal vertraut machen, für unser zweites Gespräch zu dem er mich bereits einlade. Termin ausgemacht, nach Hause gefahren, Bad genommen. Puh, was für ein Tag! Ich hatte Riesenschweißflecken unter den Achseln. Hatte er die bemerkt?
Erst am nächsten Tag fand ich Kraft, mir den Arbeitsvertrag genauer anzuschauen. Oder besser, ich hätte es tun sollen. Ein Monstrum von 24 eng beschrieben Seiten, oder so. Ja, ich gebe zu, ich habe ihn nicht gelesen, jedenfalls nicht ganz. Nach dem üblichen Bla-Bla am Anfang habe ich weitergeblättert, ob irgendwo was vom Gehalt und Zusatzgratifikationen steht. Dann habe ich da gelesen 4500 Euro monatlich, plus Weihnachtsgeld, plus Urlaubsgeld und 30 Tage Urlaub und dachte nur noch: das wäre geil! Manche Leute scheinen Kohle ohne Ende zu haben. Ich meine, ich hatte fast 2700 Euro bei Gunter & Kiesling und fand das schon absolut spitzenmäßig. Und war entsprechend sauer, da rausgeflogen zu sein. Bei der Trotteltruppe, wo ich nur sechs Wochen schaffen durfte, war es deutlich weniger. Bei meinem Lehrbetrieb, wo ich noch drei Jahre geblieben war, sowieso.
Aber noch hatte ich den Job nicht, sondern nur das erste Gespräch. Für mich aber war schon klar: Ich würde mich auf zu ziemlich alles einlassen, wenn ich so ein super Gehalt bekommen kann, anstatt Hartz IV, was sonst bald drohen würde. Und wenn er wirklich mehr wollte als nur Sekretariatsarbeit? Auch darüber dachte ich nach; Prostitution war ja seit 2002 nicht mehr strafbar und besonders prüde war ich nicht. Solange also alles irgendwie im Rahmen blieb, wer weiß wie weit ich gehen würde? Ich würde jetzt erst einmal alles auf mich zukommen lassen.
Gleich am folgenden Montag fand das zweite Gespräch statt. Er hatte angedeutet, daß er meine Fähigkeiten testen will, ob ich meine Fremdsprachenkenntnisse nicht verlernt habe, wie gut ich in verschiedenen Office-Programmen bin, etc. Gut, ich war vorbereitet. Meinen Job kann ich. Und was ich nicht weiß, lerne ich. Das ich von Immobilien keine Ahnung hatte, hab ich ihm ja gleich gesagt. Das ich bei Herrn Lukas noch einiges lernen würde, hatte ich mir damals zwar schon gedacht, aber ich hatte keine Vorstellung, was es sein würde.
Ich hatte mich total aufgedonnert. Ich dachte nur, jetzt will ich es wissen. Beinahe hätte ich mir ein neues Kostüm gekauft, konnte mich aber gerade noch zurückhalten, denn erstens ist mein Kleiderschrank ziemlich gut gefüllt und zweitens würde ich mir doppelt in den Hintern beißen, wenn ich den Job dann doch nicht bekommen hätte, schließlich gab es weitere Bewerberinnen.
Schade nur, daß ich Herrn Lukas nur zweimal kurz zu Gesicht bekam und er mir sogar ein Gefühl vermittelte, als kenne er mich kaum – was ja ehrlicherweise auch stimmte. Bei unserer ersten Begegnung an diesem Tag begrüßte er mich kurz und ein bißchen kalt sogar, und drückte mir mehrere Blätter in die Hand, mit Aufgaben, die ich in einer bestimmten Zeit erledigen sollte.
Aber zuvor begegnete ich natürlich wieder der Haushälterin, die ich diesmal aufmerksamer musterte. Sie trug nicht nur ein schwarzes Kleid, wie es Haushälterinnen in diesen Kreisen wohl zu tragen pflegen. Es war eng geschnitten an der Taille, aber nach unten hin bauschte es auf, bzw. wurde durch ein Unterkleid aufgebauscht. Und es war ziemlich kurz. Sie hatte sehr schöne lange Beine, die in einer schwarzen Strumpfhose steckten. Ihr Busen war eher klein, aber schien straff zu sein. Sie hatte zwar Fältchen im Gesicht, war aber auf ihre Art durchaus eine Schönheit. Und sie hatte etwas Schelmisches. Außerdem trug sie Stilettos. Für Hausarbeit eher ungeeignet. Sie bewegte sich dabei absolut sicher und natürlich in diesen hohen schwarzen Schuhen. Sie sah elegant aus, und, ja, auch erotisch. Diese langen Beine in diesem kurzen Kleidchen. Mit Schürze. Und dann ein Häubchen. Und sie trug eine Seidenbluse. Tatsächlich, sie trug wirklich eine halbtransparente, schwarze Seidenbluse unter ihrem Kleid, wie ich sie vielleicht ins Theater anziehen würde. Als Arbeitskleidung einer Haushälterin.
Zum Schluß nahm er mir die Blätter wieder ab, entschuldigte sich dafür, daß er heute kaum Zeit für mich habe und verabschiedete mich mit der Floskel, er werde sich auf jeden Fall bei mir melden.
Irgendwie war es blöd gelaufen. Und ich wußte nicht, woran ich war. Und ich mußte warten. Ich wartete zwei Wochen und dachte die ganze Zeit an nichts anderes als an diese beiden Gespräche. An nichts anderes. Ich erledigte nur das Nötigste im Haushalt, schrieb keine Bewerbungen mehr, obwohl ich das dringend hätte machen müssen und brachte nicht einmal mehr die Konzentration auf, ein Buch zu lesen. Ich wurde immer unruhiger. Dann kam eine E-Mail. Darin in einem Anhang der Vertrag, unterschrieben von Herrn Lukas und ein längerer Begleitbrief.
Ich möge doch am 02.07.2007 zwischen 8:00 Uhr und 8:30 erscheinen, falls ich noch an dem Job interessiert sei. Bedauern, daß es so lange gedauert habe, aber es seinen interessante Mitbewerberinnen aufgetreten und ich hätte hinsichtlich der fachlichen Qualitäten nicht an der Spitze gelegen. Die Aufgaben samt Korrekturen – wie in der Schule, oder was? – waren auch angehängt. Und tatsächlich hatte ich eine Aufgabe schlicht falsch verstanden und darüber hinaus zwei oder drei kleinere Fehler gemacht. Es war keine Katastrophe, aber schlechter als ich selbst gedacht hatte, einfach suboptimal. Vielleicht weil ich zu nervös gewesen war und die halterlosen Strümpfe, die sich immer wieder aufgerollt hatten, mich ständig ablenkten. Das Aufdonnern war beim zweiten Termin einfach unnötig.
Es hieß auch, der Vertrag sei an mehreren Stellen geändert worden und ich sollte ihn noch einmal gründlich lesen, bevor ich unterschriebe. Als Gehalt waren nun nur noch 4.200 Euro angegeben. Immerhin, noch deutlich mehr,