Ein Kind unserer Zeit. Ödön von Horváth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ödön von Horváth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750246102
Скачать книгу
näherten wir uns einer Ruine, aus der plötzlich eine Salve über uns dahinkrachte.

      Wir werfen uns nieder und suchen Deckung.

      Nein, das war keine Salve – das war ein Maschinengewehr. Wir kennen die Musik.

      Es steckt vor uns in einer Scheune.

      Ringsum ist alles verbrannt, das ganze Dorf –

      Wir warten.

      Da wird drüben eine Gestalt sichtbar, sie geht durch das verkohlte Haus und scheint etwas zu suchen.

      Einer nimmt sie aufs Korn und drückt ab – die Gestalt schreit auf und fällt.

      Es ist eine Frau.

      Jetzt liegt sie da.

      Ihr Haar ist weich und zart, geht es mir plötzlich durch den Sinn und einen winzigen Augenblick lang muß ich an das verwunschene Schloß denken.

      Es fiel mir wieder ein.

      Und nun geschah etwas derart Unerwartetes, daß es uns allen die Sprache verschlug vor Verwunderung.

      Der Hauptmann hatte sich erhoben und ging langsam auf die Frau zu –

      Ganz aufrecht und so sonderbar sicher.

      Oder geht er der Scheune entgegen?

      Er geht, er geht –

      Sie werden ihn ja erschießen – er geht ja in seinen sicheren Tod!

      Ist er wahnsinnig geworden?!

      In der Scheune steckt ein Maschinengewehr –

      Was will er denn?!

      Er geht weiter.

      Wir schreien plötzlich alle: »Herr Hauptmann! Herr Hauptmann!«

      Es klingt, als hätten wir Angst –

      Jawohl, wir fürchten uns und schreien –

      Doch er geht ruhig weiter.

      Er hört uns nicht.

      Da spring ich auf und laufe ihm nach – ich weiß es selber nicht, wieso ich dazu kam, daß ich die Deckung verließ – Aber ich will ihn zurückreißen, ich muß ihn zurückreißen! Da gehts los – das Maschinengewehr.

      Ich sehe, wie der Hauptmann wankt, sinkt – ganz ergeben –

      Und ich fühle einen brennenden Schmerz am Arm – oder wars das Herz?

      Ich werfe mich zu Boden und benutze den Hauptmann als Deckung.

      Er ist tot.

      Da seh ich in seiner Hand was Weißes –

      Es ist ein Brief.

      Ich nehm ihn aus seiner Hand und hör es noch schießen – aber nun schützt mich mein Hauptmann.

      »An meine Frau«, steht auf dem Brief.

      Ich stecke ihn ein und dann weiß ich nichts mehr.

      Der Bettler

      Es war nicht das Herz, es war nur der Arm, aber leider der Knochen.

      Er wurde zersplittert.

      Man holte die Kugel heraus und allmählich wuchsen die Splitter wieder zusammen. Lange Wochen lag ich im Lazarett, zuerst noch im Feindesland, dann wurd ich in die Heimat transportiert. Denn der Schuß war doch komplizierter, als man ursprünglich annahm, und ich hatte hohes Fieber.

      Hoffentlich werd ich nur meinen Arm wieder richtig bewegen können, denn sonst müßt man ja das Militär verlassen und was würd ich dann beginnen?

      Ich habe ja nichts. Keinen Groschen.

      Der Dank des Vaterlandes war mir zwar gewiß, dessen bin ich überzeugt, aber die Invalidenrenten sind minimal – davon wird keiner satt.

      Und wo bleiben die Kleider, die Schuhe?

      Vergangene Zeiten, an die ich längst nimmer dachte, tauchen wieder auf –

      Der Schnee beginnt zu treiben.

      Ich dachte, ich hätt euch vergessen, ihr Tage meiner aussichtslosen Jugend –

      Doch die Suppe, die ich löffelte, dampft und die Heiligen auf dem Kirchendach schauen mich wieder an.

      Laßt mich in Ruh!

      Aber sie weichen nicht.

      Sie ziehen an mir vorbei, stumm und schadenfroh, unter einem harten Himmel. Da kommen die kleinen Anzeigen in den großen Zeitungen, die verlassenen Badehütten, der Kriminaler und das dünne Eis –

      Es ist eine Schand!

      Ich friere.

      Es schneit auf das Grab meiner Zukunft –

      »Er fiebert noch immer«, höre ich die Stimme einer Frau. Das ist die dicke Schwester, die mich pflegt. Ich seh sie gern, weil sie meist ein bißchen lächelt, als wär sie der zufriedenste Mensch.

      Ich schlage die Augen auf und erblicke neben der Dicken einen Offizier.

      Er betrachtet mich.

      Ich kenne ihn nicht.

      Es ist ein Oberleutnant und er spricht mich an. Ich höre, daß ich für die tollkühne Tapferkeit, mit der ich meinen Hauptmann retten wollte, belobt und befördert wurde.

      Und er gibt mir einen Stern, meinen dritten silbernen Stern.

      Er erkundigt sich, ob ich arge Schmerzen hätte, aber er wartet meine Antwort nicht ab, sondern fährt gleich fort, er wäre überzeugt, daß mein Arm wieder richtig werden und daß mir eine glänzende Zukunft bevorstehen würde. Vielleicht winke mir sogar ein goldener Stern –

      Und plötzlich tritt er ganz dicht an mich heran und spricht sehr leise, damit ihn die Schwester nicht hört. Ich solle es nur nie vergessen, sagt er, daß ich nicht als regulärer Soldat, sondern nur als ein sogenannter Freiwilliger mitgekämpft hätte. Im Feindesland tobe nämlich nach offizieller Lesart kein Krieg, sondern eine abscheuliche Revolution, und es stünden unsererseits keinerlei militärische Einheiten drüben, sondern, wie gesagt, nur freiwillige Kämpfer auf Seite aller Aufbauwilligen gegen organisiertes Untermenschentum –

      »Ich weiß es schon, Herr Oberleutnant«, sage ich.

      »Ich wollt Sie nur erinnern«, meint er und zieht sich wieder etwas zurück von mir.

      »Herr Oberleutnant!« rufe ich. »Wie stehts denn eigentlich mit uns?«

      Er grinst.

      »Ausgezeichnet! Eigentlich habt ihr braven Freiwilligen bereits gesiegt, es wird nur noch gesäubert.«

      Aha, gesäubert –

      Auch ich muß grinsen.

      Der Offizier geht und die Schwester richtet mein Polster.

      Dann bringt sie Milch und Brot.

      Draußen singt ein Vogel.

      Schau – schau, wir haben also schon gesiegt. Jaja, schlau muß man sein, wenn man seinem Vaterlande nützlich dienen will. Schlau und nicht nur tapfer. Jetzt wird dann irgendeine Scheinregierung eingesetzt, bestochene Kreaturen, und das Land, das wir holen wollten, fällt uns in den Schoß – geschickt gemacht!

      Ich freue mich.

      Wenn nur mein Arm wieder richtig wird! Was würd ich nicht darum geben – ich glaub: alles!

      Du hast doch nichts, geht es mir wieder durch den Sinn.

      Was kannst du also für deinen Arm geben?

      Zehn Jahre meines Lebens.

      Lächerlich! Was weißt du denn, wie lange du lebst? Lauter leere Versprechungen!

      Und ich denke, wenn ich noch daran glauben würde, was man mir in der Schule erzählt hat, dann würde ich jetzt sagen: