Ein Kind unserer Zeit. Ödön von Horváth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ödön von Horváth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750246102
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dem ersten Bettler, der dir begegnet, wenn du wieder ausgehen darfst – schenk ihm einen Taler!

      Nein, nicht einen – drei, vier, fünf!

      Jawohl, fünf Taler!

      Für fünf Taler kann man sich schon allerhand kaufen, wenn man sich nach der vorhandenen Decke streckt –

      Fünf Taler ist viel für mich.

      Ich will sie dem lieben Gott geben, damit mir der Engel meinen Arm zurückgibt.

      Es flimmert, es flimmert – – –

      Die Tage vergehen und nehmen die Nächte mit sich.

      Wenn der Arzt kommt, schneidet er keine Grimassen mehr.

      Der Arm wird besser.

      Heut kann ich ihn schon bewegen, natürlich nur sacht –

      Aber er wird besser! Besser, besser!

      Wenn er mir nicht so weh tun würd, wollt ich mit ihm die ganze Welt umarmen, so rosig scheint wieder meine Zukunft!

      Bald werd ich das Bett verlassen, wenn alles ohne Rückfall vergeht.

      Es geht, es geht –

      Die Schwester bringt meine Uniform.

      Heut darf ich zum erstenmal an die Luft, wenn auch nur für eine halbe Stund.

      Ich liebe meine Uniform.

      Wo warst du so lang?

      »Ich hing in einem Schrank«, sagt die Uniform, »neben einer alten Hose und einem hellen Paletot – lauter Zivilisten, brr!«

      Ich zieh mich an.

      »Das ist aber allerhand«, wundert sich die Uniform, »wie dünn du geworden bist! Ich schlotter ja direkt um dich herum! Fesch seh ich nicht aus, das muß man dir lassen!«

      »Tröste dich«, beruhige ich sie, »ich hab dir auch etwas mitgebracht.«

      Und ich zeig ihr meinen dritten silbernen Stern.

      Da strahlte sie natürlich und es war ihr egal, ob sie schlottert.

      Die Schwester nähte ihn an, den Stern –

      Ich betrachte ihn im Spiegel.

      In der Tasche steckt was Weißes –

      Was ist das für ein Brief?

      »An meine Frau«, steht da droben.

      Ach, der Brief des Hauptmanns!

      »Wir hätten ihn schon expediert«, höre ich die Schwester, »aber wir wußtens nicht, wem wir den Brief schicken sollten, Sie sind ja unverheiratet« –

      Ach so, die Dicke meint, diesen Brief hätte ich geschrieben –

      Nein – nein, ich bin allein.

      Meine Mutter ist tot und mit meinem Vater hab ich nichts mehr zu tun. Der hinkt jetzt sicher in seiner Wirtschaft herum und das soll er auch.

      Ich stecke den Brief ein und geh an die Luft.

      Ich habe niemand.

      Warum sagt ichs nur nicht, daß der Brief der Witwe meines Hauptmanns gehört?

      Wahrscheinlich, weil ich ihn ihr persönlich überbringen will.

      Das schickt sich nämlich so.

      Ich weiß, wo sie ungefähr wohnt.

      Wenn ich länger ausbleiben darf, werde ich sie besuchen, denn sie wohnt außerhalb und vielleicht muß ich dort übernachten.

      Hoffentlich ist es ihr schon bekannt, daß ihr Gatte fürs Vaterland fiel –

      Und plötzlich fällts mir wieder ein: warum ging denn ihr Gatte seinerzeit auf jene Scheune los? Wollt er denn das Maschinengewehr allein erobern? Er mußt es doch wissen, daß er in den sicheren Tod geht, es war doch völlig ohne Sinn – was hat er denn nur bezwecken wollen?

      Was bildete er sich eigentlich ein?

      Ich biege um die Ecke.

      Da hockt ein Bettler –

      Der erste Bettler, durchzuckt es mich.

      Ich greife in die Tasche, um ihm die versprochenen fünf Taler zu geben.

      Der Bettler nimmt von mir scheinbar keine Notiz.

      Ist er blind?

      Oder trägt er nur eine blaue Brille, weil er mich betrügen möcht?

      Fünf Taler sind viel Geld.

      Vielleicht sieht er mich genau –

      Vielleicht hat der Bettler mehr als ich.

      Gib ihm deine Taler –

      Nein, ich geb sie dir nicht und geh an dir vorbei.

      Ich bin ja gestreckt worden, mein Herr, massiert, gefoltert, und diese Prozeduren gaben mir meinen Arm wieder zurück – verstanden?

      Es war die Kunst der Ärzte und mein Gelübde war eine Ausgeburt der Schwäche. Ich fieberte doch in einer Tour und war schon total verzweifelt, als ich dir fünf Taler versprach –

      Ja, ich war nicht bei mir.

      Aber jetzt bin ich wieder der alte!

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