Ein Kind unserer Zeit. Ödön von Horváth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ödön von Horváth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750246102
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Soldaten nicht ausstehen, weil er die Rüstungsindustrie haßt. Als wärs das Hauptproblem der Welt, ob ein Rüstungsindustrieller verdienen darf oder nicht!

      Soll er verdienen, wenn er nur treu liefert!

      Prima Kanonen, Munition und den ganzen Behelf –

      Das ist für uns Heutige kein Problem mehr.

      Denn wir haben erkannt, daß das Höchste im Leben des Menschen das Vaterland ist. Es gibt nichts, was darüber steht an Wichtigkeit. Alles andere ist Unsinn. Oder im besten Fall nur so nebenbei.

      Wenn es dem Vaterland gut geht, geht es jedem seiner Kinder gut. Gehts ihm schlecht, geht es zwar nicht allen seinen Kindern schlecht, aber auf die paar Ausnahmen kommts auch nicht an im Angesicht des lebendigen Volkskörpers.

      Und gut gehts dem Vaterland nur, wenn es gefürchtet wird, wenn es nämlich eine scharfe Waffe sein eigen nennt –

      Und diese Waffe sind wir.

      Auch ich gehör dazu.

      Aber so gibt eben noch immer verrannte Leute, die sehen diese selbstverständlichen Zusammenhänge nicht, sie wollen sie auch nicht sehen, denn sie sind noch immer in ihren plumpen Ideologien befangen, die im neunzehnten Jahrhundert wurzeln. Auch mein Vater ist solch einer von dieser Garde.

      Es ist eine traurige Garde.

      Eine geschlagene Armee.

      Mein Vater ist ein verlogener Mensch.

      Er war drei Jahre in Kriegsgefangenschaft, ab 1917. Erst Ende 1919 ist er wieder heimgekehrt. Ich selbst bin 1917 geboren, bin also ein sogenanntes Kriegskind, aber ich kann mich natürlich an diesen ganzen Weltkrieg nicht mehr erinnern. Und auch nicht an die Zeit hinterher, an die sogenannten Nachkriegsjahre. Nur manchmal so ganz verschwommen. Meine richtige Erinnerung setzt erst ein zirka 1923.

      Mein Vater ist von Beruf Kellner, ein Trinkgeldkuli. Er behauptet, daß er durch den Weltkrieg sozial gesunken war, weil er vor 1914 nur in lauter vornehmen Etablissements arbeitete, während er jetzt draußen in der Vorstadt in einem sehr mittelmäßigen Betrieb steckt. Er hinkt nämlich etwas seit seiner Gefangenschaft, und ein hinkender Kellner, das kann halt in einem Luxuslokal nicht sein.

      Aber trotz seiner Privattragödie hat er kein Recht, auf den Krieg zu schimpfen, denn Krieg ist ein Naturgesetz.

      Überhaupt ist mein Vater ein Nörgler. Als ich noch bei ihm in seinem Zimmer wohnte, krachten wir uns jeden Tag. Immer schimpft er über die Leut, die das Geld haben, und derweil sehnt er sich nach ihnen – wie gern würde er sich wieder vor ihnen verbeugen, denn er denkt ja nur an sein Trinkgeld! Ja, er ist ein durch und durch verlogener Mensch, und ich mag ihn nicht.

      Wenn er nicht zufällig mein Vater war, würde ich mich fragen: wer ist denn dieser widerliche Patron?

      Einmal sagte ich zu ihm: »Hab nur keine Angst vor dem kommenden Krieg, du kommst eh nimmer dran mit deinem Alter!« Er blieb vorerst ganz ruhig und sah mich an, als würde er sich an etwas erinnern wollen. »Ja«, fuhr ich fort, »du zählst nicht mehr mit.« Er blieb noch immer ruhig, aber plötzlich traf mich ein furchtbar gehässiger Blick, wie aus einem Hinterhalt. Und dann begann er zu schreien. »So geh nur in deinen Krieg!« brüllte er. »Geh und lern ihn kennen! Einen schönen Gruß an den Krieg! Fall, wenn du magst! Fall!«

      Ich ging fort.

      Das war vor drei Jahren.

      Ich hör ihn noch brüllen und sehe mich im Treppenhaus. Auf einmal hielt ich an und ging zurück. Ich hatte meinen Bleistift vergessen, ich wollte nämlich zu den Redaktionen, wo die Zeitungen mit den kleinen Anzeigen im Schaukasten hängen, um dort vielleicht eine Arbeit zu finden, irgendeine – ja, damals glaubte ich trotz allem noch an Märchen.

      Als ich das Zimmer wieder betrat, stand mein Vater am Fenster und sah hinaus. Es war sein freier Tag in der Woche.

      Er wandte sich mir nur kurz zu –

      »Ich hab meinen Bleistift vergessen«, sagte ich.

      Er nickte und sah wieder hinaus.

      Was war das für ein Blick?

      Hat er geweint?

      Ich ging wieder fort.

      Weine nur, dachte ich, du hast auch allen Grund dazu, denn eigentlich trägt deine Generation die Hauptschuld daran, daß es mir jetzt so dreckig geht – (damals war ich ja noch arbeitslos und hatte keine Zukunft).

      Die Generation unserer Väter hat blöden Idealen von Völkerrecht und ewigem Frieden nachgehangen und hat es nicht begriffen, daß sogar in der niederen Tierwelt einer den anderen frißt. Es gibt kein Recht ohne Gewalt. Man soll nicht denken, sondern handeln!

      Der Krieg ist der Vater aller Dinge.

      Ich hab mit meinem Vater nichts mehr zu tun.

      Ich kann es nicht ausstehen, das ewige Geweine!

      Immer wieder hören müssen: »Vor dem Krieg, das war eine schöne Zeit!« – da werd ich ganz wild.

      Mir hätt sie nicht gefallen, deine schöne Zeit!

      Ich kann sie mir genau vorstellen nach den alten Photographien.

      Du hattest eine Dreizimmerwohnung, warst noch nicht verheiratet und führtest, wie es seinerzeit hieß, ein flottes Junggesellenleben.

      Mit Weibern und Kartenspiel.

      Alle Welt hatte Geld.

      Es war eine verfaulte Zeit.

      Ich hasse sie.

      Jeder konnte arbeiten, verdienen, niemand mußte hungern, keiner hatte Sorgen –

      Eine widerliche Zeit!

      Ich hasse das bequeme Leben!

      Vorwärts, immer nur vorwärts!

      Marsch – marsch!

      Wir stürmen vor – nichts hält uns zurück!

      Kein Acker, kein Zaun, kein Strauch –

      Wir treten es nieder!

      Marsch – marsch!

      So stürmen wir vor und gehen auf einer Höhe in Deckung, um die Straße, die unten vorbeizieht, zu beherrschen.

      Vorerst sinds nur noch Manöver.

      Aber bald wirds ernst, die Zeichen werden immer sichtbarer.

      Und der Krieg, der morgen kommen wird, wird ganz anders werden als dieser sogenannte Weltkrieg! Viel größer, gewaltiger, brutaler – ein Vernichtungskrieg, so oder so!

      Ich oder du!

      Wir schauen der Wirklichkeit ins Auge.

      Wir weichen ihr nicht aus, wir machen uns nichts vor –

      Jetzt schießen Haubitzen.

      In der weiten flimmernden Ferne.

      Man hört sie kaum.

      Sie schießen vorerst noch blind.

      Unten auf der Straße erscheinen zwei radfahrende Mädchen. Sie sehen uns nicht.

      Sie halten plötzlich und sehen sich um.

      Dann geht die eine hinter einen Busch und hockt sich hin. Wir grinsen und der Leutnant hinter mir lacht ein bißchen.

      Der Feldwebel schaut mit dem Feldstecher hin.

      Jetzt surrt es am Himmel. Ein Flieger. Er fliegt über uns hinweg.

      Das Mädchen läßt sich nicht stören, sondern blickt nur empor.

      Er fliegt sehr hoch, der Flieger, und kann sie nicht sehen. Das weiß sie.

      An uns denkt sie nicht.

      Und derweil werdens doch immer wir Infanteristen sein, die die Kriege entscheiden – und nimmer die Flieger! Obwohl man von ihnen so viel spricht und von uns so wenig. Obwohl sie die eleganteren Uniformen haben –