Der Strom, seiner Ufer beraubt, breitete sich großflächig aus und es entstand das größte Flussdelta auf dem gesamten Planeten mit unzähligen Nebenarmen und einigen atemberaubend schönen Wasserfällen. Da sich diese hauptsächlich in den größeren, breiteren und tieferen Flussarmen fanden, war man gezwungen gewesen, ein gewaltiges Schleusensystem zu installieren, damit der Strom bis in den hohen Norden zu den wichtigen Rohstoffvorkommen des Hochlandes mit großen Schiffen befahrbar blieb.
Vor dem Krieg waren diese Anlagen stets eine besondere Attraktion für Besucher der Stadt gewesen, jetzt aber waren sie vielfach zerstört worden. Und diejenigen, die noch intakt waren, konnten nicht genutzt werden, da ihre Inbetriebnahme viel zu viel Aufmerksamkeit erregt hätte.
Somit war die Fahrt nach Norden für die Rettungstrupps aus Ajuminaja mit einem Umweg verbunden, der jedoch nötig war, wenn man den Schutz des Flusses behalten wollte.
Deshalb dauerte die Fahrt des kleinen Flugbootes, in dem sich neben Malissa, Rupas und dem Piloten, sowie Malawi, Idis, Kendig und Rimbo, noch ein vierköpfiger Rettungstrupp befand, dem ein Sanitäter angehörte, fast doppelt so lang, wie zu Friedenszeiten, doch schließlich erreichten sie die nordwestlichen Ausläufer des Fluss-Deltas und die dort befindlichen Vororte von Ajuminaja.
Der Pilot, der das Schiff sauber und problemlos führte, lenkte es in einen kleinen, breiten Nebenarm und ließ es schließlich zwischen einigen Schiffswracks langsam auftauchen. Inmitten der riesigen, halb gesunkenen, vielfach ausgebrannten und zerstörten Stahlkolosse fiel das kleine Boot absolut nicht auf, zumal sich der Himmel wolkenverhangen zeigte und die Nacht noch düsterer machte.
Malissa führte die Gruppe aus dem Schiff – der Pilot blieb als Einziger zurück - auf den Kai und von dort aus in eine Seitengasse, wo sie zunächst verharrten und das Gelände sondierten. Doch es war alles ruhig, für Kendigs Geschmack eher zu ruhig. Die feindlichen Linien befanden sich im Osten und auch die gewaltigen Atmosphärenwandler schienen weit entfernt.
Malissa und der Anführer des Rettungstrupps hatten jeweils ein tragbares Radargerät bei sich, das ihnen zeigte, dass auch das nächste Rudel Insektenbestien gute vier Meilen entfernt war.
„Wissen sie, woher das Signal kommt?“ fragte Rimbo Malissa.
Sie nickte und deutete auf ihren Radarschirm, wo im oberen linken Bereich ein blauer, pulsierender Punkt zu sehen war. „Richtung Nordosten!“ meinte sie. „Vielleicht eine Meile!“
„Los geht’s!“ erwiderte Rupas. „Ich und Malissa übernehmen die Führung. Sergeant?“ Er schaute den Anführer des Rettungstrupps an und wartete, bis er seinen Blick erwiderte. „Sie und ihre Männer bilden die Nachhut!“ Der Soldat nickte. „Der Rest...!“ Rupas sah Kendig und Rimbo an. „...hält sich in der Mitte und deckt die Flanken!“ Kendig und Rimbo nickten ebenfalls. Damit war Rupas zufrieden. „Okay, dann ab dafür!“
Allmählich verließ auch ihn die Zuversicht und seine Stimmung sank unter die Grasnarbe. Doch so sehr sie sich auch bemühten, es wurde immer wahrscheinlicher, dass Shamos Recht und ihre Mission nicht den gewünschten Erfolg gebracht hatte.
Dabei war er sich doch so sicher gewesen, dass sie dennoch Glück gehabt hatten.
Zwar hatten sie nur eine knappe Stunde in der Bibliothek von Ajuminaja zur Verfügung gehabt, doch die hatten er und Shamos wirklich hervorragend und konsequent genutzt. Matu war sicher, dass sie in der richtigen Ecke gesucht hatten. Deshalb hatten sie auch so viele Bücher und Schriften aus den Regalen genommen, weil sie förmlich gespürt hatten, dass sie auf dem richtigen Weg waren. Bevor sie jedoch mehr als weitere Andeutungen und Hinweise erlesen konnten, brachen die Insektenbestien über sie herein.
Es war reiner Instinkt und reiner Reflex gewesen, dass er seine Tasche aufgerissen und den Tisch quasi in einem einzigen Handstreich abgeräumt hatte.
Des Rätsels Lösung lag dort vor ihnen, doch, wenn sie einfach nur die Flucht ergriffen hätten, hätten sie sich jeder Chance beraubt, es zu lüften.
Deshalb hatte Matu auch nicht lange gewartet und sich gleich nachdem sie hier eingetroffen waren, darangemacht, die Schriften wieder zu ordnen. Natürlich war ihm dabei nicht entgangen, dass Shamos sich bereits aufgegeben zu haben schien, zumindest aber in tierischem Selbstmitleid zerfloss.
Es war wirklich nicht leicht, sich davon nicht beeindrucken und herunterziehen zu lassen, doch er zwang sich zur Konzentration und arbeitete verbissen und akribisch.
Irgendwann dann kam Shamos doch zu ihm und brachte ihm eine Tasse Kaffee. Während er ihm von seinem Gespräch mit Esha erzählte, genoss Matu grinsend das dampfende Getränk, das ihn sofort belebte.
Danach gingen sie gemeinsam daran, die in aller Eile zusammengeklaubten Schriften weiter zu ordnen.
Anfangs war Shamos dabei noch ein wenig langsam, behäbig und lustlos, doch allmählich steigerte sich sein Enthusiasmus und sie kamen gut voran.
Nach einer gewissen Zeit aber stellte sich bei beiden die bittere Erkenntnis ein, dass ihre Mühen doch vergebens waren. Alle Schriften drehten sich zwar um den Anbeginn der Menschheit und viele davon waren auch aus den Reihen derer, die die Dinge anders oder nicht ganz so sahen, wie die Allgemeinheit. Ja, sie hatten sogar Schriften des Mannes gefunden, der letztlich als Begründer der geheimen Sekte galt, die man als Hexamerer kannte. Das Buch, in dem er seine Thesen und Schlussfolgerungen für die Nachwelt festgehalten hatte, hatten sie jedoch nicht entdecken können.
Dennoch war Matu zuversichtlich gewesen. Wenn die Lösung in diesem Buch zu finden gewesen wäre, dann hätten all die Gelehrten und Wissenschaftler, die es in Jahrtausenden unzählige Male durchsucht und überprüft hatten, sicherlich schon gefunden. Deshalb erschien es ihm nicht einmal unlogisch, dass sie das, was sie suchten, in einem anderen, eher unscheinbaren Textstück finden würden.
Aber nachdem sie nunmehr alles, was sie aus der Bibliothek hatten mitnehmen können, sauber und ordentlich zusammengestellt und zugeordnet hatten, musste Matu zugeben, dass sie zwar einige vage Andeutungen darauf gefunden hatten, dass da in der Tat noch etwas mehr war, dass er aber keinen einzigen echten, verwertbaren Hinweis erkennen konnte.
Die Tatsache, dass sich Shamos Theorie als absolut nicht irrsinnig darstellte, sie aber weiterhin hoffnungslos blind waren, frustrierte und verärgerte ihn.
Shamos atmete einmal sehr tief durch, dann ließ er sich müde auf einen Stuhl sinken. Sein Blick war kraftlos und verschwommen. „Das war es! Wir sind gescheitert!“
Matu schaute den Wissenschaftler einen langen Moment an, in dem er wusste, dass Shamos Recht hatte. Dennoch schüttelte er den Kopf. „Nein! Das kann es nicht gewesen sein!“ Er versuchte kraftvoll und zuversichtlich zu sprechen, doch seine Stimme klang zittrig. „Das darf es nicht gewesen sein. Ich bin mir sicher, dass wir die Lösung hier vor Augen haben. Wir sehen... nur nicht richtig hin!“ Er schaute Shamos flehend an.
Doch der Wissenschaftler schüttelte traurig den Kopf. „Das alles hat irgendwie irgendwo damit zu tun. Aber es fehlt etwas Entscheidendes!“
„Und jetzt?“
„Es war klar, wo es zu finden ist!“ Shamos sah Matu direkt an. „Daran hat sich nichts geändert. Wir müssen nochmals in die Bibliothek!“
„Aber?“ Matu wusste nicht, was er sagen sollte, nur das Shamos wahrscheinlich Recht hatte. „Das können wir nicht. Das ist viel zu gefährlich!“ Er sah in den Augen des Wissenschaftlers keine Zustimmung. „Außerdem haben diese Monster den Raum verwüstet. Wenn wir es beim ersten Mal nicht gefunden haben, wird uns das beim zweiten Mal erst Recht nicht gelingen!“
„Dann sind wir gescheitert und können wieder nach Kimuri zurückkehren!“
„Nein!“ rief Matu und schüttelte