Genesis IV. Alfred Broi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alfred Broi
Издательство: Bookwire
Серия: Genesis
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750219854
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„...dass die Wahrheit die Welt auf den Kopf stellen würde. So wie dieser Text es tut!“ Jetzt musste auch er lächeln. „Die Leute kannten offensichtlich damals schon Humor!“ Er schüttelte den Kopf, dann las er weiter. „Die einfache Wahrheit wird dem Ungläubigen verborgen bleiben und sich nur demjenigen offenbaren, der bereit ist, seine Grenzen zu sprengen und sich von den alten Fesseln zu lösen. Dann wird er erkennen, dass es hier nicht darum geht, die Allmacht Gottes in Frage zu stellen, sondern im Gegenteil seine Wunder offen und lebendig zu erleben!“

      Shamos und Esha hatten ihm aufmerksam zugehört. Shamos nickte immer wieder und schien zufrieden. Esha spürte, wie eine Gänsehaut ihren Rücken hinaufkroch.

      Matu blickte auf und legte das Buch auf den Tisch. „Die einfache Wahrheit...!?“ wiederholte er nachdenklich.

      Shamos beugte sich vor. „Was sind das hier für Zeichen?“ Er deutete auf vier geometrische Figuren ziemlich in der Mitte der Seite.

      „Sieht aus wie eine Raute, ein Dreieck, ein Kreuz und ein Quadrat!“ meinte er und blickte zu Matu. „Wie hoch ist wohl die Wahrscheinlichkeit, dass sie dort nur zufällig stehen?“

      Der Priester schaute ihn einen Moment ausdruckslos an, dann blickte er in das Buch. „Aber natürlich!“ meinte er plötzlich und riss seine Augen auf. Als er Eshas und Shamos irritierten Blick sah, musste er lächeln. „Moment!“ sagte er langgezogen, sprang von seinem Stuhl auf und schaute über den Tisch.

      „Was ist los?“ Esha war sichtlich nervös.

      „Ich habe diese Symbole schon einmal gesehen!“ erwiderte Matu, ohne sie anzuschauen. „Hier!“ rief er nur einen Wimpernschlag später und riss förmlich einige Seiten Pergament in die Höhe. „Hier ist es!“ Er setzte sich wieder und breitete die insgesamt vier Seiten vor sich aus. „Da!“ Er deutete auf die jeweils linke, untere Ecke der fast durchsichtigen Seiten, wo deutlich je eines der Symbole zu erkennen war.

      Shamos beugte sich vor, schaute kurz darüber, dann nickte er und lehnte sich wieder zurück. „Ja, mag sein. Aber diese Seiten hatten wir doch schon durchgearbeitet. Sogar einmal mehr, als alle anderen!“

      „Und wieso das?“ fragte Esha.

      „Hier!“ Matu schob ihr die Seiten zu. „Sehen sie selbst!“

      Esha beugte sich hinab und wusste schon nach wenigen Augenblicken, was der Priester meinte. Eine derartige Handschrift, wie sie auf den vier Pergamentseiten zu finden war, hatte sie noch nie zuvor gesehen. Zwar war der Text in ihrer Sprache verfasst, doch konnte sie ihn teilweise gar nicht oder nur mit äußerster Mühe entziffern. Esha war sich schnell ziemlich sicher, dass der Verfasser an einer Krankheit gelitten haben musste, die sich sehr negativ auf seine motorischen Fähigkeiten und somit auf seine Handschrift ausgewirkt hatte. Kein Buchstabe war jemals auf die gleiche Weise geschrieben worden. Die Worte waren mal klein und langgezogen oder groß und hochgestellt. Selten befanden sie sich auf einer geraden Linie, verliefen mal schräg nach unten oder oben oder auch in Wellenlinien auf und ab. Und nicht selten waren gerade die Anfangsbuchstaben von Worten mit ausgedehnten und ausgefeilten Verschnörkelungen versehen. Esha gab sich redlich Mühe, den Text zu entziffern, doch schon nach der ersten halben Seite gab sie entnervt auf, wobei das nicht nur an der Optik des Textes lag. „Mann!“ stieß sie hervor. „Das ist ätzend! Das kann man ja kaum entziffern. Und außerdem ist das ja nur Kauderwelsch, was dort steht! Was soll denn das?“ Sie schaute ihren Mann fragend an.

      Doch nicht er, sondern Matu antwortete ihr. „Sie haben völlig Recht. Die Schrift ist grauenhaft und der Text ergibt nicht einmal mit viel Wohlwollen auch nur einen einfachen Sinn!“ Dann schüttelte er den Kopf. „Doch irgendetwas stimmt daran nicht!“

      „Und das wäre?“ fragte Esha.

      „Da ist zum einen das Papier, auf dem der Text geschrieben wurde!“ erwiderte Shamos und beugte sich vor.

      „Borimant!“ meinte Esha.

      „Borimant!“ Ihr Mann nickte. „Ein Material, das zu keiner Zeit üblich war. Heute wird es nicht mehr benutzt, weil es wesentlich widerstandsfähigere und glattere Oberflächen gibt. Früher aber war es nahezu unerschwinglich. Borimant in der Menge für diesen Text war sicher zwei, wenn nicht gar drei Rinder wert!“

      Esha zog die Augenbrauen in die Höhe. „Wow!“

      Matu nickte. „Deshalb wurde es nur verwendet, um wirklich wichtige Texte darauf zu schreiben!“

      Esha runzelte die Stirn und atmete einmal tief durch. „Dann war der Verfasser nicht bei Sinnen!“

      „Warum?“

      „Weil er ein Vermögen für...sinnlose Worte ausgegeben hat!“

      „Mag sein!“ warf Shamos ein. „Aber verrückt war er nicht!“

      „Woher weißt du das?“

      „Weil fast die Hälfte aller Texte, die du hier siehst, von ihm sind. Und nicht einer davon ist auch nur annähernd so wirr und unverständlich wie dieser hier!“

      „Dann denkt ihr, dass dieser Text doch einen tieferen, verborgenen Sinn hat, weil der Verfasser sonst klar geschrieben und dieses für die damalige Zeit teure Material benutzt hat!“ Shamos und Matu nickten. „Deshalb habt ihr ihn auch mehrmals untersucht!“

      „Stimmt, aber leider ohne Erfolg. Der Sinn ist uns nach wie vor verborgen!“

      „Aber das diese Zeichen hier...!“ Sie deutete exemplarisch auf das Quadrat auf der Seite, die sie gerade versucht hatte zu lesen. „...sowohl in diesem Buch, als auch auf diesen Seiten hier stehen, ist doch nicht zufällig oder?“ Sie blickte die beiden hochkonzentriert an und nahm das kleine Buch in die Hand. „Außerdem...!“

      „Außerdem was?“ fragte Shamos.

      „Die Seite hier in dem Buch, auf der die Zeichen sind, ist ebenfalls aus Borimant!“

      „Ja, das ist uns auch schon aufgefallen!“ erwiderte Matu.

      „Und die Worte hier stehen nicht nur auf dem Kopf...!“ Sie klappte die Seite um und fuhr mit dem Finger über die vermeintliche Rückseite. „…sondern wurden auch spiegelverkehrt auf die Rückseite geschrieben!“

      „Was?“ Shamos war sofort überrascht und sprang auf.

      „Ja, hier!“ bestätigte Esha und reichte ihm das Buch. „Fühl selber!“

      Shamos strich mit dem Zeigefinger über das Borimant und nickte dann. „Du hast Recht! Die Schrift ist auf der Rückseite!“ Er klappte die Seite wieder um. „Und so kann man es lesen!“ Er schaute den Priester mit großen Augen an.

      Der schien in tiefen Gedanken und wurde plötzlich hektisch. „Moment mal!“ Er nahm die vier Seiten Borimant und legte sie entsprechend ihrer Seitenziffern, die sich in den unteren rechten Ecken befanden, zusammen. „Also. Auf dem Kopf!“ Er drehte die Seiten entsprechend. „Und dann spiegelverkehrt!“ Er drehte den kleinen Stapel herum, sodass die letzte Seite jetzt oben lag. Dann schob er sie sorgfältig übereinander, sprang auf und hielt sie gegen das Licht der Deckenlampe.

      „Und?“ fragte Shamos erwartungsvoll und erhob sich.

      „Ich...weiß nicht?“ Matu betrachtete die Seiten intensiv. Doch dann schüttelte er den Kopf. „Nein!“ fügte er enttäuscht hinzu. „Fehlanzeige!“ Er gab die Seiten dem Wissenschaftler, der sie ebenfalls im Gegenlicht anstarrte, sie jedoch nach einigen Momenten gleichsam enttäuscht sinken ließ und frustriert auf den Tisch warf.

      Sowohl er, als auch Matu drehten Esha den Rücken zu und ließen ihrer Enttäuschung stumm freien Lauf, sodass es sehr still im Raum wurde.

      Esha, die im ersten Moment nicht recht wusste, was sie tun sollte, trat an den Tisch und nahm die vier Seiten, die ihr Mann dorthin geworfen hatte und die jetzt verstreut herumlagen, wieder zur Hand und beschloss, sich das einmal selbst zu betrachten. Sie fügte die Seiten zusammen, drehte sie auf den Kopf, drehte sie herum und trat vor die Lampe. Sofort offenbarte sich ihr ein vollkommen neuer Text. „Oh wow!“